„Raumfahrt ist auch Europapolitik“
Gespräch mit ESA-CHEF Jan Wörner über die Covid-krise und Luxemburgs Ambitionen im Weltraum
Johann-dietrich („Jan“) Wörner ist seit Juli 2015 Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA. 2020 endet das Mandat des deutschen Bauingenieurs an der Spitze der ESA. Im Interview mit dem „Luxemburger Wort“spricht er über den Beitrag der Raumfahrt zum Kampf gegen das Virus, das luxemburgische „Space Resources“-projekt und einen potenziellen Nachfolger.
Jan Wörner, wie erlebt man als Chef einer Raumfahrtbehörde den Lockdown? Ist Homeoffice bei der ESA überhaupt denkbar?
Doch, durchaus. Wir waren zwischendurch schon bei 97 Prozent der Mitarbeiter im Homeoffice, inzwischen sind es immerhin noch 94 Prozent. Die ESA hat traditionell einen hohen Anteil an Telearbeit. Natürlich gehen wir teilweise mit sensiblen Daten und Forschungsergebnissen um. Daher haben wir unsere Kommunikation über entsprechend sichere Netzwerke geschützt. Dann haben wir noch zusätzlich für wichtige Nachrichten spezielle Verschlüsselungssysteme. In manchen Bereichen, wie in der IT, den Satellitenoperationen oder in den Laboren, in denen Experimente durchgeführt werden, hatten wir aber immer Personal vor Ort.
Als Reaktion auf die Krise geben die europäischen Staaten gerade sehr viel Geld für Wirtschaftspakete aus. Irgendwann wird der Punkt kommen, an dem Politiker nach Sparmöglichkeiten suchen. Haben Sie keine Angst, dass als Erstes bei der Raumfahrt gespart werden könnte?
Sie sagen „sparen“. Sparen ist grundsätzlich etwas Gutes. Aber wenn man Ausgaben in der Raumfahrt kürzt, spart man eben nicht. Denn dadurch fallen Dinge weg, die die Gesellschaft braucht. Wir machen ja nicht Raumfahrt zum Vergnügen, sondern alles, was wir machen, hat immer einen speziellen Grund. Ich sehe vor allem drei Bereiche, in denen der Beitrag der Raumfahrt unverzichtbar ist: Der Eine ist die Ökologie, wo sie durch Erdbeobachtung viel dazu beiträgt, insbesondere den Klimawandel besser zu verstehen. Dann die Ökonomie, weil wir durch Technologiefortschritte wie in der Telekommunikation helfen, dass die europäische Wirtschaft im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig bleibt. Und der dritte Punkt ist die Gesellschaft. Raumfahrt kann durch Visionen bei Menschen Faszination und Inspiration auslösen und ihre Motivation steigern. Gerade in Zeiten der Krise ist das besonders wichtig.
Können Sie aktuelle Beispiele nennen, bei denen die Raumfahrt einen konkreten Nutzen für die Gesellschaft gebracht hat?
Natürlich. Es gibt in der aktuellen Gesundheitskrise zahlreiche Beispiele, wie Raumfahrttechnik hilft, den Virus zu bekämpfen. Denken Sie an die Telemedizin; einen Bereich, der ganz stark aus der Raumfahrt kommt, weil wir ja auch unsere Astronauten aus der
Ferne überwachen können müssen. Dadurch ist diese Technologie heute so weit ausgereift, dass wir damit auch in Gegenden auf der Erde helfen können, wo vielleicht nicht die intensive medizinische Betreuung vor Ort möglich ist. Ein anderes Beispiel ist der 3D-druck, der sehr stark in der Raumfahrt entwickelt wurde. Damit werden aktuell zum Beispiel Bauteile für Beatmungsgeräte hergestellt. Hinzu kommt der Bereich Navigation, der durch Satellitensysteme wie Galileo mit einer hohen Genauigkeit ermöglicht wird. Damit kann zum Beispiel besser nachvollzogen werden, wo sich neue Infektionsherde auftun. Ich könnte viele weitere Beispiele nennen.
Gibt es Beispiele für konkrete Projekte aus der ESA, die den Kampf gegen das Virus unterstützen?
Ja, es gibt zum Beispiel gerade eine Unternehmensgründung aus der ESA. Die Gründer haben eine App programmiert, mit der man zum Beispiel feststellen kann, wie viele Leute sich bereits in einem Geschäft aufhalten. Das soll dazu beitragen, die Zahl der Infektionen zu verringern. Dann gibt es ein transportables Biolabor, das wir für den Einsatz in Italien entwickelt haben. Schließlich haben wir unsere Astronauten aufgefordert, ihre Erfahrungen der Isolation auf der Raumstation öffentlich zu schildern, damit die Menschen die
Quarantäne besser überstehen und vielleicht sogar sinnvoll gestalten können. Wir haben einen „Call for Ideas“gestartet, um weitere Vorschläge zu erhalten, wie man Raumfahrttechnik in der Krise nutzen kann. Da sind wir aber noch in der Auswertung.
Luxemburg hat sich in den letzten Jahren zum Ziel gesetzt, ein Schwerpunkt für die Weltraumindustrie zu werden. Ist das aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Strategie für so ein kleines Land?
Ich glaube, dass Luxemburg das sehr geschickt angeht. Während viele unserer 22 Mitgliedsstaaten versuchen, alle Themen gleichzeitig anzugehen, konzentriert sich Luxemburg sehr stark auf ein Feld, nämlich den Abbau von Ressourcen im Weltall. Wir unterstützen das. Die ESA kann dann auch Hilfe leisten, um solche speziellen nationalen Vorhaben weiterzuentwickeln.
Können denn solche „Space Resources“-projekte denn jemals kommerziell erfolgreich sein?
Da ist zunächst mal eine Vision, eine ziemlich mutige Vision. Aber das war früher schon mal so, dass Luxemburg eine Vision hatte; nämlich im Telekommunikationsbereich, in dem Luxemburg heute in Europa führend ist. Offensichtlich lohnt es sich also, Visionen zu haben.
Dennoch drängt sich die Frage auf, ob es sich überhaupt finanziell lohnen kann, auf einen Asteroiden zu fliegen, dort Materialien abzubauen und wieder zurückzubringen.
Man muss aus solchen Visionen natürlich dann auch praktische Anwendungen ableiten. Wenn wir das nächste Mal auf den Mond fliegen, dann werden wir nicht alles mitbringen, was wir dort benötigen. Anders als vor 50 Jahren werden wir dieses Mal die Ressourcen vor Ort nutzen, und dazu wird man auch die Technologien des „Space Mining“einsetzen. Ich glaube, da hat Luxemburg einen sehr klugen Schritt getan.
In letzter Zeit tummeln sich neben staatlichen Agenturen zunehmend auch Privatfirmen im Weltall. Warum wird die Raumfahrt kommerziell lukrativer?
Dazu muss man sagen, dass auch die Apollo-missionen nicht von Beamten der amerikanischen Verwaltung zusammengebaut wurden, sondern selbstverständlich waren es auch damals schon Privatfirmen, die im Auftrag der NASA die Raketen hergestellt haben. Aber es stimmt, die Raumfahrt ist kommerzieller geworden. Allerdings erhalten auch heute die meisten dieser privaten Firmen ihre Aufträge vom Staat. Auch Space X lebt im Wesentlichen davon, dass sie sehr gute Aufträge von der NASA bekommen. Aber wir sehen auch, dass Leute wie
Jeff Bezos erhebliche private Mittel einsetzen, um einen kommerziellen Markt jenseits staatlicher Projekte zu erschließen.
Gibt es auch technische Gründe dafür, dass die Staaten kein Monopol mehr in der Raumfahrt haben?
Zunächst sind die Technologien, die von öffentlicher Seite entwickelt worden sind, zunehmend dem privaten Sektor zugänglich gemacht worden. Die
ESA hat zum Beispiel eine Opendata-politik. Unsere Technologien können frei genutzt werden, wenn sie nicht patentrechtlich von irgendeiner Firma geschützt sind. Das hat zur Entwicklung des Sektors beigetragen. Hinzu kommen die Fortschritte in der Informationstechnologie. Die Rechenleistung einer Apollo-kapsel hat heute jede Waschmaschine. Dadurch sind heute Dinge möglich, die vor 50 Jahren von Privatfirmen schlecht zu realisieren waren.
Mitte nächsten Jahres endet Ihr Mandat als Generaldirektor der ESA. Es gibt bereits Spekulationen über Ihren Nachfolger. Unter anderem wird der frühere luxemburgische Wirtschaftsminister Etienne Schneider als möglicher Kandidat gehandelt. Welche Qualifikation muss man denn für diese Position mitbringen?
Zum einen muss man natürlich eine gewisse Affinität zu technischen Fragestellungen mitbringen, wenngleich man nicht zwangsläufig Raumfahrtingenieur oder Wissenschaftler sein muss. Das bin ich als Bauingenieur auch nicht. Dann muss man sagen, dass es erfreulich ist, dass die Position als Leiter der ESA auf großes Interesse stößt. Das ist aber auch nicht verwunderlich, denn es ist eine der spannendsten Stellen weltweit. Denn es geht nicht nur darum, unsere Missionen umzusetzen, sondern auch darum, die Besonderheiten und Interessen von insgesamt 22 Mitgliedsländern zu berücksichtigen. Insofern betreiben wir in der Raumfahrt auch ein Stück weit Europapolitik. Daher ist eine der wichtigsten Qualifikationen für diese Position, dass man mit dieser Vielfalt zurechtkommt und mit sehr unterschiedlichen Menschen und Mentalitäten umgehen kann.
Für Luxemburg lohnt es sich offensichtlich, Visionen zu haben.