Kleine Form ganz groß
Hölderlin-schau beleuchtet Schaffen und Rezeption des Dichters
Marbach. Lyrik-freunde können sich im Literaturmuseum der Moderne (Limo) in Marbach bis 1. August mittels rund 150 Objekten und Mitmachstationen bei der Ausstellung „Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie“dem verdichteten Wort widmen. Die Herangehensweise ist zum einen klassisch in Form von Textanalyse, zum anderen mit modernen Mitteln. Auf DIN A5-pappen zum Mitnehmen lernen Besucher beispielsweise, dass Hölderlin das Wort „trunken“36-mal verwendete, hingegen „heilig-nüchtern“nur einmal.
Die Schau ist Teil des rund 650 Punkte umfassenden Programms von „Hölderlin 2020“, von denen viele Veranstaltungen – abgesehen von der Eröffnung des Hölderlin-turms in Tübingen Mitte Februar – wegen der Pandemie verschoben oder abgesagt wurden.
In Lauffen am Neckar begann 1770 Hölderlins zweigeteiltes Leben. Nach einem Umzug nach
Nürtingen und Besuchen der evangelischen Klosterschulen in Denkendorf und Maulbronn wechselte er ins Tübinger Stift, da er Pfarrer werden sollte. Dort bildete er mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling eine Wohngemeinschaft und debattierte mit ihnen über Kant, die Aufklärung und die Französische Revolution.
Zwischen Weimarer Klassik
und Romantik
Nachdem er sich dem Pfarrersberuf verweigerte, verdingte er sich als Hauslehrer, zunächst in Unterfranken. In Jena hörte er Vorlesungen von Johann Gottlieb Fichte und lernte Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller kennen.
Die nächste Station hieß Frankfurt. Nach dem Auffliegen seiner Liaison mit der Frau seines dortigen Auftraggebers, Susette Gontard, lebte er kurz in Bad Homburg und arbeitete im schweizerischen Thurgau und im französischen Bordeaux. Als er 1802 nach Nürtingen zurückkehrte und vom Tod Susettes erfuhr, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Eine Zwangsbehandlung im Tübinger Klinikum folgte, er wurde als unheilbar entlassen und nach Jahren des Reisens begann 1807 der zweite, zurückgezogene Teil seines Lebens. Ihn verbrachte er in Verwirrtheit bis zum Tod 1843 im Tübinger Turm.
Seine herausragende Dichtkunst, die zwischen den Epochen der Weimarer Klassik und der Romantik liegt, zeigt sich – abgesehen vom Briefroman „Hyperion“und dem Fragment gebliebenem Drama „Der Tod des Empedokles“– in der Lyrik. Die Sprache seiner Gedichte in oftmals antikem Versmaß ist emphatisch-ekstatisch, sein kreativer Satzbau ruhelos, dynamisch, seine Griechenlandsehnsucht offensichtlich.
Obwohl seine Oden, Hymnen und Elegien, selbstredend im „hohen Ton“verfasst, oft rätselhaft wirken und zuweilen schwer zu verstehen sind, ist ihre Rezeptionsgeschichte lang. Dabei wurde Hölderlin von rechts wie von links als Zeuge ins Feld geführt. So beeinflusste Hölderlins Werk Martin Heidegger, den Kreis um Stefan George und wurde von der Nspropaganda vereinnahmt. Zugleich diente es Theodor Adorno und Samuel Beckett, Bertolt Brecht und Paul Celan zur Inspiration.
Ihn beschrieb der stellvertretende Leiter des Deutschen Literatur Archivs, Jan Bürger, als „größten Leser Hölderlins im 20. Jahrhundert“und einen der einflussreichsten Lyriker für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Celan, vor allem bekannt durch sein Gedicht „Todesfuge“, wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Zugleich jährt sich sein Todestag zum 50. Mal. Sein Nachlass gehört zu den bedeutendsten Beständen des DLA, dessen Sammlung, so Bürger, schon immer durch Lyrik stark geprägt sei. „Jetzt gilt es, die kleine Form groß zu machen.“KNA