„Gott, lass Michelle Obama ja sagen“
Präsidentschaftsbewerber Joe Biden steht vor der Quadratur des Kreises bei der Entscheidung für seinen „Running Mate“
Michelle Obama bräuchte nur „Ja“zu sagen. Dann könnte das gerade erst geformte Komitee, das den designierten Präsidentschaftskandidaten der Demokraten bei der Auswahl seines Vizepräsidentschaftskandidaten berät, seine Arbeit gleich wieder einstellen. „Ich würde sie sofort nehmen“, verriet Joe Biden seine Gefühle für die frühere First Lady Anfang der Woche in einem Interview mit einem Lokalsender in Pittsburgh. „Sie ist brillant. Sie kennt sich aus. Sie ist eine feine Frau. Die Obamas sind großartige Freunde.“
Das Problem ist nur, dass die laut einer Yougov-umfrage „am meisten bewunderte Frau der Welt“kein Interesse daran zeigt, in die Niederungen der Politik hinabzusteigen. So steht es schwarz auf weiß in Michelle Obamas 2018 erschienenem Bestseller „Becoming“, mit dem sie vor der Covid19-pandemie in den USA nicht Buchläden, sondern Sportarenen füllte. „Ich habe nicht die Absicht, für ein Amt anzutreten“, schreibt sie und fügt entschieden hinzu: „Jemals.“
Biden macht Avancen
In der Geschichte der amerikanischen Politik haben das schon viele behauptet, bevor sie später das genaue Gegenteil davon taten. Wohl auch deshalb signalisierte der 77-jährige Biden bereits drei Mal, dass er Obama fragen würde, sein „Running Mate“zu werden, „wenn ich nur eine Chance hätte.“
Die frühere First Lady, über die mehr als zwei von drei Amerikaner eine positive Meinung haben, erlaubte Biden, der sich auf die Wahl einer Frau festgelegt hat, die Quadratur des Kreises. Die Afroamerikanerin aus der armen „Southside“von Chicago gehörte einer farbigen Minderheit an, begeisterte den progressiven Flügel der Demokraten und stammte aus dem Mittleren Westen, der für Bidens Wahlchancen im November entscheidend ist.
Aversion gegen politisches Amt
Die ehemalige rechte Hand Barack Obamas im Weißen Haus und enge Familienfreundin Valerie Jarrett sagt, Michelles Aversion gegen die Politik sei echt. Es gebe genügend andere potenzielle Kandidatinnen für das Amt, „die ihre eigene Star-power mitbringen“.
Immer wieder genannt und in Umfragen bei den Demokraten ganz vorn steht Elizabeth Warren, die Biden nach ihrem Ausscheiden als Präsidentschaftskandidatin Mitte April unterstützte. Binnen 24 Stunden mobilisierte sie mit einer einzigen E-mail 2,75 Millionen Dollar an Spenden für den designierten Bannerträger der Partei.
Das Beraterteam Bidens zeigte sich nicht nur von der Fähigkeit Warrens beeindruckt, das linke Lager für den Kandidaten zu mobilisieren, sondern auch von ihrer entschlossenen Verteidigung des Kandidaten gegen die sexuellen Belästigungsvorwürfe einer ehemaligen Mitarbeiterin von vor fast drei Jahrzehnten.
„Sie rundet das Ticket aus und bietet das volle Programm an politischen Schwerpunkten, das die Leute sehen wollen“, bringt die einflussreiche Gewerkschafterin Sara Nelson die Präferenz progressiver Gruppen in der Partei auf den Punkt. Sollte sich Bernie Sanders hinter sie stellen, stiegen ihre Chancen weiter.
Eine schwarze Frau als Kriterium Allein der vorübergehende Verlust eines Senatssitzes der Demokraten in Massachusetts wäre ein handfester Nachteil. Und dass Warren nicht auf Rückendeckung des engen Biden-freundes James Clyburn zählen kann, der die politische Wiederauferstehung des abgeschlagenen Kandidaten erst in South Carolina und dann am Super-dienstag möglich gemacht hatte.
„Es wäre prima, wenn er eine schwarze Frau auswählen würde“, legte sich der ranghöchste afroamerikanische Kongressabgeordnete in einem Interview fest. „Das ist kein ,Muss‘, aber es wäre großartig.“So sehen es eine Reihe an
Aktivisten, die darauf hinweisen, wie wichtig die Kernwählerschaft der schwarzen Frauen für die Demokraten ist.
Niemand brachte sich aggressiver ins Spiel als Stacey Abrams, die 2018 knapp das Rennen um das Gouverneursamt von Georgia verlor. „Ich wäre eine exzellente Kandidatin“, sagte die ehemalige Oppositionsführerin der Demokraten im Parlament des Südstaates dem Magazin „Elle“. Auf NBC verteidigte sie ihr offenes Werben mit ihrer Herkunft. „Als junges schwarzes Mädchen, das in Mississippi aufwuchs, habe ich gelernt, mich für mich selber stark zu machen, weil es sonst niemand tat.“
Im Umfeld Bidens heißt es, die ungewohnte Kampagne sei kein
Ausschlusskriterium. Aber sie unterscheidet Abrams von der traditionelleren Herangehensweise ihrer Mitbewerberinnen, die Dritte vorschicken oder ihr Interesse durch die Blumen ausdrücken. Wie zum Beispiel die Senatorin aus Kalifornien, Kamala Harris, die ehemalige Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice oder die Hausmanagerin im Impeachment-prozess Val Demmigns.
Ich habe nicht die Absicht, für ein Amt anzutreten. Jemals.
Die frühere First Lady Michelle Obama
Wohl keine Entscheidung vor Juli „Ja sagen“zu einem Angebot für den Vizepräsidentenposten würden auch zwei prominente Politikerinnen aus dem Mittleren Westen. Die Senatorin aus Minnesota, Amy Klobuchar, punktete bei Biden mit ihrem Ausstieg aus dem Rennen um die Nominierung am Vorabend des Super-dienstags und könnte dem Kandidaten bei moderaten Wählern helfen.
Diesen Vorzug hätte auch die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, die in der Corona-krise zur Lieblingsfeindin Trumps avancierte. Cedric Richmond, der Bidens Auswahlkomitee
angehört, sagt, vor dem Sommer werde Biden keine Entscheidung treffen. Im historischen Vergleich hat kein Präsidentschaftskandidat seine Wahl vor dem 6. Juli bekannt gegeben. Und viele erst auf dem Parteitag selbst. Er wolle auf jeden Fall sicherstellen, so Richmond, „dass er keine Entscheidung ohne echte Gespräche in Person trifft“.
Traditionell gehört zu dem Auswahlprozess auch das Schaulaufen bei gemeinsamen Auftritten mit potenziellen Vizepräsidentschaftskandidaten. Bisher ist das wegen der Beschränkungen in der Corona-pandemie nur Online oder im Fernsehen möglich.
All das könnte sich der Kandidat sparen, wenn es dem von Parteistrategen geformten „Draft Michelle Obama“-komitee gelänge, die frühere First Lady umzustimmen. Oder das Wunder passierte, für das der schwarze Bürgerrechtler Al Sharpton nach eigenem Eingeständnis jeden Tag betet. „Gott, lass Michelle Obama bitte Joe Bidens Running Mate sein.“