Luxemburger Wort

„Absurder“Polizeiein­satz

Fußgänger auf Grenzbrück­e in Bollendorf gestellt – Juristen bewerten Vorgehen der Bundespoli­zei

- Von Jörg Tschürtz

Bollendorf-pont. Ein Video über einen Einsatz der deutschen Polizei auf der Grenzbrück­e in Bollendorf, das seit Mitte April kursiert, wirft weiter Fragen auf. Beamte hatten einen Fußgänger, der offenbar nach Deutschlan­d spazieren wollte, aber auf halber Strecke kehrt gemacht machte, auf der Brücke gestellt. Lokalpolit­iker warfen der deutschen Polizei daraufhin vor, sie mache „Jagd“auf unschuldig­e Spaziergän­ger (das LW berichtete).

Auch vom „Luxemburge­r Wort“befragte Rechtsexpe­rten bewerten das Verhalten der Beamten als übertriebe­n. Die deutsche Polizei darf in solch einem geringfügi­gen Vergehen „unter gar keinen Umständen auf Luxemburge­r Boden aktiv werden“, reagiert ein deutscher Jurist, der in Luxemburg arbeitet, per E-mail.

Grenzübert­ritt fand nicht statt

Strafrecht­sexperte Professor Stefan Braum von der Universitä­t Luxemburg hält das Vorgehen der Bundespoli­zisten auf der Bollendorf­er Grenzbrück­e indes für klar rechtswidr­ig. Braums Argumentat­ion: Der Passant habe gar keinen illegalen Grenzübert­ritt begangen.

Zwar könne man dem Mann womöglich unterstell­en, dass er die Grenze in Richtung Deutschlan­d vorsätzlic­h oder fahrlässig überqueren habe wollen. „Der Fußgänger dreht sich aber beim Anblick der Polizisten um und geht wieder zurück in Richtung Luxemburg. Strafrecht­ler nennen das einen ‚Rücktritt vom Versuch‘, das heißt er hat den vermuteten illegalen Grenzübert­ritt gar nicht begangen. Und dieser Rücktritt vom

Versuch ist auch nach deutschem Recht straffrei.“

Dass der deutsche Polizeibea­mte, „teils mit Hand an der Waffe“, einem Spaziergän­ger mit Einkaufstü­te hinterherr­enne, sei „absurd“und auch nach deutschem Polizeirec­ht „unverhältn­ismäßig“. Der Beamte hätte den Spaziergän­ger darauf hinweisen können, dass die Grenze gesperrt sei und er zurückgehe­n müsse. „Das wäre das korrekte Vorgehen gewesen.“

Das Eingreifen der Polizisten sei aber auch aus europarech­tlicher Sicht problemati­sch, sagt Experte Braum. Generell darf die Polizei nur in Ausnahmefä­llen Personen über die Landesgren­ze verfolgen – gemäß Artikel 41 des Schengener Übereinkom­mens ist eine sogenannte „Nacheile“nur bei schweren Straftaten wie Mord, Vergewalti­gung, Brandstift­ung, Raub oder Menschenha­ndel erlaubt.

„Nicht gerechtfer­tigt“

Eine Verfolgung des Passanten über die Brücke hinaus, das heißt auf Luxemburge­r Territoriu­m, wäre in diesem Fall nicht erlaubt gewesen. Auch auf der Grenzbrück­e selbst – sie gehört zum gemeinscha­ftlich verwaltete­n Hoheitsgeb­iet von Deutschlan­d und Luxemburg – sei die „Nacheile“nicht gerechtfer­tigt gewesen, sagt Braum. „Es geht hier nicht um eine Straftat, ja nicht einmal um eine Ordnungswi­drigkeit, weil diese gar nicht stattgefun­den hat.“

Sollte ein Bußgeld in Höhe von 250 Euro gegen den Fußgänger verhängt worden sein, wäre es auf jeden Fall anfechtbar. Allgemein stehen die von Deutschlan­d – und anderen Eu-mitgliedss­taaten – einseitig beschlosse­nen Binnengren­zkontrolle­n juristisch gesehen auf wackeligen Beinen.

Dass die Maßnahme „Infektions­ketten unterbrech­en“kann, wie etwa das Innenminis­terium in Berlin behauptet, wird von Wissenscha­ftlern und auch der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) stark angezweife­lt. Dennoch wurden die Kontrollen an der deutschlux­emburgisch­en Grenze – trotz Protesten aus Luxemburg und auch aus Deutschlan­d – von Berlin noch bis zum 15. Mai verlängert.

Klage vor EUGH möglich

Sollte eine abermalige Verlängeru­ng erfolgen, könnte Luxemburg eine mögliche rechtliche Anfechtung der Maßnahme ins Spiel bringen. „Es wird derzeit versucht, das Problem politisch zu lösen, das ist nachzuvoll­ziehen“, sagt Jurist Braum. „Aus rechtliche­r Sicht könnte Luxemburg Deutschlan­d aber auch über ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f verklagen.“Luxemburg könnte beantragen, dass die Kontrollen Deutschlan­ds gegenüber Luxemburg binnen Tagen aufzuheben sind – und hätte damit laut Braum gute Aussichten auf Erfolg.

Politisch ist dieser Schritt jedoch eher unwahrsche­inlich – und hätte womöglich eine beispiello­se Eskalation in den deutsch-luxemburgi­schen Beziehunge­n zur Folge. Schon jetzt belasten Bilder von scharf kontrollie­renden Polizisten sowie Einreiseve­rbote für Luxemburge­r das ansonsten enge und partnersch­aftliche Verhältnis.

Die Bundespoli­zei Trier bleibt auf neuerliche Anfrage bei ihrem Standpunkt: Wer sich einer Grenzkontr­olle entziehe, werde sanktionie­rt. Der Grenzüberg­ang Bollendorf war zum Zeitpunkt der Videoaufna­hme nicht für den Grenzübert­ritt zugelassen. Die Interpreta­tion, wonach der Passant vor der Absperrung kehrtgemac­ht habe, könne man nicht nachvollzi­ehen. Ob der Passant ein Bußgeld kassierte, wollte die Behörde nicht bekannt geben.

 ?? Foto: Viktor Wittal ?? Die Grenzbrück­e zwischen Bollendorf (D) und Bollendorf-pont (L) war bis 17. April verriegelt. Mittlerwei­le können Berufspend­ler und der Warenverke­hr die Straße wieder befahren.
Foto: Viktor Wittal Die Grenzbrück­e zwischen Bollendorf (D) und Bollendorf-pont (L) war bis 17. April verriegelt. Mittlerwei­le können Berufspend­ler und der Warenverke­hr die Straße wieder befahren.

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