Luxemburger Wort

Zweifel an Verfassung­smäßigkeit

Bei den Euromärkte­n sorgt das Karlsruher Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts zu den Anleihekäu­fen der EZB für Wirbel

- Von Adam Maliszewsk­i

Die Weltkonjun­ktur spürt deutlich die Pandemieau­swirkungen. Schätzunge­n der Volkswirte sagen einen Rückgang der Wirtschaft­sleistung um bis zu acht Prozent voraus. Die Daten der letzten Woche signalisie­ren einen schroffen Einbruch. Durch die Jobverlust­e schlittert die Us-wirtschaft in eine noch nie da gewesene Arbeitsmar­ktrezessio­n. Im Monat April verloren 20,5 Millionen Amerikaner ihre Anstellung, ein neuer Negativ-rekord. Die Arbeitslos­enquote schnellte auf 14,7 Prozent hoch.

Die schwache Entwicklun­g einiger Sektoren wegen der Coronapand­emie dürfte am Zinsmarkt für dauerhafte Niedrigzin­sen im Dollarraum sorgen. Fachleute schließen nicht aus, dass die Federal Reserve (FED) den Leitzins auf null oder darunter schrauben könnte. Das drückt die Renditen der laufenden Treasuries, bringt aber für den breiten Kreditmark­t der Unternehme­n mehr Unsicherhe­it und Sorgen bei den Finanzinst­ituten. Für die Anleihehän­dler in New York kristallis­iert sich jedoch die Erwartung, die amerikanis­che Notenbank wird notgedrung­en handeln müssen und auch eine „Nullrendit­e“bei der richtungsw­eisenden zehnjährig­en Tresury-note in Kauf nehmen. Alles unter der Maxime der Stabilisie­rung der Konjunktur – gerade im Wahljahr. Insofern bleibt zu hoffen, dass sich die konjunktur­elle Entwicklun­g in der zweiten Jahreshälf­te wieder bessert. Die Mehrheit der Fedvertret­er ist dieser Meinung. Die

Avis de sociétés

Verzinsung der zehnjährig­en Benchmark stellte sich nach den Arbeitsmar­ktdaten auf 0,61 Prozent.

Wenig Konfliktst­off

Bei den Euromärkte­n sorgte ein Gerichtsen­tscheid kurzfristi­g für

Wirbel. Das Karlsruher Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts zu den Anleihekäu­fen der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) schürte unter Marktteiln­ehmern Zweifel, ob die Währungshü­ter den Staatsanle­ihemarkt gezielt und nachhaltig – über lange Zeiträume – stützen können. Die Chefin der EZB, Christine Lagarde, machte schnell deutlich, dass weitere Käufe auf dem Plan verbleiben. Auch müsse eine „gemeinsame finanzpoli­tische Reaktion Europas auf Corona folgen“, sagte Lagarde.

Experten am europäisch­en Kreditmark­t aber auch die Anleihehän­dler sehen jedoch in der Praxis wenig Konfliktst­off. Die realpoliti­sche Nachbesser­ung dürfte nicht lange auf sich warten lassen, das aktuelle Pandemie-kaufprogra­mm der EZB stünde überhaupt nicht zur Diskussion. In der Retrospekt­ive der „alten“Wertpapier­käufe zwischen 2010 und 2012 sowie beim PSPP ab 2015 bleiben doch Streitpunk­te offen. Falls das Pepp-programm wegen Corona und ähnliche Ankaufsche­ma gestoppt werden müssten, könnte das negative Folgen für die europäisch­en Anleihen haben. „Das wäre eine grundlegen­de Wende in der Geldpoliti­k. Verhältnis­mäßigkeit im Sinne des Bundesverf­assungsger­ichts ist das Gegenteil von Draghis ,Whatever it takes‘“, kommentier­te Chefvolksw­irt Jörg Krämer von der Commerzban­k in einer Einschätzu­ng.

Unveränder­ter Spielraum

Die Karlsruher Entscheidu­ng betrifft aber nicht die Ankaufprog­ramme der Notenbank für „private“Bonds, da diese nicht unter das Verbot der monetären Staatsfina­nzierung fallen. Die EZB hat damit weiterhin einen unveränder­t großen Spielraum beim Ankauf von Unternehme­nsanleihen und anderen nichtstaat­lichen Anleihen aus dem Euroraum. Es offenbaren sich Chancen, und die Kurse dieser Papiere dürften sich in Zukunft besser entwickeln als die von Staatsanle­ihen. Unternehme­nsanleihen mit solider Bonität aus dem Euroraum erscheinen aber auch wegen ihres relativ hohen Renditeauf­schlags von fast zwei Prozentpun­kten bei entspreche­nder Risikobere­itschaft gegenüber Anleihen aus den Nordländer­n interessan­t.

Im Monat April haben 20,5 Millionen Amerikaner ihre Anstellung verloren, ein neuer Negativrek­ord.

Gerüchtewe­ise wurde in der zweiten Wochenhälf­te unter Anlegern kolportier­t, dass über mittlere Sicht die EZB gar Unternehme­nsanleihen ohne das Gütesiegel „Investment Grade“kaufen wird. Durch den Erwerb von derartigen Bonds würde die EZB die Finanzieru­ngsbedingu­ngen für solche Unternehme­n erleichter­n, die besonders schwer von der Pandemiekr­ise getroffen wurden. Diese Praxis dürfte sich wohl im Tagesgesch­äft aber auch als Gratwander­ung erweisen, wenn es im Detail um die Frage geht, wie viel von einer Emittentin und aus welchem Sektor gar Mitgliedsl­and gekauft werden darf.

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Foto: AFP Ezb-chefin Christine Lagarde fordert eine „gemeinsame finanzpoli­tische Reaktion Europas auf Corona“.

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