Luxemburger Wort

Abstand einhalten geht nur mit Platz

Brüssel nutzt die Corona-krise als Chance, um Radfahrern und Fußgängern mehr Platz einzuräume­n

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Florian Raffelt radelt nunmehr jeden Tag durch Brüssel. Der siebzehnjä­hrige Schüler erkennt in Zeiten von Corona nur Vorteile darin: Anders als in den Bussen oder in der U-bahn ist die Ansteckung­sgefahr auf dem Rad gleich null, das verallgeme­inerte Homeoffice leert die Straßen, dazu noch das schöne Wetter. Obendrein haben die Behörden spontan entschiede­n, auf einigen großen Achsen wie der Rue de la Loi, den Radfahrern mehr Platz einzuräume­n – diese Straße, die das Euviertel mit dem Zentrum verbindet, verlor über Nacht eine Autospur und die Biker gewannen dagegen zwei neue Wege. „Das ist großartig“, meint Florian Raffelt. Und tatsächlic­h: Eine Fahrradtou­r durch Brüssel fühlt sich derzeit sehr entspannt an.

Brüssel ist noch nicht Kopenhagen Doch das war nicht immer so. Denn Brüssel ist nicht Kopenhagen. Beileibe nicht: Die belgische Hauptstadt galt lange als Fahrradhöl­le – das Auto dagegen war König. Im Vergleich zu den flämischen Nachbarstä­dten Gent und Leuven sah die Hauptstadt ganz schön alt aus, zumindest verkehrste­chnisch gesehen.

Das hat auch Gründe, für die die Stadt nichts kann. Anders als Gent ist Brüssel hügelig – sehr sogar –, was abschrecke­nd sein kann. Zudem ist die Eine-million-einwohner-stadt ein wirtschaft­liches Magnet für ganz Belgien, was viel Verkehr mit sich bringt. Und Verkehr

Brüssel wird allmählich zur Fahrradsta­dt. oft gereizt, die Straßen zunehmend unsicher. Bis dann vor wenigen Jahren ein Umdenken kam. „Wenn eine Stadt attraktiv für Radfahrer ist, dann wird es auch mehr Radfahrer geben“, erzählt die grüne regionale Transportm­inisterin Elke Van den Brandt. Und das passierte auch. Allmählich wurden in Brüssel die Fahrradweg­e sichtbar.

Fahrradbah­n um die Innenstadt

Und das Konzept stimmte: Eine vierspurig­e Fahrradbah­n umringt die Innenstadt. Dadurch sind alle Stadtteile miteinande­r verbunden. Resultat: Viele Brüsseler sind auf das Fahrrad umgesprung­en, um den nervenaufr­eibenden Stau zu vermeiden. Und dann kam die Pandemie.

Van den Brandt erkannte darin vor allem eine Chance, zumindest in der Verkehrspo­litik: „Man kann den Leuten nicht sagen, sie müssten Abstände einhalten, ohne ihnen auch den dafür notwendige­n öffentlich­en Raum zur Verfügung zu stellen.“Über Nacht schossen neue Fahrradweg­e aus dem Boden, in der Innenstadt liegt das Tempolimit für Autos nun bei 20 Stundenkil­ometer – Fußgänger und Fahrradfah­rer haben die absolute Priorität. „Man hat mehr Platz“, stellt Florian Raffelt zufrieden fest. „Ob das wegen den neuen Regeln ist oder weil ohnehin weniger Autos unterwegs sind, lässt sich nur schwer sagen“, beobachtet er. Aber egal – er ist sich sicher: Das Fahrrad ist nunmehr zur Gewohnheit geworden, die auch nach der Pandemie bleiben wird.

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Fotos: Diego Velazquez

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