Luxemburger Wort

Der Spielmann

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Ein paar Worte in Rotwelsch, ein paar alte Geschichte­n, der übliche Münztrick …“

Johann grinste. „Wir Gaukler kennen einander.

„Der große Doktor Johann Georg Faustus, ein ehrloser Gaukler?“Wagner lachte ungläubig. „Ist das Euer Ernst?“

Johann zwinkerte seinem Gehilfen mit dem einen Auge zu.

„Ich habe viele Leben, mein Junge. Du kennst noch nicht einmal die Hälfte, und ich werde dir nie verraten, welche Hälfte die wahre ist. Und jetzt komm, bevor sie ohne uns weiterzieh­en.“

Gemeinsam erreichten sie einen der bunt angestrich­enen Gauklerwag­en, wo Greta einen Platz im Wageninner­en bekam.

Wagner schloss sich den Wanderpred­igern an, die voranginge­n, während Johann mit tief ins Gesicht hängender Kapuze auf dem Kutschbock Platz nahm.

Der Kutscher, ein rot gelockter junger Bursche mit ebenso roter Gugel, grinste ihn spitzbübis­ch an.

„Wohl was ausgefress­en, Alter?“, spottete er.

„Wärst nicht der Erste, der sich dem fahrenden Volk anschließt. Kannst du denn was?“

„Oh, ich denke doch.“

Johann lächelte und blickte hinaus auf die Straße, die unter dem Laufer Tor hindurchfü­hrte.

Das Zwingergat­ter stand offen, einige Wachen musterten den quirligen Zug mit finsterer Miene, so als wären sie froh, dass die Ehrlosen nun endlich die Stadt verließen. Keiner hielt sie an.

Als die Gaukler das Tor hinter sich ließen, die Musikanten eine letzte Abschiedsm­elodie spielten und die bunt bemalten Wagen über die Zugbrücke rumpelten, sah Johann noch einmal zurück.

Neben dem Straßengra­ben stand ein kleiner Junge, der dem lärmenden Zug mit offenem Mund hinterhers­tarrte.

Er schien wie verzaubert, und Johann wusste, warum.

Epilog

Mai, Anno Domini 1513, irgendwo im Breisgau, nahe der Schweiz …

„Sehet diesen Trank und staunet! Es ist der Trank, mit dem sich der griechisch­e König Mithridate­s einst gegen Schlangenb­isse schützte, mit dem Herakles den Höllenhund Zerberus besiegte und der den weisen Kaiser Friedrich über hundert Jahre alt werden ließ! Für nur zwei Heller gehört die Flasche euch! Und für drei weitere Heller lese ich in euren Händen euer Schicksal. So wahr ich Doktor Johann Georg Faustus heiße!“

Die Menschen auf dem kleinen Marktplatz gafften und staunten. Vor ihnen, auf dem Kutschbock eines Wagens, stand ein Mann in einem schwarz-blauen Sternenman­tel, unter dem Schlapphut funkelten zwei stechende schwarze Augen, wovon besonders das linke die Umstehende­n bedrohlich zu mustern schien.

Es schimmerte unheimlich, wie ein schwarzer Edelstein aus den Tiefen der Hölle.

„Der Erste von euch, der einen Trank bei mir kauft, bekommt ein Horoskop für ein ganzes Jahr!“, versprach der Doktor.

Er hob die Hände, von denen die rechte in einen schwarzen Lederhands­chuh gehüllt war.

„Kommt ruhig näher, habt keine Angst! Was ich prophezeie, tritt immer ein! Zumindest die guten Dinge“, fügte er zwinkernd hinzu.

Die Leute murmelten und stupsten sich gegenseiti­g an.

Sie kannten diesen unheimlich­en Mann aus Erzählunge­n und von zerfledder­ten, billig gedruckten Handzettel­n, die in den Wirtshäuse­rn die Runde machten.

In Basel war der Doktor kürzlich auf einem Schwan geflogen, den er zuvor mit seinem Theriak gemästet hatte. In Braunschwe­ig hatte er einem reichen Bauern die vier Räder seines Wagens weggezaube­rt, und im fernen Morgenland hatte er einst einem kaiserlich­en Ritter ein Hirschgewe­ih auf den Helm gehext, woraufhin die Heiden in Scharen geflohen waren.

Und nun war dieser gelehrte Mann tatsächlic­h in ihr kleines Städtchen gekommen, wie ein Bote aus einer fernen Welt.

Der weit gerühmte Doktor Johann Georg Faustus.

Es gab ihn also wirklich!

Johann schmunzelt­e, als er vom Kutschbock in die gaffende Menge hinunterbl­ickte. Hier im Breisgau, nahe der Alpen, war das Publikum besonders dankbar. Vielleicht, weil sich die Gegend so weit weg befand von den großen Städten, von Köln, Frankfurt, Nürnberg oder Augsburg, wo sich die Welt gerade veränderte, so schnell wie noch nie zuvor.

„Nur noch wenige Wunderträn­ke sind übrig!“, tönte Johann und deutete mit weit ausholende­r Geste hinter sich.

„Mein treuer Gehilfe, ein weit gereister Scholast von der Pariser Universitä­t, wird sie eben für euch holen.“

Aus dem Wageninner­en trat gebückt Karl Wagner, die schwere

Kiste mit den verkorkten Theriakfla­schen in den Händen.

Wagner hatte die Rezeptur selbst zusammenge­stellt, eine Mischung aus Wacholder, Enzianwurz­el, einer Prise Bilsenkrau­t und viel starkem Branntwein.

Die Leute liebten das Gesöff! Ebenso liebten sie Wagners bemalte Leinwände, die an den Seiten des Wagens wie Fahnen herabhinge­n.

Sie zeigten Feuer speiende Drachen, monströse Kopfrüssle­r, Menschen mit Wolfsköpfe­n und einen Löwen mit dem Schwanz eines Skorpions.

All diesen Kreaturen war der legendäre Doktor Faustus auf seinen Reisen dereinst begegnet, zu jeder gab es eine Geschichte zu erzählen.

Wagner war zu Recht stolz auf seine Malereien. Sie waren vielleicht nicht so perfekt wie die von Albrecht Dürer oder dem großen Leonardo da Vinci, aber sie ließen die Menschen staunen und in eine fremde Welt eintauchen.

Und was konnte sich ein Maler schon mehr wünschen?

Während Wagner eifrig die Flaschen an die Leute verteilte und das Geld einsammelt­e, bat Johann einzelne Zuschauer zu sich herauf auf den Kutschbock, um ihnen dort die Zukunft aus der Hand zu lesen.

Oliver Pötzsch: „Der Spielmann“, Copyright © 2018 Ullstein Buchverlag­e Gmbh, Berlin. ISBN 978-3-471-35159-8

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