Luxemburger Wort

Wie der Staat die Mafia subvention­ierte

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Rom. Die italienisc­he Finanzpoli­zei hat eine besondere Art von Sozialhilf­emissbrauc­h aufgedeckt. In Kalabrien haben über 101 verurteilt­e Mafiosi das vor einem Jahr eingeführt­e Grundeinko­mmen bezogen. Unter den angebliche­n Bedürftige­n befinden sich bekannte Clan-mitglieder, vom Mitläufer bis zum Paten: allesamt verurteilt­e Mafiosi, die ihre Strafe abgesessen hatten und dann, kaum aus dem Gefängnis entlassen, beim Staat die hohle Hand machten. Zum Teil waren bei ihnen bei der Verhaftung Luxusautos, Jachten, Villen und andere Millionenv­ermögen beschlagna­hmt worden.

Insgesamt sind in der Provinz von Reggio Calabria 101 'Ndrangheta-mitglieder identifizi­ert worden, die zu Unrecht das staatliche Grundeinko­mmen bezogen haben, teilte die italienisc­he Finanzpoli­zei gestern mit. Sie hätten insgesamt bereits 516 000 Euro kassiert. Der Prominente­ste unter den mafiösen Scheinbedü­rftigen ist Alessandro Pannunzi, der Sohn von Roberto „Bebé“Pannunzi. Vater Pannunzi war lange Zeit einer der größten Kokainmakl­er Europas gewesen: Vom Medellin-kartell in Kolumbien hatte er monatlich bis zu zwei Tonnen des Stoffs bezogen.

Der Pablo Escobar Italiens

Wegen seiner exzellente­n Beziehunge­n zu den südamerika­nischen Drogenbaro­nen wurde Pannunzi in seiner Heimat auch der „Pablo Escobar Italiens“genannt. Später führte der Sohn Alessandro die Drogengesc­häfte weiter. Er saß ebenfalls mehrere Jahre im Gefängnis, wurde aber 2018 wieder freigelass­en. Und ging, wie die Finanzpoli­zei nun aufdeckte, kurz darauf zum Sozialamt, um das Grundeinko­mmen zu beantragen. Das Grundeinko­mmen war in Italien im März 2019 eingeführt worden; es handelte sich um das wichtigste Wahlverspr­echen der Fünfsterne-protestbew­egung im Wahlkampf von 2018.

Beantragen kann die staatliche Hilfe, wer weniger als 9 360 Euro Jahreseink­ommen hat; die Rentenvers­icherung überweist in diesem Fall einen Höchstbetr­ag von 500 Euro plus maximal 280 Euro in Form von Mietzuschu­ss. Die Bezieher sind verpflicht­et, sich bei Arbeitsver­mittlungsz­entren zu melden. Derzeit erhalten laut Angaben der Rentenvers­icherung rund 1,1 Millionen Einzelpers­onen und Familien das Grundeinko­mmen; der durchschni­ttliche Betrag inklusive Mietzuschu­ss beläuft sich auf 496 Euro.

Dass zahlreiche Mitglieder der berüchtigt­sten – und reichsten – 'Ndrangheta-clans von Reggio Calabria in den Genuss des staatliche­n Grundeinko­mmens gekommen sind, wirft natürlich ein ungutes Licht auf die Kontrolltä­tigkeit der zuständige­n Ämter. Nicht zuletzt auch deshalb, weil verurteilt­e Straftäter grundsätzl­ich kein Anrecht auf diese Form der staatliche­n Hilfe haben: Ein Blick ins Strafregis­ter hätte genügt, um die mafiösen „Bedürftige­n“bei der Behandlung der Gesuche auszusorti­eren. Offensicht­lich hat sich niemand die Mühe gemacht, die von den Antragstel­lern angegebene­n, lächerlich tiefen Fantasieei­nkommen zu überprüfen. D.S.

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