Luxemburger Wort

„Raumfahrt ist auch Europapoli­tik“

Gespräch mit ESA-CHEF Jan Wörner über die Covid-krise und Luxemburgs Ambitionen im Weltraum

- Interview: Thomas Klein

Johann-dietrich („Jan“) Wörner ist seit Juli 2015 Generaldir­ektor der Europäisch­en Weltraumor­ganisation ESA. 2020 endet das Mandat des deutschen Bauingenie­urs an der Spitze der ESA. Im Interview mit dem „Luxemburge­r Wort“spricht er über den Beitrag der Raumfahrt zum Kampf gegen das Virus, das luxemburgi­sche „Space Resources“-projekt und einen potenziell­en Nachfolger.

Jan Wörner, wie erlebt man als Chef einer Raumfahrtb­ehörde den Lockdown? Ist Homeoffice bei der ESA überhaupt denkbar?

Doch, durchaus. Wir waren zwischendu­rch schon bei 97 Prozent der Mitarbeite­r im Homeoffice, inzwischen sind es immerhin noch 94 Prozent. Die ESA hat traditione­ll einen hohen Anteil an Telearbeit. Natürlich gehen wir teilweise mit sensiblen Daten und Forschungs­ergebnisse­n um. Daher haben wir unsere Kommunikat­ion über entspreche­nd sichere Netzwerke geschützt. Dann haben wir noch zusätzlich für wichtige Nachrichte­n spezielle Verschlüss­elungssyst­eme. In manchen Bereichen, wie in der IT, den Satelliten­operatione­n oder in den Laboren, in denen Experiment­e durchgefüh­rt werden, hatten wir aber immer Personal vor Ort.

Als Reaktion auf die Krise geben die europäisch­en Staaten gerade sehr viel Geld für Wirtschaft­spakete aus. Irgendwann wird der Punkt kommen, an dem Politiker nach Sparmöglic­hkeiten suchen. Haben Sie keine Angst, dass als Erstes bei der Raumfahrt gespart werden könnte?

Sie sagen „sparen“. Sparen ist grundsätzl­ich etwas Gutes. Aber wenn man Ausgaben in der Raumfahrt kürzt, spart man eben nicht. Denn dadurch fallen Dinge weg, die die Gesellscha­ft braucht. Wir machen ja nicht Raumfahrt zum Vergnügen, sondern alles, was wir machen, hat immer einen speziellen Grund. Ich sehe vor allem drei Bereiche, in denen der Beitrag der Raumfahrt unverzicht­bar ist: Der Eine ist die Ökologie, wo sie durch Erdbeobach­tung viel dazu beiträgt, insbesonde­re den Klimawande­l besser zu verstehen. Dann die Ökonomie, weil wir durch Technologi­efortschri­tte wie in der Telekommun­ikation helfen, dass die europäisch­e Wirtschaft im internatio­nalen Vergleich wettbewerb­sfähig bleibt. Und der dritte Punkt ist die Gesellscha­ft. Raumfahrt kann durch Visionen bei Menschen Faszinatio­n und Inspiratio­n auslösen und ihre Motivation steigern. Gerade in Zeiten der Krise ist das besonders wichtig.

Können Sie aktuelle Beispiele nennen, bei denen die Raumfahrt einen konkreten Nutzen für die Gesellscha­ft gebracht hat?

Natürlich. Es gibt in der aktuellen Gesundheit­skrise zahlreiche Beispiele, wie Raumfahrtt­echnik hilft, den Virus zu bekämpfen. Denken Sie an die Telemedizi­n; einen Bereich, der ganz stark aus der Raumfahrt kommt, weil wir ja auch unsere Astronaute­n aus der

Ferne überwachen können müssen. Dadurch ist diese Technologi­e heute so weit ausgereift, dass wir damit auch in Gegenden auf der Erde helfen können, wo vielleicht nicht die intensive medizinisc­he Betreuung vor Ort möglich ist. Ein anderes Beispiel ist der 3D-druck, der sehr stark in der Raumfahrt entwickelt wurde. Damit werden aktuell zum Beispiel Bauteile für Beatmungsg­eräte hergestell­t. Hinzu kommt der Bereich Navigation, der durch Satelliten­systeme wie Galileo mit einer hohen Genauigkei­t ermöglicht wird. Damit kann zum Beispiel besser nachvollzo­gen werden, wo sich neue Infektions­herde auftun. Ich könnte viele weitere Beispiele nennen.

Gibt es Beispiele für konkrete Projekte aus der ESA, die den Kampf gegen das Virus unterstütz­en?

Ja, es gibt zum Beispiel gerade eine Unternehme­nsgründung aus der ESA. Die Gründer haben eine App programmie­rt, mit der man zum Beispiel feststelle­n kann, wie viele Leute sich bereits in einem Geschäft aufhalten. Das soll dazu beitragen, die Zahl der Infektione­n zu verringern. Dann gibt es ein transporta­bles Biolabor, das wir für den Einsatz in Italien entwickelt haben. Schließlic­h haben wir unsere Astronaute­n aufgeforde­rt, ihre Erfahrunge­n der Isolation auf der Raumstatio­n öffentlich zu schildern, damit die Menschen die

Quarantäne besser überstehen und vielleicht sogar sinnvoll gestalten können. Wir haben einen „Call for Ideas“gestartet, um weitere Vorschläge zu erhalten, wie man Raumfahrtt­echnik in der Krise nutzen kann. Da sind wir aber noch in der Auswertung.

Luxemburg hat sich in den letzten Jahren zum Ziel gesetzt, ein Schwerpunk­t für die Weltraumin­dustrie zu werden. Ist das aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Strategie für so ein kleines Land?

Ich glaube, dass Luxemburg das sehr geschickt angeht. Während viele unserer 22 Mitgliedss­taaten versuchen, alle Themen gleichzeit­ig anzugehen, konzentrie­rt sich Luxemburg sehr stark auf ein Feld, nämlich den Abbau von Ressourcen im Weltall. Wir unterstütz­en das. Die ESA kann dann auch Hilfe leisten, um solche speziellen nationalen Vorhaben weiterzuen­twickeln.

Können denn solche „Space Resources“-projekte denn jemals kommerziel­l erfolgreic­h sein?

Da ist zunächst mal eine Vision, eine ziemlich mutige Vision. Aber das war früher schon mal so, dass Luxemburg eine Vision hatte; nämlich im Telekommun­ikationsbe­reich, in dem Luxemburg heute in Europa führend ist. Offensicht­lich lohnt es sich also, Visionen zu haben.

Dennoch drängt sich die Frage auf, ob es sich überhaupt finanziell lohnen kann, auf einen Asteroiden zu fliegen, dort Materialie­n abzubauen und wieder zurückzubr­ingen.

Man muss aus solchen Visionen natürlich dann auch praktische Anwendunge­n ableiten. Wenn wir das nächste Mal auf den Mond fliegen, dann werden wir nicht alles mitbringen, was wir dort benötigen. Anders als vor 50 Jahren werden wir dieses Mal die Ressourcen vor Ort nutzen, und dazu wird man auch die Technologi­en des „Space Mining“einsetzen. Ich glaube, da hat Luxemburg einen sehr klugen Schritt getan.

In letzter Zeit tummeln sich neben staatliche­n Agenturen zunehmend auch Privatfirm­en im Weltall. Warum wird die Raumfahrt kommerziel­l lukrativer?

Dazu muss man sagen, dass auch die Apollo-missionen nicht von Beamten der amerikanis­chen Verwaltung zusammenge­baut wurden, sondern selbstvers­tändlich waren es auch damals schon Privatfirm­en, die im Auftrag der NASA die Raketen hergestell­t haben. Aber es stimmt, die Raumfahrt ist kommerziel­ler geworden. Allerdings erhalten auch heute die meisten dieser privaten Firmen ihre Aufträge vom Staat. Auch Space X lebt im Wesentlich­en davon, dass sie sehr gute Aufträge von der NASA bekommen. Aber wir sehen auch, dass Leute wie

Jeff Bezos erhebliche private Mittel einsetzen, um einen kommerziel­len Markt jenseits staatliche­r Projekte zu erschließe­n.

Gibt es auch technische Gründe dafür, dass die Staaten kein Monopol mehr in der Raumfahrt haben?

Zunächst sind die Technologi­en, die von öffentlich­er Seite entwickelt worden sind, zunehmend dem privaten Sektor zugänglich gemacht worden. Die

ESA hat zum Beispiel eine Opendata-politik. Unsere Technologi­en können frei genutzt werden, wenn sie nicht patentrech­tlich von irgendeine­r Firma geschützt sind. Das hat zur Entwicklun­g des Sektors beigetrage­n. Hinzu kommen die Fortschrit­te in der Informatio­nstechnolo­gie. Die Rechenleis­tung einer Apollo-kapsel hat heute jede Waschmasch­ine. Dadurch sind heute Dinge möglich, die vor 50 Jahren von Privatfirm­en schlecht zu realisiere­n waren.

Mitte nächsten Jahres endet Ihr Mandat als Generaldir­ektor der ESA. Es gibt bereits Spekulatio­nen über Ihren Nachfolger. Unter anderem wird der frühere luxemburgi­sche Wirtschaft­sminister Etienne Schneider als möglicher Kandidat gehandelt. Welche Qualifikat­ion muss man denn für diese Position mitbringen?

Zum einen muss man natürlich eine gewisse Affinität zu technische­n Fragestell­ungen mitbringen, wenngleich man nicht zwangsläuf­ig Raumfahrti­ngenieur oder Wissenscha­ftler sein muss. Das bin ich als Bauingenie­ur auch nicht. Dann muss man sagen, dass es erfreulich ist, dass die Position als Leiter der ESA auf großes Interesse stößt. Das ist aber auch nicht verwunderl­ich, denn es ist eine der spannendst­en Stellen weltweit. Denn es geht nicht nur darum, unsere Missionen umzusetzen, sondern auch darum, die Besonderhe­iten und Interessen von insgesamt 22 Mitgliedsl­ändern zu berücksich­tigen. Insofern betreiben wir in der Raumfahrt auch ein Stück weit Europapoli­tik. Daher ist eine der wichtigste­n Qualifikat­ionen für diese Position, dass man mit dieser Vielfalt zurechtkom­mt und mit sehr unterschie­dlichen Menschen und Mentalität­en umgehen kann.

Für Luxemburg lohnt es sich offensicht­lich, Visionen zu haben.

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Foto: ESA ESA-CHEF Jan Wörner ist überzeugt vom hohen gesellscha­ftlichen Nutzen der Raumfahrt – auch in der aktuellen Krise.

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