Europäische Zentralbank versus Bundesverfassungsgericht
Die obersten deutschen Verfassungshüter halten die Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) grundsätzlich für rechtens, monieren aber, dass die EZB die Verhältnismäßigkeit nicht geprüft hat. Bedeutet: Die Notenbanker müssen in den kommenden drei Monaten verdeutlichen, warum die positiven Effekte die negativen Nebenwirkungen übersteigen. Damit stellt sich das Bundesverfassungsgericht (BVG) erstmals gegen den Europäischen Gerichtshof, der die Anleihekäufe ohne weitere Auflagen genehmigt hatte.
Für die EZB ist es grundsätzlich ein Leichtes, die Verhältnismäßigkeit zu belegen. Dafür kann sie auf einen großen Expertenstab zurückgreifen. Neben der Verhältnismäßigkeit haben die Bundesrichter klare Kriterien genannt, die für die
Rechtmäßigkeit der Ezb-maßnahmen entscheidend wären. Dazu zählt eine Orientierung aller Staatsanleihekäufe am Ezb-schlüssel. Damit müssten die Währungshüter Anleihen entsprechend den Finanzierungsquoten der einzelnen Eurostaaten kaufen, also stets knapp ein Viertel deutsche Staatspapiere. Und: Eine Mindestbonität müsse ebenfalls gewahrt bleiben. All dies schränke die Flexibilität der EZB in künftigen Krisen ein. Von daher ist nicht ausgeschlossen, dass die EZB den Anforderungen des BVG nicht nachkommt. Damit käme mitten in den wirtschaftlichen Negativfolgen von Corona Unsicherheit über die Handlungsfähigkeit Europas auf – mit erheblichen Risiken für die Finanzmärkte.
*
Der Autor ist Chef-anlagestratege der Commerzbank AG.