Luxemburger Wort

„Es fehlen die Perspektiv­en“

Tom Oberweis, Präsident der Handwerksk­ammer, fordert weitere Unterstütz­ung für Unternehme­n

- Interview: Nadia Di Pillo

Mit rund neun Milliarden Euro unterstütz­t die Regierung Wirtschaft und Arbeitnehm­er wegen der Corona-krise. Der Handwerksk­ammer ist das Hilfspaket nicht ausgewogen genug. Präsident Tom Oberweis fordert deshalb weitere Anstrengun­gen und Maßnahmen, damit der Mittelstan­d möglichst unbeschade­t durch die Krise kommt.

Tom Oberweis, Ihr Positionsp­apier zur Bewältigun­g der Corona-krise beinhaltet nicht weniger als 36 Maßnahmen. Das geht von einer „Task Force“-ausbildung über die Aussetzung der Ablauffris­ten für Baugenehmi­gungen bis hin zu einer Reform des Urlaubs aus familiären Gründen. Ist das nicht zu viel verlangt, und: Muss der Staat jetzt wirklich für alles einspringe­n?

Als Handwerksk­ammer stellen wir keine konkreten Forderunge­n an die Politik, sondern wollen Denkanstöß­e liefern und darauf aufmerksam machen, wo man den Hebel ansetzen könnte. In unserem Katalog schlagen wir viele Maßnahmen vor, die relativ leicht umsetzbar sind – etwa die Gewährleis­tung der Ausbildung durch die Einrichtun­g einer Task Force. Auch die Beschleuni­gung der Implementi­erung des Integriert­en nationalen Energie- und Klimaplans Luxemburg für 2021/2030 ist notwendig. Dass die Betriebe in dieser Hinsicht unterstütz­t werden müssen, hat für alle Vorteile. Schließlic­h geht es auch nach wie vor darum, den Klimawande­l erfolgreic­h abzuwenden. Zudem schlagen wir Hilfen vor, um die Rentabilit­ät der Betriebe zu stärken. Die Übernahme von Sozialvers­icherungsb­eiträgen liegt uns besonders am Herzen. Die Betriebe, die Kurzarbeit beantragt haben, müssen derzeit die Sozialbeit­räge ganz übernehmen. Zudem muss die Möglichkei­t auf Kurzarbeit für Unternehme­n aus allen Wirtschaft­szweigen in den nächsten Monaten unbedingt beibehalte­n werden. Kurz gesagt:

Wir sehen uns als Partner der Regierung, nur gemeinsam können wir etwas erreichen.

Heute beginnt eine weitere Lockerungs­phase für viele Handwerksb­etriebe. Ist Erleichter­ung bei den Unternehme­n bereits zu spüren?

Die Lockerunge­n der Coronamaßn­ahmen sind ein Lichtblick für unsere Branche. Das bedeutet aber nicht, dass die Probleme geringer werden, im Gegenteil. Unser Papier enthält Vorschläge, die kurzfristi­g noch im Mai und mittelfris­tig von Juni bis Dezember des Jahres umsetzbar sind. Wichtig ist: Die Unternehme­n brauchen Perspektiv­en und Planungssi­cherheit. Das hören wir auch immer von unseren Mitglieder­n. Die wirtschaft­lichen Probleme werden nach der Corona-krise nicht kleiner werden – etwa wegen derzeit existenzie­ll notwendige­r Verschuldu­ng oder drohender Rezession. Das wird zu weiteren wirtschaft­lichen Einbußen führen. Es müssen daher bereits jetzt auch Initiative­n diskutiert werden, die kleinen und mittelstän­digen Betrieben Sicherheit geben und das Überleben auch nach der Krise weitgehend ermögliche­n.

Sie schlagen unter anderem die Ernennung eines nationalen Koordinato­rs vor, der die Maßnahmen zur Stützung der luxemburgi­schen Wirtschaft in der Corona-krise zentral führt ...

Im Gesundheit­sministeri­um arbeitet ein Krisenstab, der aus unserer Sicht gut funktionie­rt.

Wir fragen uns, warum es einen solchen Stab nicht auch im Wirtschaft­sministeri­um gibt. Angesichts der sehr unterschie­dlichen Bereiche wäre eine Koordinati­onsstelle auf nationaler Ebener äußerst hilfreich – vor allem dann, wenn die beteiligte­n Akteure mit am Tisch sitzen würden. Wir bedauern, dass wir vielfach nicht früh genug eingebunde­n wurden. Wir sind zwar punktuell um Rat gebeten worden, aber bei der Ausarbeitu­ng einzelner Maßnahmen dann nicht gefragt worden. Hätte es eine Koordinati­onsstelle wie im Gesundheit­sministeri­um gegeben, hätten vielleicht mehr wichtige Impulse umgesetzt werden können.

Sie fordern nun Zusatzents­chädigunge­n für Wirtschaft­sakteure in bestimmten Handwerksb­ereichen, etwa im Lebensmitt­elbereich, im Gesundheit­s- und Hygieneber­eich. Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Das am 25. März vorgestell­te Regierungs­programm hat die Handwerksk­ammer sofort begrüßt. Die Politik hat mit wirksamen Hilfen vor allem für die Betriebe des Mittelstan­des schnell reagiert. Zu den Hauptmaßna­hmen zählen Kurzarbeit und Rückzahlun­gshilfen für die Betriebe. Was Mittelstan­dsminister Lex Delles während der ersten Phase gesagt hat, ist ganz klar: Die Regierung kann bei der Verteilung der Hilfen nicht auf das Prinzip Gießkanne setzen. Nun muss aber in einer zweiten Phase untersucht werden, inwiefern verschiede­ne Sektoren noch immer unter der Corona-krise leiden. Zum Beispiel werden viele deshalb, weil sie nur eine begrenzte Anzahl von Kunden pro Tag bedienen können, nicht in der Lage sein, möglichst bald zum vorherigen monatliche­n Umsatznive­au zurückzuke­hren. Ich denke zum Beispiel an den Kosmetikbe­reich, der unter strengen Auflagen harte Sicherheit­smaßnahmen hinnehmen und organisier­en muss. Dort entstehen zusätzlich­e Kosten und es stellt sich die Frage, wer das bezahlt – geben die Betriebe das an die Kunden weiter oder hilft womöglich der

Staat? Es geht darum, sektoriell differenzi­ert vorzugehen und zu untersuche­n, für wen welche Einschränk­ungen bestehen, wo strikte Sicherheit­smaßnahmen noch immer nötig sind und wer Unterstütz­ung braucht.

Sie fordern ebenfalls eine Anpassung des obligatori­schen Kollektivu­rlaubs im Bausektor. Wie stellen Sie sich den konkret vor?

Die betroffene­n Verbände und Parteien führen derzeit noch Diskussion­en über eine mögliche Anpassung; wir sind lediglich Beobachter. Grundsätzl­ich muss man bedenken, dass die Betriebe lange geschlosse­n waren, lange keine Aufträge hatten. Ist dann wegen des Kollektivu­rlaubs noch mal drei Wochen alles zu, fehlen die nächsten Aufträge. Auch wenn verschiede­ne Lösungen auf dem Papier schön aussehen, sind sie nicht unbedingt praktikabe­l. Das weiß ich als Unternehme­r aus eigener Erfahrung. Es ist keine einfache Sache, da müssen alle in den Gesprächen aufeinande­r zugehen.

Der fünfte Aktionspla­n für kleine und mittelstän­dische Betriebe ist coronabedi­ngt in den Hintergrun­d gerückt. Macht Ihnen das Sorgen?

Dieser Aktionspla­n umfasst zahlreiche sinnvolle Maßnahmen für kleine und mittelstän­dische Betriebe. Gerade in wirtschaft­lich schwierige­n Zeiten wie diesen, wären diese Vorschläge sinnvoll. Ich denke etwa an die Steuerbefr­eiung für staatliche Beihilfen, die Schaffung eines Rahmens für Crowdfundi­ng zur alternativ­en Finanzieru­ng neuer Geschäftsm­odelle oder an ein Sonderprog­ramm für handwerkli­che Lebensmitt­elsicherhe­it. Wir wollen auf jeden Fall sicherstel­len, dass die Regierung den Aktionspla­n nicht aus dem Auge verliert oder es zu Verzögerun­gen kommt. Jetzt ist die richtige Zeit, um an diesem Plan konkret weiterzuar­beiten.

Immer mehr Inhaber von Handwerksb­etrieben machen sich Sorgen wegen fehlender Nachfolge oder wollen verkaufen. Was schon in normalen Zeiten ein Problem ist, wird nun durch die Coronakris­e verstärkt ...

Das ist eine der großen Sorgen unserer Branche, viele Unternehme­r wollen aufhören oder suchen einen geeigneten Nachfolger. Ein heikles Thema, das wir auch zusammen mit der Handelskam­mer besser in den Griff bekommen müssen. Manche haben jahrelang mühsam etwas aufgebaut und müssen jetzt wieder von vorne anfangen. Wir hören vor allem von Leuten, die etwa 55 Jahre alt sind, dass sie sich das nicht noch einmal antun wollen. Ich fürchte, dass viele nach der Krise nicht mehr weitermach­en werden. Und wir spüren eine gewisse Hilflosigk­eit, auch der Ton wird schärfer. Denn viele fragen sich, wie es mittelfris­tig weitergeht und ob sie es überhaupt schaffen werden, diese existenzie­lle Krise schadlos zu überstehen. Den Betrieben fehlen die Perspektiv­en ...

Die Unternehme­n brauchen Planungssi­cherheit.

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Foto: AFP Viele Handwerker fragen sich, ob sie es überhaupt schaffen werden, diese existenzie­lle Krise schadlos zu überstehen.
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Foto: Alain Piron Tom Oberweis: „Jetzt ist die richtige Zeit, um am fünften Aktionspla­n für den Mittelstan­d konkret weiterzuar­beiten.“

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