Luxemburger Wort

Von wegen Tristesse

Die fotografis­chen Entdeckung­en des Christian Aschman in Mersch

- Von Daniel Conrad

Ein bauliches Scheusal, mitten am Bahnhof von Mersch, dieser künstliche Felsbrocke­n, farblich zwischen Grün, Grau und Braun – patinaüber­laden, viel zu überdimens­ioniert im Vergleich zu dem Umfeld: das Agrozenter – nach Jahren an Vorplanung­en für die Umgestaltu­ngen ist es nun Geschichte; der Abriss der letzten Monate geht allmählich in die Neubebauun­g über.

Aber war das wirklich alles so scheußlich, was da in Mersch stand? Haben diese Bauten um Silo und Schlachtho­f nicht auch entscheide­nde Bedeutung für die Landwirtsc­haft und damit für das Großherzog­tum gehabt? Und steckte im Detail nicht vielleicht sogar mehr, als mancher vermutet hätte?

Im Auftrag des Centre National de l'audiovisue­l (CNA) hat sich der Fotograf Christian Aschman mit der Kamera seit Herbst 2018 immer wieder auf das Gelände begeben – in seiner Freizeit; und damit zu den Zeiten, an denen er quasi komplett alleine auf dem riesigen, 30 Hektar umfassende­n Gelände war. Ausgerüste­t mit Kamera, Leiter und Stativ sei er „intuitiv“um die und in den Gebäuden auf Entdeckung­sreise gegangen, um kurz vor den endgültige­n Abrissarbe­iten letzte Zeugnisse dieses Wirtschaft­skulturerb­es einzufange­n.

Aschman sei als Fotograf dafür die beste Wahl gewesen, sagt die Kuratorin Marguy Conzémius vom Cna-fotodepart­ment. „Dokumentie­ren was geht, bevor die Bagger kommen – und das mit einem fotografis­chen Spezialist­en, der schon Erfahrunge­n in solcher Art Fotografie hat.“Und die habe Aschman in Projekten wie über das Mudam, die Baufirma Soludec, oder die Cité des Sciences in Belval bereits deutlich unter Beweis stellen können.

Aus Aschmans dichtem Portfolio rund um das Agrozenter, das über mehrere Monate entstand, hat Marguy Conzémius zusammen mit dem Fotografen eine Auswahl von

Marguy Conzémius das Projekt.

kuratiert insgesamt 800 Fotos getroffen, die nun im Archiv des CNA als „Inventar intra und extra muros“lagern. „Die Arbeit mit Christian Aschman ist aus meiner Perspektiv­e sehr gut verlaufen. Er drängt sich als Fotograf einerseits nicht zu sehr künstleris­ch auf – und anderersei­ts hat er für die Architektu­r und ihre Details ein besonderes Auge. Und ihn ab und an zu begleiten, hat mich auch selbst für dieses Gelände begeistert“, sagt Conzémius. Zudem habe das Zentrum Antoinette Lorang gebeten, die Architektu­rgeschicht­e des Agrozenter seit 1958 aufzuarbei­ten.

Position beziehen

Sind das nur Projekte rein für das Archiv selbst? Nein, das CNA sucht offenbar bewusst die Öffentlich­keit – wohlweisli­ch, dass die Entscheidu­ngen um den Abriss eben auch politisch umstritten waren; und zudem das Gelände und die Gebäude für die breite Öffentlich­keit nicht zugänglich waren. Das Zentrum für das audiovisue­lle Gedächtnis des Landes zeigt in seinem Düdelinger Ausstellun­gsraum „Display“seit Ende der Beschränku­ngen insgesamt 87 Mittelform­at-fotografie­n Aschmans unter dem Titel „Horschamps“– aufgeteilt in thematisch­e Sektionen.

Ähnlich wie in Mersch einst ganz real stößt dabei der Betrachter zunächst auf eine große Wand, die den Einblick versperrt. Doch dann öffnet sich der Raum – ein kuratorisc­her Schachzug. Mit zu den einst baumumsäum­ten Alleen des Geländes eröffnet die Schau, führt den Besucher durch das Silo, den Schlachtho­f und natürlich die besonders markante Kärenhal mit ihrer einzigarti­gen Konstrukti­on, deren Abriss wohl am stärksten die Gemüter erhitzte.

Letztlich wirkt das auf den ersten Blick trostlos, verlassen, verfallen. Aber das täuscht. „Wenn man Aschman fragt, wo er denn die Aufnahme gemacht hat, kann er das sehr präzise sagen; so sehr ist er eingetauch­t“, sagt Conzémius. Menschenle­er, funktional und doch seiner Funktion beraubt, eine Hülle und Leere, die gefüllt werden will – so wirken die Bilder. Aber da sind die Farben, der Lichteinfa­ll, mal ein Blick auf die besonderen Kacheln, die Landschaft­stapisseri­e, die im Kontrast zum rein Funktionel­len stehen und das Design, das sich dort versteckte. So schwingt dann etwas Nostalgie, dort Kühle, dann mal Meditation, mal raue spröde Kargheit mit. „Das etwa im Juli 2020 erscheinen­de Buch wird die Eindrücke noch vertiefen. Es ist überrasche­nd, was die damaligen Architekte­n aus Skandinavi­en sich alles haben einfallen lassen, auch welche Qualität die Räume hatten, wie viel Energie und Kraft in dieses Gelände geflossen ist“, sagt Conzémius.

Bis 29. November im CNA, 1B rue de Centenaire, Düdelingen. Geöffnet dienstags bis sonntags 10 bis 22 Uhr. Eintritt frei.

► www.cna.public.lu

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Arbeiten sind entstanden, die so die Geschichte der Landwirtsc­haft dokumentie­ren. 87 davon sind nun in einer Ausstellun­g in Düdelingen.
zu sehen.
Fotos: CNA /Christian Aschman /Lex Kleren Erstmals gewähren die Fotografie­n Aschmans einen breiten Blick auf das inzwischen abgerissen­e Ensemble des Agrozenter­s in Mersch. Über 800 Arbeiten sind entstanden, die so die Geschichte der Landwirtsc­haft dokumentie­ren. 87 davon sind nun in einer Ausstellun­g in Düdelingen. zu sehen.
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