Wahlkampf mit den Ängsten der Menschen
In der österreichischen Hauptstadt bricht Corona in einem Flüchtlingsheim aus – ÖVP und FPÖ nutzen das populistisch aus
Österreich atmet auf – sie sinken, die Infektionszahlen. Und wäre da nicht ein Ausreißer, so wäre man fast verleitet, Entwarnung zu geben. Aber: Dieser Ausreißer heißt Wien, die größte Stadt des Landes mit 1,9 Millionen Einwohnern – und in absoluten Zahlen mehr Corona-infizierten als im Rest Österreichs: 471 bestätigte Fälle sind das. Und während also in Gastgärten und Restaurants wieder ausgeschenkt und serviert wird, das Leben im Allgemeinen wieder in einigermaßen normale Bahnen geht, sorgen die Wiener Coronazahlen für anhaltenden Knatsch zwischen der rot-grünen Stadtregierung und der türkis dominierten türkis-grünen Koalition auf Bundesebene. Und weil in Wien im Herbst Lokalwahlen anstehen, mischt auch die rechtspopulistische FPÖ mit.
Postzentren und Flüchtlingsheim
als Infektionsherde
Soviel steht einmal fest: Ein Infektionsherd in Wien ist ein Flüchtlingswohnheim im Wiener Bezirk Erdberg. Zwei weitere: zwei Post-logistikzentren im Wiener Umland. Dann ist da ein Kindergarten in Wien-liesing als Nebenschauplatz. Schließlich ist da noch eine Leiharbeitsfirma, in der es eine auffällige Häufung an Coronafällen gab. Und weil nur Theateraufführungen, nicht aber Theaterdonner untersagt sind, ist das eben das Set-up für eine Posse, die das Land seit Tagen in Atem hält.
Die beiden Postzentren wurden einmal gesperrt, die Paketsortierung und damit die Zustellung von Paketen in Wien brach zwischenzeitlich komplett zusammen. Weil aber soeben die Miliz mobilisiert wurde – was zwei Monate dauerte – und eigentlich keiner so richtig weiß, was die Soldaten eigentlich tun sollen, außer vor Botschaften Wache zu schieben, wurde die Armee kurzweg zusammen mit einem Abc-abwehrteam in die beiden Postzentren beordert. Denn dort haben die Männer in Uniform jetzt zumindest eine Aufgabe:
Sie sortieren Pakete. Und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hat eine Sorge weniger. Sie ist die leidige Frage los: Wozu eigentlich die teure Mobilisierung?
Einher ging all das aber mit einer „Mahnung“des Innenministers Karl Nehammer (ÖVP) in Richtung Stadt Wien. Er sprach von einem „pandemischen Tsunami“der ob der Wiener Handhabe der Krise drohe. Später erneuerte er seine Warnung, stellte die Behauptung in den Raum, die Stadt Wien würde Hilfe seitens des Bundes ausschlagen, sagte zugleich aber, er wolle kein politisches Hickhack rund um die Sache. Wien solle aber eben seine Koordination mit dem nationalen Krisenstab verbessern. Das, während Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bereits darauf hinwies, dass wohl weniger die Handhabe der Krise in Wien als viel eher prekäre Arbeitsverhältnisse eine Fährte in Sachen „Wiener Coronacluster“seien. Ja genau: Da hatte die Posse bereits einen Namen.
Populisten sprechen vom „Asylantenvirus“
Und hier kommt die Leiharbeitsfirma ins Spiel. Denn während die FPÖ wenig dezent die Verbindung zwischen Corona und Flüchtlingen herstellte („Asylantenvirus“– Fpö-wien-chef Dominik Nepp) und einen Misstrauensantrag gegen den Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker einbrachte, deutete Anschober an, worum es eigentlich geht: Der Kitt zwischen einer signifikanten Anzahl an Infektionen ist eine in Wien ansässige Leiharbeitsfirma, die Personal für die Post stellte und mit Bussen zu den Post-logistikzentren in Niederösterreich brachte. Und diese Firma rekrutierte vor allem auch in der Flüchtlingsunterkunft Wien-erdberg. Auch andere Fälle abseits der Flüchtlingsunterkunft konnten auf diese Firma beziehungsweise die Post-logistikzentren zurückgeführt werden.
Nun ist die Post eine Aktiengesellschaft in Mehrheitseigentum des Bundes und es stellt sich schon einmal generell die Frage: Wie kommt es, dass hier quasi der Staat prekär beschäftigt und in den Verteilerzentren Hygienevorschriften nicht eingehalten werden? Die Post dementiert das, Abstandsregeln seien eingehalten worden und auf Leiharbeiter werde nur in Intensivzeiten zurückgegriffen.
Aber die Vehemenz, mit der derzeit Wien als Sündenbock vorgeführt wird, die fällt doch auf. Aber klar: Im Herbst stehen in Wien Gemeinderatswahlen an und die rot-grüne Koalition in der Hauptstadt ist allen außer Rot und Grün ein Dorn im Auge – die ÖVP ärgert vor allem einmal, in der Bundeshauptstadt um die Zweistelligkeit kämpfen zu müssen während Kanzler Sebastian Kurz im Rest des Landes an der 50-Prozent Marke kratzt, für die FPÖ ist rot-grün eine kommunistische Willkommenskultur-zelle die außer Parkraumvernichtung und Radwegen kein Konzept hat, für die liberalen Neos ist Wien eine Chance.
Wien-bashing ist in Österreich
beliebt
Bei der staatlichen Post wurde prekär beschäftigt und wurden Vorschriften ignoriert.
Wie kommt es, dass hier quasi der Staat prekär beschäftigt und in den Verteilerzentren Hygienevorschriften nicht eingehalten werden? Und Wien-bashing, das ist ein an sich immer wiederkehrendes politisches Instrument: Wiener werden nicht sonderlich geschätzt im Rest Österreichs und Wien als gefährlichen Moloch (Multikulti, Terrorgefahr, Kriminalität, Drogen und jetzt eben auch noch eine Seuche) darzustellen ist ein beliebtes Mittel, eine Drohkulisse aufzubauen, vor der man sich schützen muss – aber eben auch bestens schützen kann, weil Wien halt letztlich doch Wien und nicht Kabul ist.
Nun hat die Sache mit dem Wiener Corona-cluster aber einen großen Haken: Die Post fällt an sich in den Zuständigkeitsbereich von Övp-finanzminister Gernot Blümel. Die Personalpolitik der Post fällt in die Zuständigkeit von Övp-arbeitsministerin Christine Aschbacher. Und die Hygienevorschriften? Die sind Ländersache. Also im Fall Niederösterreich: Övp-landeshauptfrau Johanna Mikl-leitner.