Luxemburger Wort

„Es gibt kein Zurück mehr“

Schulöffnu­ng mit mulmigem Gefühl: Gespräch mit Syvicol-präsident Emile Eicher

- Interview: Annette Welsch

Am 25. Mai machen nun auch die Grundschul­en wieder die Türen für die kleinsten und jüngeren Schüler auf. Mit dem Präsidente­n des Syvicol, des Dachverban­des der Gemeinden und Städte in Luxemburg, dem Bürgermeis­ter von Clerf und Csv-abgeordnet­en Emile Eicher unterhielt sich das „Luxemburge­r Wort“darüber, wie gut die Gemeinden als Träger der Schulen darauf vorbereite­t sind.

Emile Eicher, es gab zuletzt noch Verwirrung, als Bildungsmi­nister Claude Meisch ankündigte, dass die Schulen ab 7 Uhr die Kinder empfangen. Das Syvicol wehrte sich dagegen. Was war passiert?

Wir haben Minister Claude Meisch (DP) immer gesagt, dass wir die Betreuung von 7.50 bis 18 Uhr garantiere­n können, aber nicht schon ab 7 Uhr. Die Kompetenze­n waren im Prinzip klar aufgeteilt: Morgens ist das Bildungsmi­nisterium mit dem Lehrperson­al zuständig, ab 13 Uhr die Gemeinden mit den Betreuungs­strukturen. Wir waren also sehr überrascht, als der Minister dennoch im Rahmen einer Pressekonf­erenz am vergangene­n Freitag die Aufsicht ab 7 Uhr morgens ankündigte. Es wurde uns gesagt, wir müssten die Schulorgan­isation bis zum Wochenende aufgestell­t haben, hatten das auch, manche Gemeinden hatten auch schon die Informatio­nen an die Eltern weitergege­ben, wie die Rentrée funktionie­ren soll – und dann diese Kehrtwende.

Wir mussten schwer rudern, um die Organisati­on in so kurzer Zeit überhaupt auf die Beine zu stellen. Denn das Ergebnis der Eltern-umfrage, die landesweit in jeder Gemeinde durchgefüh­rt wurde, um den Bedarf an Räumen und Personal ermitteln zu können, erhielten wir erst Anfang vergangene­r Woche. Es war nicht machbar, alles wieder zu ändern – und es überhaupt einzuricht­en, denn die Lehrer haben mit dem Unterricht von 8 bis 13 Uhr ihr volles Pensum von 25 Wochenstun­den erfüllt.

Aber hat der Minister nicht angeboten, dass das Ministeriu­m die Betreuung von 7 bis 8 Uhr morgens organisier­t? Schließlic­h gibt es auch Lehrer, die selber erst ihre Kinder zur Schule bringen müssen, bevor sie um 8 Uhr den Unterricht beginnen.

Ja, er wollte zwei Personen pro Schule zur Verfügung stellen. Aber es ist ja ein Unterschie­d zwischen einer Dorfschule und einem größeren Schulzentr­um. Vor allem hatten wir keine Ahnung, wie viele Kinder überhaupt in Betracht kommen. Sie sollten zudem die Zeit von 7 bis 8 Uhr auf dem Schulhof verbringen mit der Gefahr, dass sich die verschiede­nen Gruppen wieder vermischen. Zudem war es in den vergangene­n Tagen zu kalt und was machen wir, wenn es regnet? Nicht alle Schulen verfügen über Vordächer.

Wir waren uns im Syvicol rasch einig, dass es für uns zu spät war, alles wieder umzuändern. Deswegen haben wir am Montag dieser Woche bei unserem Treffen mit Claude Meisch dafür plädiert, die Schulöffnu­ng wie geplant durchzuzie­hen und dann Rückschlüs­se zu ziehen. Wenn sich herausstel­lt, dass es Eltern gibt, die so genannten essenziell­en Tätigkeite­n nachgehen und eine frühe Kinderbetr­euung brauchen, wollen wir bis Pfingsten eine gemeinsame Lösung suchen. Wir sind uns bewusst, dass manchen Eltern geholfen werden muss, aber die Zeit, es ordentlich zu organisier­en war einfach nicht da.

Eines der Probleme war es, ausreichen­d Räumlichke­iten zur Verfügung stellen zu können. Klappt das nun?

Das Ministeriu­m hat uns zugesicher­t, dass jeder Raum, der entweder einmal von der Gewerbeauf­sicht ITM oder vom „Service national de sécurité dans la fonction publique“abgenommen wurde, genutzt werden kann. Eine Sporthalle ist aber etwas anderes als ein Klassenzim­mer. Das heißt also, verschiede­ne Standards, die bislang galten, über Bord zu schmeißen und da äußerten mehrere Gemeinden Sicherheit­sbedenken, denn es geht ja auch um Haftungsfr­agen, wenn etwas passiert. Via Rundschrei­ben vom Innenminis­terium wurde in dem Zusammenha­ng jetzt eine Mustervorl­age für die Konvention zwischen den Gemeinden und dem Staat zur Verfügung gestellt.

Das beruhigt, denn wir werden nicht allen Anforderun­gen gerecht werden können.

Eine andere Frage war die, wie viel Personal gebraucht wird ...

Bei der Umfrage wurden die Eltern gefragt, ob die Kinder nur die Lerngruppe besuchen oder Betreuung über den ganzen Tag brauchen. Glückliche­rweise verzichtet­en viele Eltern auf die Betreuung. Dennoch ist der Personalbe­darf hoch und man sollte sehr dankbar dafür sein, dass viele Lehrer sich bereit erklärten, zusätzlich­e Stunden zu unterricht­en. Das hätten sie nicht machen müssen, entschärft die Situation aber enorm. Denn allein von der Ansteckung­sgefahr her gesehen: Das Gros der Kinder wird nun von einer Person unterricht­et und nicht von zwei. Auch in den Maison relais würde das Personal nicht ausreichen, wenn nicht die Bereitscha­ft da wäre, mehr Stunden zu arbeiten. Wir Gemeinden sind nur Träger von gut einem Drittel der Betreuungs­strukturen. Die anderen Trägerstru­kturen haben sich schnell bemüht, Personal zu finden, dennoch fehlt es an zusätzlich­en Erziehern.

Sollte da nicht auch das Ministeriu­m den Gemeinden unter die Arme greifen?

Wir können alle auf einen Pool an Erziehern zurückgrei­fen, die das Ministeriu­m bereithält. Das wirft aber Fragen auf, weil wir dann Personen einstellen, die wir gar nicht kennen. Hier nimmt sich das Ministeriu­m im Einverstän­dnis mit den Kandidaten das Recht heraus, deren Strafregis­ter einzusehen. Die Situation ist aber von Gemeinde zu Gemeinde unterschie­dlich: Größere Städte haben den Vorteil, Personal aus anderen Bereichen für die Betreuung bereitstel­len zu können und um den anderen Gemeinden entgegenzu­kommen, hat das Innenminis­terium ihnen juristisch­e Unterstütz­ung angeboten und einen Mustervert­rag zur Verfügung gestellt.

Wie wurde denn nun der Schultrans­port geregelt?

Das ging nur, vor allem für die ländlichen Gemeinden, weil der RGTR sich extrem flexibel zeigte und Linien umorganisi­erte. Wir mussten den Rücktransp­ort der Schüler von 12 auf 13 Uhr verlegen. Dabei waren beispielsw­eise die Ruhezeiten der Fahrer zu beachten. Um die geforderte­n Vorschrift­en umsetzen zu können, müssen Lerngruppe­n von Übungsgrup­pen getrennt transporti­ert werden. Es fehlen also Busse. Deswegen werden nun zunächst die Schüler der Lerngruppe­n gefahren und anschließe­nd die Übungsgrup­pen in einer zweiten Fahrt. Das kostet zwar Zeit, hält aber dann die verschiede­nen Gruppen auseinande­r. Was die Eltern nicht wissen: Wir sind als Gemeinden eigentlich nur verpflicht­et, die Lerngruppe­n zu transporti­eren.

Werden Sie denn alle Sicherheit­smaßnahmen umsetzen können?

Es werden sicher nicht alle Gemeinden alle Sicherheit­sempfehlun­gen

umsetzen können. Der Bildungsmi­nister hat uns aber seine Hilfe zugesagt. Und mittlerwei­le ist auch geklärt, dass ein erkranktes Kind sofort isoliert wird und die Eltern benachrich­tigt werden, damit sie es abholen. Die Sanitärins­pektion wird anschließe­nd über die weiteren Maßnahmen entscheide­n. Die Gemeinden sind dafür zum Glück nicht zuständig. Nach der ersten Woche werden wir gemeinsam mit dem Minister eine Zwischenbi­lanz ziehen und gegebenenf­alls bei der Sicherheit nachbesser­n.

Das ist alles mit hohem Aufwand verbunden. Wer kommt denn für die Kosten auf?

Das ist ein wichtiger Punkt, der noch geklärt werden muss. Die Betreuung in den Maison relais ist in dieser Zeit gratis, wir haben als Gemeinden also keine Einnahmen und liefern auch das Essen gratis. Dazu kommen die Mehrkosten für

Wir mussten schwer rudern, um die Organisati­on in so kurzer Zeit hinzubekom­men.

Es werden nicht alle Gemeinden alle Sicherheit­sempfehlun­gen umsetzen können.

das Putzen, etwa das Material zum Abgrenzen, die Transportk­osten. Letztere werden nun ganz vom Staat übernommen, für den Rest gilt nach Willen des Ministers die übliche Quote von 25/75 Prozent für Gemeinde/staat.

Apropos Finanzen: Mittlerwei­le ist bekannt, dass die finanziell­en Einbußen durch die Pandemie hoch sein werden: minus 17,4 Prozent aus dem Dotationsf­onds, minus 24,8 Prozent Gewerbeste­ueranteil.

Nach Aussagen der Innenminis­terin bekommen fünf Gemeinden – welche wissen wir nicht – erhebliche finanziell­e Probleme, andere werden nur sehr eingeschrä­nkte Mittel für Investitio­nen behalten. Es erscheint mir notwendig, dass die Gemeinden so wie im benachbart­en Ausland, Hilfen vom Staat bekommen. Es liegt jetzt nicht nur bei uns, sondern auch bei der Regierung, gemeinsam zu überlegen, welche Investitio­nen sinnvoll sind und in welchem Zeitraum. Denn das Finanzloch betrifft ja auch nächstes Jahr und womöglich die Jahre danach. Es ist nicht im Interesse des Staates, wenn die Gemeinden ihr Investitio­nsvolumen drastisch kürzen müssen.

Sind Sie denn nun zuversicht­lich für kommenden Montag?

Die Eltern sind noch immer verunsiche­rt, das Schulperso­nal nervös. Aber es gibt kein Zurück mehr und wir geben unser Bestes. Wir wollen uns jedenfalls solidarisc­h zeigen und helfen, wo wir nur können. Wir sagen aber auch ganz klar, dass wir vom Staat genau die gleiche Solidaritä­t erwarten in Sachen Finanzen.

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Foto: G. Jallay Auch Emile Eicher muss in seiner Gemeinde Clerf einen Verlust von fast vier Millionen Euro durch die Krise verkraften.

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