Ballermann ohne Ballermann
Die Urlauberinsel Palma de Mallorca ist fast menschenleer – Zwei Seiten ein- und derselben Medaille
In der Nacht auf Samstag regnete es nochmal ordentlich in Palma. „Ich bin morgens um drei aufgewacht und hab gedacht: Jetzt wird wieder alles dreckig“, erzählt Marga Roca, die Chefkellnerin in der Cafeteria des Club Náutico im Hafen von Palma. Die Cafeteria hat gewöhnlich 365 Tage im Jahr geöffnet, nun war sie zum ersten Mal für zwei Monate geschlossen. „Wer hätte das gedacht. Unglaublich.“Am vergangenen Samstag machte sie wieder auf, nach neun Wochen Zwangspause. Als Roca den Anruf bekam, dass es wieder Arbeit gebe, war sie froh, „ich hatte große Lust, ich bin nicht gerne so lange zu Hause, und natürlich wegen des Geldes.“
Gespenstige Leere herrscht zurzeit im Urlauberparadies. Während die Mallorquiner zum einen Ruhe und Natur genießen, bangen sie zum anderen um ihre wirtschaftliche Existenz.
Palma kennen, mit Leben erfüllt …“, sagt Berghoff über die lange Leere, „ich mein, auf der einen Seite ist das schön – aber es ist unheimlich.“
Auf Mallorca hört man sonst gerne Klagen über die Touristenfluten. Marga Roca vom Club Náutico hat sie nie geteilt: „Wenn mir Palma im August zu voll ist, dann gehe ich eben im September in die Stadt“, sagt sie. Anderen geht die Touristifizierung Mallorcas schon seit langem zu weit. Eine Initiative in Palma nennt sich „Die Stadt denen, die sie bewohnen!“, zu der gehört Manel Domènech. Hat die Covid-19-pandemie seine Träume wahr gemacht? „Die Leute, die in der Stadt leben, bewohnen sie zurzeit ja nicht – sie bewohnen nur ihr eigenes Haus“, sagt Domènech. Ja doch, ihm gefällt es, dass sich die Natur erholt, dass Delfine in der Bucht von Palma schwimmen, dass Enten in die Stadt gekommen sind. „Mehr als Traurigkeit habe ich Ruhe und Frieden empfunden,“sagt er. Er hege keinen Hass auf Touristen, „überhaupt nicht“, aber jetzt sei der richtige Zeitpunkt, über die Zukunft
der Insel nachzudenken, über den Abschied von der touristischen Monokultur, über Diversifikation. „Ich habe das Gefühl, dass nichts bleiben kann, wie es wahr – mehr als ein Gefühl ist es ein Wunsch.“
Auch wenn niemand in die Zukunft schauen kann, versuchen genau das gerade alle zu tun. „Ich glaube, dass man sich im Prinzip keine Sorgen machen muss“, sagt Eduardo Morillo, Rezeptionist in einem Hotel. „Etwas Außergewöhnliches ist geschehen, und es wird wieder vorbeigehen, und dann kehren wir zur Normalität zurück. Mallorca ist ein Touristenort und wird es bleiben, ganz gleich, was gerade gesagt wird.“
Gemischte Gefühle
Im Moment aber gehört die Playa de Palma Leuten wie ihm, denen die dort wohnen und arbeiten. Auf Morillos Balkon kommen jetzt so viele Vögel geflogen wie nie, und wenn er – endlich wieder! – mit seiner Frau und seinem zwölfjährigen Sohn rausgeht, haben sie den Strand für sich. „Es ist alles leer, alles leer“, sagt er, „ich weiß nicht, ob ich dafür dankbar sein soll oder nicht.“Die gemischten Gefühlen teilt er mit fast allen Mallorquinern. Es sei sein erster Urlaub seit vielen Jahren, sagt Morillo, zum Glück einer, der ihm mit Kurzarbeitergeld bezahlt wird, mindestens noch bis Ende Juni.
Und wann geht es wieder los mit dem Betrieb? Das weiß keiner. Reiseveranstalter drängeln und verhandeln mit der Regionalregierung über „sichere Reisekorridore“, von denen schwer zu sagen ist, wie sicher sie sein werden. Noch sind die Hotels geschlossen – der Bierkönig, der Megapark und der Ballermann. „Alles auf Stand-by“, sagt Morillo. „Vielleicht werden wir bis nächstes Jahr keine Arbeit haben, vielleicht geht alles in diesem Juli wieder los“, meint er.
„Aber wenn ein Hotel im Juli wieder aufmacht, dann nur, weil Reservierungen eingegangen sind und man niemanden abweisen will, nicht weil es schon gute Geschäfte zu machen gäbe.“
Denn gute Geschäfte macht zurzeit noch niemand. Marga Roca zählte am Ende des ersten Tages in der Cafeteria des Club Náutico 60 Gäste, „eher weniger“. Den Umsatz schätzt sie auf 20 bis 25 Prozent eines Vorcoronasamstags. Ihre Chefin, Eugenia Cusí, kalkuliert mit ähnlichen Zahlen: „Der Handel auf Mallorca macht 75 Prozent seines Geschäfts mit Gästen und den Rest mit Einheimischen. In Restaurationsbetrieben dürfte es etwa das selbe Verhältnis sein.“
Wäre also schön, wenn wieder Gäste kommen, und noch schöner, wenn man sich sicher sein könnte, dass sie nicht das Virus mitbringen. Die Balearen gehören innerhalb Spaniens zu den wenig betroffenen Regionen. „Wir sind ein sicheres Ziel“, sagt Cusí, „aber auch ein verletzliches.“
Dass die Lufthansa ab 1. Juni wieder täglich Dutzende Maschinen nach Mallorca schicken will, „ist die Hoffnung – und die Sorge vor dem, was sie uns bringen werden“. Cusí bekommt von den Regierenden den Eindruck, „dass wir uns nicht mit großem Verantwortungsbewusstsein auf das vorbereiten, was da auf uns zukommen mag“.
Peter Berghoff hält die Erwartung, dass nun bald der Massentourismus nach Mallorca zurückkehrt, für „völlig unrealistisch“. Fast beiläufig erwähnt er, dass er sein Ärztezentrum schließen wird. Er hat noch ein anderes Standbein, eine Hausverwaltung. Die läuft gut. Die Leute mit Ferienwohnung auf Mallorca brauchen jetzt jemanden, der sich um sie kümmert. Wer weiß, wann sie sich selbst wieder auf den Weg auf die Insel machen.