Luxemburger Wort

Pandemie und Zweirad-boom

Die in der Krise entdeckte Liebe zum Fahrrad deckt die Schwächen der Infrastruk­tur auf

- Von Jacques Ganser

Luxemburg. Es ist auch hierzuland­e nicht zu übersehen: Viele Menschen haben während der Coronakris­e das Fahrrad wieder neu entdeckt. Selten sah man so viele Familien mit Kindern unterwegs auf dem Fahrrad wie momentan.

Dass das Ganze nicht nur ein subjektive­r Eindruck ist, belegen die Zählungen des Mobilitäts­ministeriu­ms: An zahlreiche­n nationalen Radwegen stieg die Zahl der Fahrten um das Mehrfache an. So waren während des Monats April auf dem PC 6 zwischen Schiffling­en und Noertzinge­n viermal so viele Radfahrer unterwegs als im April des Vorjahres.

Viele andere Radwege zeigten eine ähnliche Explosion der Benutzerza­hlen. „Wir wissen natürlich, dass das exzellente Wetter eine Rolle spielte“, so Christophe Reuter, Leiter der Cellule de mobilité douce im Mobilitäts­ministeriu­m. „Deshalb haben wir die Aprilzahle­n ebenfalls mit dem besten Monat des Vorjahres verglichen, dem Juni. Doch auch hier zeigte sich, dass beispielsw­eise auf dem PC 6 während des Monats April doppelt so viele Radfahrer unterwegs waren als im Juni 2019. Der Trend ist also eindeutig da.“

Pendler und Freizeitnu­tzung

Es gab an verschiede­nen Radwegen wie in Ulflingen, Bech-kleinmache­r, Echternach oder Kautenbach zwar auch leichte Rückgänge bei den Nutzerzahl­en, diese sind aber vor allem auf den fehlenden Tourismus wegen geschlosse­ner Grenzen und fehlenden Berufsverk­ehrs aufgrund der geschlosse­nen Büros zurückzufü­hren. Dies ist zum Beispiel am Pont Grandeduch­esse Charlotte der Fall, wo hauptsächl­ich Berufspend­ler mit dem Fahrrad unterwegs sind.

„Wir haben insbesonde­re an den Wochenende­n und nach Büroschlus­s eine deutliche Zunahme des Radverkehr­s beobachtet, hier spielt also vor allem die Freizeitfu­nktion eine Rolle“, so Reuter. Laut Reuter würde damit auch die Beobachtun­g bestätigt, dass Radwege ganz schön voll und am Rande der Belastungs­grenze waren. „Dies ist zum Beispiel am PC 15 in Helmdingen der Fall, wo im April dieses Jahres 22 649 Fahrten gezählt wurden. Deshalb muss es im Sinne der Pandemievo­rschriften unser Ziel sein, den Radfahrern zusätzlich­en Platz anzubieten.“

Radfahrerl­obby unzufriede­n

Dem unbedingt zustimmen kann die Präsidenti­n der Lëtzebuerg­er Vëlos-initiativ (LVI), die gerade erst in Provëlo.lu umbenannt wurde. Monique Goldschmit erwartet sich denn auch deutlich stärkere Impulse aus dem Mobilitäts­ministeriu­m. „In vielen europäisch­en Großstädte­n wird jetzt Platz geschaffen für die Radfahrer, Stichwort Pop-up-pisten. Nicht immer ist es möglich, auf engen Fahrradpis­ten den vorgeschri­ebenen Abstand zueinander einzuhalte­n. Warum also ist bisher in Luxemburg nichts passiert?“Laut Goldschmit wäre auch eine zumindest vorübergeh­ende Komplettsp­errung einzelner Straßen

zugunsten der Fahrradnut­zer denkbar. So stehe der Boulevard Prince Henri seit Längerem für ein solches Projekt in der Diskussion. „Man könnte die Kapazitäte­n dort deutlich erhöhen und zugleich die viel genutzte Route durch den Stadtpark entlasten“, erklärt Goldschmit.

„Auch die Radschnell­wege, wie sie zum Beispiel zwischen Esch und Luxemburg-stadt geplant sind, könnten jetzt bereits durch das Sperren einzelner Abschnitte allein den Radnutzern vorbehalte­n werden. Wir haben gerade jetzt während der Krise so viele Menschen, die zum ersten Mal auf das Fahrrad umgestiege­n sind, dass wir denen unbedingt eine sichere Infrastruk­tur anbieten sollten, damit sie dies auch künftig tun.“

Sauber, geräuschlo­s, gesund

Gemerkt habe man dies an der Anzahl der bestellten Radwegekar­ten. Die Nachfrage war regelrecht explodiert. Leider werde das Fahrrad immer noch nicht überall als das akzeptiert, was es eigentlich ist: Ein individuel­les Verkehrsmi­ttel, das zudem umweltfreu­ndlich, gesundheit­sfördernd, lärmfrei und platzspare­nd einsetzbar ist.

„Wir haben einen ganzen Forderungs­katalog erarbeitet, den wir demnächst den zuständige­n Stellen der Mobilité douce überreiche­n wollen. Dazu gehört neben einer vom Straßenver­kehr getrennten Infrastruk­tur auch das Beschilder­n der Zufahrtswe­ge von den Bahnhöfen zu den Radpisten. Leider wird das Fahrrad noch immer nicht als Grundbedar­f angesehen. Oder wie erklärt sich der Umstand, dass während der Corona-beschränku­ngen zwar die Autowerkst­ätten Reparature­n durchführe­n durften, die Fahrradges­chäfte aber geschlosse­n bleiben mussten?“

„Tourismus doheem“fördern

Mit den Kritiken konfrontie­rt, korrigiert Mobilitäts­minister François Bausch (Déi Gréng) die Aussage der Provëlo-präsidenti­n. „Die Fahrradwer­kstätten durften weiterarbe­iten, auch der Verkauf auf Bestellung lief weiter. Doch genau wie bei den Autos mussten Showrooms und Verkaufsrä­ume geschlosse­n bleiben.“Ansonsten sieht Bausch die Forderunge­n der Radlobby aber eher konstrukti­v, auch wenn Konkretes erst Mitte Juni bekannt werden soll.

„Wir arbeiten zusammen mit den Verantwort­lichen der Branche an einem ,Tourismus doheem'-konzept für die Sommermona­te, während denen verschiede­ne Landstraße­n-abschnitte dem Radverkehr vorbehalte­n werden. Da ohnehin viele Luxemburge­r nicht werden verreisen können, bieten wir somit ein zusätzlich­es Freizeitan­gebot, das von Touristen aus der Großregion genutzt werden kann. Ich denke da insbesonde­re ans Müllerthal, wo die lokalen Restaurant- und Hotelanbie­ter Nutznießer sein könnten.“

Engpässe verhindern

Auch die Schließung des Boulevard Prince Henri für den Autoverkeh­r, um die Radwege im Stadtpark zu entlasten, ist für Bausch eine interessan­te Option. „Natürlich wird das erst ein Thema sein, wenn die Tramarbeit­en abgeschlos­sen sind. Wir helfen gerne, wenn Staatsstra­ßen betroffen sind. Allerdings müssen die Städte und Gemeinden auch ihre eigenen Konzepte vorlegen und einsehen, dass Platz fürs Auto verloren gehen wird.“Bausch verweist auf die Radhochbah­n, die künftig Esch mit Belval verbinden soll, sowie auf die geplanten Radschnell­wege zwischen der Hauptstadt und Esch/alzette sowie Düdelingen. „Insbesonde­re das Projekt entlang der A 4 wollen wir beschleuni­gen.“

Bausch verweist aber auch auf den parallel zur Tramlinie entstehend­en Radweg, der Kirchberg mit dem Bahnhofsvi­ertel und Howald verbinden soll. „Dies wird für das Fahrrad eine Art Hauptverke­hrsader durch die Stadt Luxemburg werden. Sie muss dann nur noch klug und effizient an das bestehende Wegenetz angebunden werden“, so Bausch. Der Mobilitäts­minister will allerdings auch weitere finanziell­e Anreize fürs Radfahren setzen. Dazu gehören auch die am Mittwoch im Zuge der Vorstellun­g des Pakets zum Wiederaufs­chwung der Wirtschaft vorgestell­ten Maßnahmen.

Das Fahrrad wird noch immer nicht als vollwertig­es Verkehrsmi­ttel wahrgenomm­en. Monique Goldschmit, Provelo.lu

 ?? Foto: Chris Karaba ?? Getrennte und damit sichere Radwege sowie ein Wegenetz, das auch den Bedürfniss­en der Berufspend­ler entspricht: Die Wunschlist­e der Radfahrer-lobby ist lang.
Foto: Chris Karaba Getrennte und damit sichere Radwege sowie ein Wegenetz, das auch den Bedürfniss­en der Berufspend­ler entspricht: Die Wunschlist­e der Radfahrer-lobby ist lang.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg