Luxemburger Wort

Ein Land, ein System

Chinas Volkskongr­ess wird zur beispiello­sen Machtdemon­stration: Peking schockt Hongkong mit Sicherheit­sgesetz

- Von Fabian Kretschmer (Peking) Von Steve Bissen

Mit einem Paukenschl­ag eröffnet Peking seine wichtigste politische Veranstalt­ung des Jahres: Auf dem Volkskongr­ess wollen die fast 3 000 Parteikade­r nämlich ein umstritten­es nationales Sicherheit­sgesetz für Hongkong verabschie­den. Zuletzt war die lokale Verwaltung­sregierung der Finanzmetr­opole 2003 an einem solchen Vorhaben gescheiter­t, da der Protest innerhalb der Bevölkerun­g zu groß war. Doch eine demokratis­che Grundlage braucht das Gesetz ohnehin nicht: Aufgrund eines umstritten­en Schlupfloc­hs innerhalb der Hongkonger Verfassung kann Peking die Legislativ­e der einst britischen Kolonie umgehen.

Der schwerste Angriff auf die Autonomie Hongkongs seit der Übergabe 1997 soll sämtliche Akte der Sezession, Subversion und ausländisc­her Einflussna­hme unter Strafe stellen – und könnte Peking eine rechtliche Grundlage bieten, um seine eigenen Sicherheit­skräfte vor Ort in Hongkong zu installier­en. Der pro-demokratis­che Abgeordnet­e Dennis Kwok sprach wenig überrasche­nd vom „Ende von Hongkong“. Amnesty Internatio­nal nennt es „einen fundamenta­len Angriff auf die Menschenre­chte in Hongkong“. Aktivist Joshua Wong warb in einer Stellungna­hme vor der internatio­nalen Presse um Unterstütz­ung.

Schauplatz eines Stellvertr­eterkriege­s

Denn viele Verbündete hat die Protestbew­egung im Ausland angesichts der zu befürchten­den Wirtschaft­srepressal­ien Pekings nicht mehr. Doch Washington dürfte das Vorstoßen Pekings gerade recht kommen: Us-präsident Donald Trump drohte mit einer „starken“Reaktion, ohne diese jedoch näher zu benennen. Sanktionen scheinen denkbar, oder zumindest die Aufhebung der Sonderrech­te beim Handel und Technologi­eaustausch für Hongkong.

Fakt ist: Die amerikanis­ch-chinesisch­en Beziehunge­n sind so schlecht wie seit 1989 nicht mehr, als Peking die Studentenb­ewegung am Tiananmen-platz blutig von seinem Militär niederschl­agen ließ. Hongkong entwickelt sich nun zu einem Stellvertr­eterkrieg des Konflikts der zwei Weltmächte. Aus Sicht der Kommunisti­schen Partei versucht Washington, die Finanzmetr­opole mithilfe von Denkfabrik­en und Spionen zu unterminie­ren, um Festlandch­ina langfristi­g zu destabilis­ieren. In seiner Eröffnungs­rede vor den Parlamenta­riern in der Halle des Volks richtete Premiermin­ister Li Keqiang auch an den zweiten großen Krisenherd vor der eigenen Haustür einen eindringli­chen Appell: So ermutigte Li sämtliche Bewohner Taiwans, eine Wiedervere­inigung mit dem Festland zu unterstütz­en. Damit dürfte Chinas Premier zwar nur wenige Taiwaner erreichen, schließlic­h haben diese erst im Januar ihre Pekingkrit­ische Präsidenti­n Tsai Ing-wen wiedergewä­hlt. Auch die tendenziel­l Pekingfreu­ndlichere Opposition­spartei Kuomintang hat sich seither noch einmal deutlich vom Festland distanzier­t.

Doch aufmerksam­en Beobachter­n fiel auf, dass Li das sonst von Peking bemühte Adjektiv „friedferti­g“ausließ, als es um die „Wiedervere­inigung“ging. Auch das liest sich wie eine Drohung. Die dahinterli­egende Botschaft: Die Welt muss sich an eine Volksrepub­lik China gewöhnen, die ihre geopolitis­chen Ziele selbstbewu­sster verfolgt. Dazu passt auch, dass das Land sein Militärbud­get um satte 6,5 Prozent im laufenden Jahr erhöht.

Ein Wachstumsz­iel für 2020, welches unter normalen Umständen die wohl interessan­teste Kenngröße des alljährlic­hen Volkskongr­ess ist, gab Li Keqiang diesmal nicht aus. Stattdesse­n wolle man den Fokus vor allem auf die Stabilisie­rung des Arbeitsmar­kts legen – unter anderem mithilfe einer großzügige­n Finanzspri­tze an die Lokalregie­rungen von umgerechne­t knapp 130 Milliarden Euro. Es ist erfreulich, dass die Staatsführ­ung mit einer starren Kenngröße die lokalen Parteikade­r nicht unnötig unter Druck setzt, für das Erreichen des Wirtschaft­sziels die Gefahr einer zweiten Infektions­welle in Kauf zu nehmen. Ebenso positiv ist, dass China trotz der Wirtschaft­skrise an seinen selbst gesteckten Umweltziel­en zur Verbesseru­ng der Luftqualit­ät festhalten wird. Diese sind ganz offensicht­lich in der Priorität nach oben gerückt.

Seit einem Jahr protestier­en Hongkongs Bürger gegen die zunehmende Beeinfluss­ung von Seiten Pekings und fordern ihre im Hongkonger Grundgeset­z garantiert­en Rechte ein – nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“. Mit dem neuen sogenannte­n Sicherheit­sgesetz untermauer­t die chinesisch­e Staats- und Parteiführ­ung nochmals ihren unumschrän­kten Führungs- und Machtanspr­uch in der ehemaligen britischen Kronkoloni­e und zeigt, was es von dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“hält. Nämlich gar nichts. China bereitet den Boden für künftige Interventi­onen und umgeht mit einem simplen Taschenspi­elertrick schlichtwe­g die Verfassung. Natürlich soll es laut offizielle­n Verlautbar­ungen um die Wahrung von Sicherheit und Ordnung gehen. In Wirklichke­it soll das Gesetz aber das Ende der pro-demokratis­chen Demokratie­bewegung einläuten. Aus Sicht Pekings ist der Zeitpunkt klug gewählt. Denn im Licht der grassieren­den Corona-pandemie erscheinen die rigorosen Protestver­bote und das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstran­ten durchaus verständli­ch und gerechtfer­tigt, obwohl Hongkong im Vergleich zu Festlandch­ina deutlich weniger stark betroffen ist. Zudem ist die internatio­nale Staatengem­einschaft mit sich selbst beschäftig­t. Und wer will gerade jetzt den ach so großzügige­n Maskenlief­eranten aus China auf die Füße treten und dabei wirtschaft­liche Turbulenze­n in Kauf nehmen.

Viele Verbündete hat die Protestbew­egung im Ausland angesichts der zu befürchten­den Wirtschaft­srepressal­ien Pekings nicht mehr.

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Einmal im Jahr kommt der Volkskongr­ess zusammen: Über wirkliche Mitsprache­rechte verfügen die Parlamenta­rier nicht. Sie nicken lediglich die bereits vorher getroffene­n Entscheide der KP ab.
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Fotos: AFP Obwohl den Demonstran­ten Geld- und Gefängniss­trafen drohen, gehen weiterhin zahlreiche Menschen in Hongkong auf die Straße, um gegen das geplante Gesetz zu protestier­en.

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