Von wegen Tristesse
Die fotografischen Entdeckungen des Christian Aschman in Mersch
Ein bauliches Scheusal, mitten am Bahnhof von Mersch, dieser künstliche Felsbrocken, farblich zwischen Grün, Grau und Braun – patinaüberladen, viel zu überdimensioniert im Vergleich zu dem Umfeld: das Agrozenter – nach Jahren an Vorplanungen für die Umgestaltungen ist es nun Geschichte; der Abriss der letzten Monate geht allmählich in die Neubebauung über.
Aber war das wirklich alles so scheußlich, was da in Mersch stand? Haben diese Bauten um Silo und Schlachthof nicht auch entscheidende Bedeutung für die Landwirtschaft und damit für das Großherzogtum gehabt? Und steckte im Detail nicht vielleicht sogar mehr, als mancher vermutet hätte?
Im Auftrag des Centre National de l'audiovisuel (CNA) hat sich der Fotograf Christian Aschman mit der Kamera seit Herbst 2018 immer wieder auf das Gelände begeben – in seiner Freizeit; und damit zu den Zeiten, an denen er quasi komplett alleine auf dem riesigen, 30 Hektar umfassenden Gelände war. Ausgerüstet mit Kamera, Leiter und Stativ sei er „intuitiv“um die und in den Gebäuden auf Entdeckungsreise gegangen, um kurz vor den endgültigen Abrissarbeiten letzte Zeugnisse dieses Wirtschaftskulturerbes einzufangen.
Aschman sei als Fotograf dafür die beste Wahl gewesen, sagt die Kuratorin Marguy Conzémius vom Cna-fotodepartment. „Dokumentieren was geht, bevor die Bagger kommen – und das mit einem fotografischen Spezialisten, der schon Erfahrungen in solcher Art Fotografie hat.“Und die habe Aschman in Projekten wie über das Mudam, die Baufirma Soludec, oder die Cité des Sciences in Belval bereits deutlich unter Beweis stellen können.
Aus Aschmans dichtem Portfolio rund um das Agrozenter, das über mehrere Monate entstand, hat Marguy Conzémius zusammen mit dem Fotografen eine Auswahl von
Marguy Conzémius das Projekt.
kuratiert insgesamt 800 Fotos getroffen, die nun im Archiv des CNA als „Inventar intra und extra muros“lagern. „Die Arbeit mit Christian Aschman ist aus meiner Perspektive sehr gut verlaufen. Er drängt sich als Fotograf einerseits nicht zu sehr künstlerisch auf – und andererseits hat er für die Architektur und ihre Details ein besonderes Auge. Und ihn ab und an zu begleiten, hat mich auch selbst für dieses Gelände begeistert“, sagt Conzémius. Zudem habe das Zentrum Antoinette Lorang gebeten, die Architekturgeschichte des Agrozenter seit 1958 aufzuarbeiten.
Position beziehen
Sind das nur Projekte rein für das Archiv selbst? Nein, das CNA sucht offenbar bewusst die Öffentlichkeit – wohlweislich, dass die Entscheidungen um den Abriss eben auch politisch umstritten waren; und zudem das Gelände und die Gebäude für die breite Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Das Zentrum für das audiovisuelle Gedächtnis des Landes zeigt in seinem Düdelinger Ausstellungsraum „Display“seit Ende der Beschränkungen insgesamt 87 Mittelformat-fotografien Aschmans unter dem Titel „Horschamps“– aufgeteilt in thematische Sektionen.
Ähnlich wie in Mersch einst ganz real stößt dabei der Betrachter zunächst auf eine große Wand, die den Einblick versperrt. Doch dann öffnet sich der Raum – ein kuratorischer Schachzug. Mit zu den einst baumumsäumten Alleen des Geländes eröffnet die Schau, führt den Besucher durch das Silo, den Schlachthof und natürlich die besonders markante Kärenhal mit ihrer einzigartigen Konstruktion, deren Abriss wohl am stärksten die Gemüter erhitzte.
Letztlich wirkt das auf den ersten Blick trostlos, verlassen, verfallen. Aber das täuscht. „Wenn man Aschman fragt, wo er denn die Aufnahme gemacht hat, kann er das sehr präzise sagen; so sehr ist er eingetaucht“, sagt Conzémius. Menschenleer, funktional und doch seiner Funktion beraubt, eine Hülle und Leere, die gefüllt werden will – so wirken die Bilder. Aber da sind die Farben, der Lichteinfall, mal ein Blick auf die besonderen Kacheln, die Landschaftstapisserie, die im Kontrast zum rein Funktionellen stehen und das Design, das sich dort versteckte. So schwingt dann etwas Nostalgie, dort Kühle, dann mal Meditation, mal raue spröde Kargheit mit. „Das etwa im Juli 2020 erscheinende Buch wird die Eindrücke noch vertiefen. Es ist überraschend, was die damaligen Architekten aus Skandinavien sich alles haben einfallen lassen, auch welche Qualität die Räume hatten, wie viel Energie und Kraft in dieses Gelände geflossen ist“, sagt Conzémius.
Bis 29. November im CNA, 1B rue de Centenaire, Düdelingen. Geöffnet dienstags bis sonntags 10 bis 22 Uhr. Eintritt frei.
► www.cna.public.lu