„Ohne Tour de France geht nichts“
Ed Buchette, Funktionär des Radsportweltverbands, gibt sich vorsichtig optimistisch in Bezug auf die Fortsetzung der Saison
Ed Buchette ist nicht nur in Mamer bekannt wie ein bunter Hund. Dort sitzt er seit 2014 für die CSV im Gemeinderat. International findet die Stimme des 65-Jährigen vor allem in Radsportkreisen Gehör: Buchette ist unter anderem beim Radsportweltverband Mitglied der Straßen- und Kalenderkommission.
Ed Buchette, wird es in diesem Jahr trotz Corona-virus-pandemie noch eine Fortsetzung der Radsportsaison geben?
Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Niemand kann behaupten, er wüsste genau, wie es weitergeht. Ich bin allerdings heute einen Tick optimistischer als vor zwei Wochen. Die Infektionszahlen sinken in den meisten europäischen Ländern. Die Botschaft scheint bei den Leuten angekommen zu sein, sodass die Lockerungsmaßnahmen eingeleitet werden konnten. Es gibt also Licht am Ende des Tunnels. Aber Vorsicht ist geboten.
Was lässt Sie zweifeln?
Die Menschen gehen vermehrt raus und treffen sich. Geschäfte öffnen und es kehrt eine gewisse Normalität ein. Das wird wahrscheinlich in einem Anstieg der Infektionen münden. Es muss unbedingt eine zweite Welle vermieden werden, ansonsten wird es 2020 keinen Radsport mehr geben. Und das wäre fatal.
Glauben Sie, dass in dem Fall viele Teams von der Bildfläche verschwinden könnten?
Ja. Es wird einige erwischen. Sponsoren werden weniger investieren wollen und können. Das wird die Mannschaften treffen. Das Businessmodell des Radsports ist fragil. Aber es bringt nichts zu spekulieren. Wir sind keine Experten. Wir sollten den Virologen und Wissenschaftlern zuhören. Die wissen, was sie tun. Es werden zu viele Theorien von Leuten verbreitet, die unter dem Strich keine Ahnung haben. Die UCI macht das clever. Sie kommuniziert unaufgeregt und befindet sich im ständigen Austausch mit ihrem medizinischen Direktor Xavier Bigard.
Der Worldtour-kalender wurde neu angepasst. Im August sollen wieder Rennen gefahren werden können. Gefällt Ihnen der Kalender?
Es waren hartnäckige Gespräche in den Kommissionen und im Conseil du Cyclisme Professionnel. Man kann nie jeden zufriedenstellen, aber die gefundene Lösung kommt dem bestmöglichen Kompromiss schon sehr nah. Gefallen hat mir, dass sich die
Radsportfamilie rasch einig war, dass im gemeinsamen Interesse gehandelt werden muss.
Die Tour de France (29. August bis 20. September) hatte sich bereits vor Wochen positioniert ...
Die Frankreich-rundfahrt genießt eine Ausnahmestellung – auch und vor allem für die Sponsoren. Fällt die Tour de France aus, fehlt den Geldgebern 70 Prozent ihrer Visibilität. Der Verlust ist also enorm. Die Fernsehzeit und die Aufmerksamkeit bei den anderen Rennen können das nicht herausreißen. Ohne Tour de France geht nichts. Um sie herum wurde der Kalender aufgestellt. Außerdem genossen der Giro d’italia, die Vuelta und die fünf Monumente Priorität. Dann galt es, unter Berücksichtigung der sanitären Situation in den einzelnen Ländern, den Vorstellungen so gut es geht Rechnung zu tragen. Eine gewisse Solidarität unter allen Akteuren war zu spüren.
Ist eine Tour de France ohne Zuschauer möglich?
Nein, daran glaube ich nicht. Wie will man das in den Bergen bewerkstelligen? Stellt man Militär auf und verlegt Stacheldraht, um die Zuschauer fernzuhalten? Das ist unrealistisch. Am Startund Zielbereich ist es machbar.
Allerdings hat die Erfahrung bei Paris-nice auch gezeigt, dass es in dem Fall eine triste Stimmung sein wird. Radsport lebt vom Publikum, vom Anfeuern, von der Nähe der Fans. Es wird entweder eine ganz normale Frankreichrundfahrt geben, oder gar keine.
Ein paar Knackpunkte fallen im Kalender auf: Vuelta und Giro überschneiden sich beispielsweise an sechs Tagen.
Die Vuelta konnte nicht weiter nach hinten in den November geschoben werden (in den Pyrenäen droht das Wetter zu schlecht zu werden, Anmerkung der Redaktion). Der Giro wollte in den Oktober. Da gab es keine 100 Alternativen. Die Mannschaften haben zudem bei den Gesprächen klar gemacht, dass sie drei Programme parallel fahren wollen. Es gibt also für jeden etwas im Kalender. Die Tatsache, dass sich die Klassiker mit Giro oder Vuelta überschneiden, ist kein Problem. Dort starten ohnehin nicht dieselben Fahrer. Es gibt seit Jahren Denkanstöße, ob man Giro und Vuelta nicht auf zwei Wochen reduzieren sollte. Aber ich bin der Meinung, dass nun in der aktuellen Krisensituation nicht der richtige Zeitpunkt war, um auch noch Forderungen zu stellen. Das wäre nicht fair gewesen. Wir haben andere Sorgen. und den GP Montréal (13. September) sehe ich schwarz. Ich bin mir fast sicher, dass beide Rennen abgesagt werden oder nur mit nordamerikanischen Teams über die Bühne gehen.
Ist der Termin des Tirreno kein Problem für die Skodatour
(15. bis 20. September)?
Nein, das glaube ich nicht. Okay, Fahrer die in Italien starten, können nicht am Folgetag in Luxemburg sein. Aber das ist kein Problem. Die Mannschaften fahren mehrgleisig. Es werden Topteams in Luxemburg zu Gast sein. Die Skodatour liegt sehr gut. Die fünf Renntage, eine Woche vor dem Wm-auftakt, sind ein optimaler Test. Das Terrain ist anspruchsvoll. Die Fahrer können sich austoben. Präsident Andy Schleck hatte das richtige Näschen. Er wollte vom Juni in den September und hatte recht.
Es werden zu viele Theorien von Leuten verbreitet, die unter dem Strich keine Ahnung haben.
Stellt man Militär auf und verlegt Stacheldraht, um die Zuschauer fernzuhalten?
Apropos WM: Es herrschte in den vergangenen Tagen viel Chaos um das Programm ...
Eigentlich sollte am 20. September das Einzelzeitfahren der Männer stattfinden. Das ist aber nun nicht der Fall. Dieses wurde auf den 23. September verlegt, damit es keine Terminkollision mit der Tour de France gibt. In der Hektik um den Kalender ging diese Kommunikation unter.
Wie sieht es mit den Landesmeisterschaften in Mamer aus?
Am Donnerstag, den 20. August wird der Kampf gegen die Uhr ausgetragen, dies auf einem 9 km langen Parcours, den es zwei Mal zu fahren gilt. Start und Ziel werden sich in der Route de Dippach bei der Sporthalle Nic. Frantz befinden. Am Samstag und Sonntag (22./23. August) finden dann die jeweiligen Straßenrennen statt.