„Chance vertan“
Christian Aschman und das aufgezeichnete Erbe
Ein mulmiges Gefühl hatte der Fotograf Christian Aschman nicht nur im einstigen Schlachthof auf dem Gelände des Agrozenters. Sollte er trotz der Ausrüstung noch einen der Lifte benutzen – wo doch kaum noch ein Mensch dort arbeitete? Dann eben doch die Treppe aufs Dach des Silos nehmen – und mit der Taschenlampe in den Keller. Der Fotograf spürte eben auch seine Verantwortung.
Christian Aschman, wie geht man an die Aufgabe, 20 Gebäude und ihr Umfeld auf knapp 30 Hektar zu dokumentieren – und das unter dem Zeitdruck, dass jeden Moment der Abriss beginnen könnte?
Ich musste mich ein Stück weit von diesen Problemen freimachen. Natürlich war allein schon die Größe beeindruckend, fast erschlagend – und eben der Stressfaktor da. Aber ich habe versucht, Stück für Stück intuitiv zu entdecken und mir dann für die Bilder Zeit zu lassen. Die meisten entstanden mit dem Stativ. Das Skulpturale dieser Architektur und in diesen Räumen reizte mich besonders. Diese Hallen hatten etwas Einmaliges, Urbanes und Minimalistisches, was mir sehr gefallen hat.
Moderne „Lost places“haben – das zeigen Plattformen wie Instagram und Co. – für Fotografen einen besonderen Reiz. Überwog der Spaß oder die Verantwortung?
Einerseits galt es die letzten Momente festzuhalten, bevor es zu spät war. Ich hatte an einem Tag noch ein Gebäude fotografiert, am anderen war es schon abgebrochen. Letztlich lag der Reiz, diese Nachkriegsarchitektur noch festzuhalten und so viel wie möglich davon dem Betrachter näherzubringen.
Wie bekommt man solche Volumen überhaupt auf ein Bild?
Eben das ist eine Frage – und andererseits ja auch: Welche kleinen Details zeige ich; wie die Farben, die Kacheln und die Materialoberflächen wie den Beton, aber auch designte Anteile. Letztlich stellst du dir dann immer wieder diese Fragen – und versuchst, sie möglichst gut mit der Kamera zu beantworten. Und das braucht Instinkt und auch Erfahrung. Einiges entsteht auf den ersten Blick, andere Bilder erst mit Winkelkorrekturen und Ruhe. Aber der erste Moment, der erste Eindruck war für mich oft auch der, der über das Bild entschied.
Ihre Arbeiten wirken menschenleer, als Abglanz dieses Wirtschaftserbes ...
Einerseits war ja der Betrieb schon eingestellt und ich habe oft am Wochenende dort fotografiert. Da war dann auch niemand von den Baufirmen da. Und dieses Gelände und besonders auch die Natur – leider ist der Baumbestand, der dort zum Beispiel an den Alleen stand gerodet worden – wirkte eben auch durch seine Ruhe.
Aber wird einem da nicht mulmig zumute?
Natürlich, im Schlachthof zum Beispiel und generell den vielen toten Tieren wie Vögeln und Mäusen. Und zwar habe ich Teile der Keller auch dokumentiert, aber mich dann auch nicht zu weit vorgewagt.
Was hat Sie besonders überrascht?
Die Dimensionen einerseits. Mir war nicht klar, was für eine schiere Masse an Gebäuden und ihrer zum Teil sehr besonderen Architektur auf mich warten würde. Das Skulpturale daran wollte geradezu bildkompositorisch verwendet werden. Und ich kannte ja auch wie die meisten nur die Ansicht vom Bahnhof aus. Das Licht andererseits – die Räume waren sehr hell oder hatten wegen der Materialien wie der Glasbausteine auch eine besondere Lichtstimmung – auch wenn das eigentlich rein funktional nicht notwendig gewesen wäre. Und es war auch eine sehr physische Arbeit.
Mit der Ausrüstung dort zu
Fuß unterwegs zu sein und dann zum Beispiel auf die Dächer zu kommen, war ein Kraftakt – auch weil ich nicht wusste, ob die Technik wie zum Beispiel die Lifte noch richtig funktionieren.
Wie sehen Sie das Projekt nach dem Abriss? Dokumentieren Sie auch die Transformation?
Nein, das war nicht geplant. Letztlich glaube ich, dass dort eine Gelegenheit verpasst und eine Chance vertan wurde – nicht nur für das bauliche Erbe der Nachkriegszeit.
Christian Aschman erhielt den Cna-auftrag.