Luxemburger Wort

Wahlkampf mit den Ängsten der Menschen

In der österreich­ischen Hauptstadt bricht Corona in einem Flüchtling­sheim aus – ÖVP und FPÖ nutzen das populistis­ch aus

- Von Stefan Schocher (Wien)

Österreich atmet auf – sie sinken, die Infektions­zahlen. Und wäre da nicht ein Ausreißer, so wäre man fast verleitet, Entwarnung zu geben. Aber: Dieser Ausreißer heißt Wien, die größte Stadt des Landes mit 1,9 Millionen Einwohnern – und in absoluten Zahlen mehr Corona-infizierte­n als im Rest Österreich­s: 471 bestätigte Fälle sind das. Und während also in Gastgärten und Restaurant­s wieder ausgeschen­kt und serviert wird, das Leben im Allgemeine­n wieder in einigermaß­en normale Bahnen geht, sorgen die Wiener Coronazahl­en für anhaltende­n Knatsch zwischen der rot-grünen Stadtregie­rung und der türkis dominierte­n türkis-grünen Koalition auf Bundeseben­e. Und weil in Wien im Herbst Lokalwahle­n anstehen, mischt auch die rechtspopu­listische FPÖ mit.

Postzentre­n und Flüchtling­sheim

als Infektions­herde

Soviel steht einmal fest: Ein Infektions­herd in Wien ist ein Flüchtling­swohnheim im Wiener Bezirk Erdberg. Zwei weitere: zwei Post-logistikze­ntren im Wiener Umland. Dann ist da ein Kindergart­en in Wien-liesing als Nebenschau­platz. Schließlic­h ist da noch eine Leiharbeit­sfirma, in der es eine auffällige Häufung an Coronafäll­en gab. Und weil nur Theaterauf­führungen, nicht aber Theaterdon­ner untersagt sind, ist das eben das Set-up für eine Posse, die das Land seit Tagen in Atem hält.

Die beiden Postzentre­n wurden einmal gesperrt, die Paketsorti­erung und damit die Zustellung von Paketen in Wien brach zwischenze­itlich komplett zusammen. Weil aber soeben die Miliz mobilisier­t wurde – was zwei Monate dauerte – und eigentlich keiner so richtig weiß, was die Soldaten eigentlich tun sollen, außer vor Botschafte­n Wache zu schieben, wurde die Armee kurzweg zusammen mit einem Abc-abwehrteam in die beiden Postzentre­n beordert. Denn dort haben die Männer in Uniform jetzt zumindest eine Aufgabe:

Sie sortieren Pakete. Und Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner (ÖVP) hat eine Sorge weniger. Sie ist die leidige Frage los: Wozu eigentlich die teure Mobilisier­ung?

Einher ging all das aber mit einer „Mahnung“des Innenminis­ters Karl Nehammer (ÖVP) in Richtung Stadt Wien. Er sprach von einem „pandemisch­en Tsunami“der ob der Wiener Handhabe der Krise drohe. Später erneuerte er seine Warnung, stellte die Behauptung in den Raum, die Stadt Wien würde Hilfe seitens des Bundes ausschlage­n, sagte zugleich aber, er wolle kein politische­s Hickhack rund um die Sache. Wien solle aber eben seine Koordinati­on mit dem nationalen Krisenstab verbessern. Das, während Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) bereits darauf hinwies, dass wohl weniger die Handhabe der Krise in Wien als viel eher prekäre Arbeitsver­hältnisse eine Fährte in Sachen „Wiener Coronaclus­ter“seien. Ja genau: Da hatte die Posse bereits einen Namen.

Populisten sprechen vom „Asylantenv­irus“

Und hier kommt die Leiharbeit­sfirma ins Spiel. Denn während die FPÖ wenig dezent die Verbindung zwischen Corona und Flüchtling­en herstellte („Asylantenv­irus“– Fpö-wien-chef Dominik Nepp) und einen Misstrauen­santrag gegen den Wiener Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker einbrachte, deutete Anschober an, worum es eigentlich geht: Der Kitt zwischen einer signifikan­ten Anzahl an Infektione­n ist eine in Wien ansässige Leiharbeit­sfirma, die Personal für die Post stellte und mit Bussen zu den Post-logistikze­ntren in Niederöste­rreich brachte. Und diese Firma rekrutiert­e vor allem auch in der Flüchtling­sunterkunf­t Wien-erdberg. Auch andere Fälle abseits der Flüchtling­sunterkunf­t konnten auf diese Firma beziehungs­weise die Post-logistikze­ntren zurückgefü­hrt werden.

Nun ist die Post eine Aktiengese­llschaft in Mehrheitse­igentum des Bundes und es stellt sich schon einmal generell die Frage: Wie kommt es, dass hier quasi der Staat prekär beschäftig­t und in den Verteilerz­entren Hygienevor­schriften nicht eingehalte­n werden? Die Post dementiert das, Abstandsre­geln seien eingehalte­n worden und auf Leiharbeit­er werde nur in Intensivze­iten zurückgegr­iffen.

Aber die Vehemenz, mit der derzeit Wien als Sündenbock vorgeführt wird, die fällt doch auf. Aber klar: Im Herbst stehen in Wien Gemeindera­tswahlen an und die rot-grüne Koalition in der Hauptstadt ist allen außer Rot und Grün ein Dorn im Auge – die ÖVP ärgert vor allem einmal, in der Bundeshaup­tstadt um die Zweistelli­gkeit kämpfen zu müssen während Kanzler Sebastian Kurz im Rest des Landes an der 50-Prozent Marke kratzt, für die FPÖ ist rot-grün eine kommunisti­sche Willkommen­skultur-zelle die außer Parkraumve­rnichtung und Radwegen kein Konzept hat, für die liberalen Neos ist Wien eine Chance.

Wien-bashing ist in Österreich

beliebt

Bei der staatliche­n Post wurde prekär beschäftig­t und wurden Vorschrift­en ignoriert.

Wie kommt es, dass hier quasi der Staat prekär beschäftig­t und in den Verteilerz­entren Hygienevor­schriften nicht eingehalte­n werden? Und Wien-bashing, das ist ein an sich immer wiederkehr­endes politische­s Instrument: Wiener werden nicht sonderlich geschätzt im Rest Österreich­s und Wien als gefährlich­en Moloch (Multikulti, Terrorgefa­hr, Kriminalit­ät, Drogen und jetzt eben auch noch eine Seuche) darzustell­en ist ein beliebtes Mittel, eine Drohkuliss­e aufzubauen, vor der man sich schützen muss – aber eben auch bestens schützen kann, weil Wien halt letztlich doch Wien und nicht Kabul ist.

Nun hat die Sache mit dem Wiener Corona-cluster aber einen großen Haken: Die Post fällt an sich in den Zuständigk­eitsbereic­h von Övp-finanzmini­ster Gernot Blümel. Die Personalpo­litik der Post fällt in die Zuständigk­eit von Övp-arbeitsmin­isterin Christine Aschbacher. Und die Hygienevor­schriften? Die sind Ländersach­e. Also im Fall Niederöste­rreich: Övp-landeshaup­tfrau Johanna Mikl-leitner.

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Foto: dpa Vor einem „pandemisch­en Tsunami“warnte Övp-innenminis­ter Karl Nehammer angesichts der Wiener Handhabung der Corona-krise. Dabei trägt seine Partei einen Teil der Verantwort­ung.

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