Freiluftwohnzimmer
Möbel, die im Innenbereich gefallen, finden dank neuer wetterfester Materialien nun auch im Garten Platz
Da selbst unermüdliche Jetsetter die Sommerferien wohl innerhalb der heimischen Grenzen, vielleicht sogar im eigenen Gärtchen verbringen werden, bleibt einem nicht viel anderes übrig, als in Erinnerung an die letzte Reise zu schwelgen oder – wenn Budget, Platzverhältnisse und Verfügbarkeit es zulassen – bei sich zu Hause im Garten oder auf dem Balkon eine Ferienoase zu schaffen. Inspiration dazu liefern die Bilder vieler Designhotels, deren Terrassen mit üppig ausstaffierten Sitzplätzen in frischen Farben und einladenden Formen Sehnsüchte nach Natur, Freiheit und exotischen Gefilden wecken. Trotzdem ist der gegenwärtige Outdoorboom für die Hersteller ein zweischneidiges Schwert: Auch wenn die gegebenen Umstände dazu führen, dass wieder mehr ins Daheim investiert wird, sind diese auch dafür verantwortlich, dass viele italienische Produktionsstätten, die mehrheitlich in der Lombardei liegen, zu eben genau dieser Zeit teilweise stillstehen.
Doch, und das mag die Hoffnung ein Stück weit nähren, wird dieser Trend mit dem Ende der aufgezwungenen Sesshaftigkeit nicht einfach verschwinden: Den luxuriösen Komfort, den sie innerhalb ihrer vier Wände pflegen, wünschten sich viele Kunden seit längerer Zeit auch für den Außenbereich. Das haben die italienischen Hersteller, deren Augenmerk in jüngster Vergangenheit eher auf dem Interieur lag, rasch verstanden und zeigten an den letzten Möbelmessen häufig auch Outdoor-premieren: B&B Italia setzt ebenso wie Minotti vermehrt auf eine Gartenmöbel-strategie, Cassina zeigte gerade seine erste vollständige Outdoor-kollektion für Terrassen, und selbst den Sofa-spezialisten Flexform zieht es nun nach draußen in den Garten.
Der Witterung zum Trotz
Während der Markt in der Inneneinrichtung schon relativ gesättigt ist, stellt der Außenmöbelbereich ein noch offenes Feld dar, das Platz für neue Ideen bietet. Viele Firmen haben lange experimentiert und ihre Forschung auf den Outdoor-bereich gerichtet. Denn die Ausweitung des Angebots birgt durchaus noch Potenzial im Luxussegment: Privatgärten als Erholungsraum, aber auch als Zeichen von Prestige und Wohlstand sind eine lukrative Nische. Um den Kundenbedürfnissen nach mehr Luxus im Garten und auf Terrassen gerecht zu werden, wurde insbesondere nach neuen Materialien gesucht, die einen weitaus höheren Komfort bieten sollen als das oftmals billig wirkende und vielfach verpönte Plastik. Die Qualitäten von wasserabweisenden Bezügen und Polsterungen haben als Folge davon solche Fortschritte gemacht, dass sie kaum noch zu unterscheiden sind von der Haptik, die man aus dem Wohnzimmer kennt.
Doch wie kann man Stoff – jenes Material, das man bis anhin akribisch vor Feuchtigkeit geschützt hat – schadlos der Witterung aussetzen? Legt man ein gewöhnliches Kissen auf die Terrasse, ist es nach einigen Sonnentagen bereits verbleicht, oder es riecht unangenehm, weil sich Feuchtigkeit im Innern staut, die nicht richtig trocknen kann. Dass ausgerechnet die italienischen Hersteller darauf neue Antworten gefunden haben, erstaunt wenig. Ihre Wurzeln liegen nicht selten in der Ausstattung von Kreuzfahrtschiffen, wo das Mobiliar stürmischen Bedingungen ausgesetzt ist. Die Lösung findet sich unter anderem im chemischen Bereich: Polyester-mischungen, Polyacryl-gewebe, Polyolefinoder Polyurethan-fasern ermöglichen einen guten Schutz gegen Feuchtigkeit und Sonneneinstrahlung, aber auch gegen ölbasierte Flüssigkeiten wie zum Beispiel Sonnencremes.
Die neuen witterungsbeständigen Möglichkeiten sind besonders für Innenarchitekten, die damit streng genommen ihr Arbeitsumfeld
und so auch ihren Titel an sich erweitern, interessant. Denn vor allem Kunden aus dem Luxussegment suchen vermehrt nach ganzheitlichen Konzepten. Das bestätigt auch der Möbelhersteller B&B Italia, der seit der Lancierung im Jahr 2007 einen wachsenden Erfolg im Outdoor-segment beobachtet. Mit der neuen Kollektion „Ayana+, die größtenteils aus dem Tropenholz Teak sowie veredelten Textilien gefertigt ist, werden komplette Wohnzimmereinrichtungen nach draußen verlagert.
Altbewährtes in neuem Rahmen
Ob es am immer milder werdenden Klima liegt, dass Möbel für den Außenbereich einen derartigen Aufwind erfahren? Vielleicht. Garantiert ist, dass es ein Grundbedürfnis des Menschen ist, sich draußen aufzuhalten; im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Outdoor-boom von einem Trend zu sprechen, klingt denn auch etwas eigenartig. Schließlich übt die
Natur seit je eine Faszination auf den Menschen aus. Diese umzunutzen und zu gestalten, bietet vielerlei kreative Möglichkeiten. So haben jüngst auch einige namhafte Galerien damit begonnen, Landschaftsgärtner mit der Gestaltung von Außenanlagen zu beauftragen – so etwa die international äußerst erfolgreiche Schweizer Galerie Hauser & Wirth, die sich für ihre Niederlassung im britischen Somerset mit dem Niederländer Piet Oudolf zusammentat.
Bei der heutigen Verdichtung des Wohnraums könnte man denken, dass man es sich gar nicht mehr leisten kann, so hohe Anforderungen an den Außenbereich zu haben. Doch genau das macht diesen so interessant. Hinzu kommt der vielfach geäußerte Wunsch nach einem Stückchen Natur, im Minimum einem Balkon, der bestenfalls noch selbst gezogene Ingredienzen für die Küche und ein Zuhause für Wildbienen bieten soll. Es sei also nur logisch, dass Garten, Terrasse und Balkon ebenso gestalterisch durchdacht sein sollen wie das Wohnzimmer oder die Küche, findet Matteo Galimberti, Vorsitzender beim italienischen Möbelhersteller Flexform. Designer, aber auch Kunden sollten den Außenraum unbedingt als eine Erweiterung des Innenraums betrachteten und ihm die gleiche Aufmerksamkeit schenken.
Flexform hat sich bei der ersten Outdoor-kollektion denn auch dafür entschieden, nichts komplett Neues zu erfinden, sondern Bestseller aus der Indoor-kollektion für außen zu adaptieren. Mit dieser Taktik ist Flexform längst nicht allein. Tatsächlich gleichen sich Outdoor-kollektionen nicht nur in der Haptik immer stärker den Indoor-möbeln an, sondern auch in ihrem Design. Auch Cassina setzt für seine Outdoor-möbel-kollektion auf Altbewährtes, indem Neuauflagen von Klassikern – etwa die Kollektion „LC“von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand – mit poliertem Edelstahl und einem speziellen Gewebe aus Polyestergarn wetterfest gemacht wurden.
„Der Markt für Outdoor-möbel wächst, und der Außenbereich hat einen immer wichtigeren Einfluss auf unser Leben“, begründet CEO Luca Fuso diesen Entscheid. Er ist seit Ende 2018 Vorsitzender des italienischen Möbelherstellers. Als er am letztjährigen Salone del Mobile die neue Kollektion „Cassina Perspective“vorgestellt habe, sei für ihn klar gewesen, dass er die Kollektion nach draußen ausdehnen wolle. „Wir wollen die Geschichte des Designs in einem vollständigen Rahmen darstellen.“Will heißen: neue Produkte von Rodolfo Dordoni, Philippe Starck oder Patricia Urquiola sowie ihre ikonischen Stücke in wetterfester Form.
Bei Minotti hört man ebenfalls von einem bisher (noch sind die Auswirkungen der Corona-krise unklar) stark wachsenden Geschäft. Das liege natürlich auch daran, dass das Outdoor-segment gleich doppelte Möglichkeiten biete: Privathaushalte wie auch Gastronomie und Hotellerie. Bei Letzterer werden zudem oft nicht nur Gärten, sondern gleich ganze Wellness-anlagen gestaltet. Zu den Bestsellern im Outdoor-bereich gehört laut Hersteller das Sitzprogramm „Florida“von Rodolfo Dordoni – eine Couch, die das traditionelle Design-auge eher dem Innenbereich zuordnen würde.
Auffallend ist diese elegante, prätentiöse Ästhetik, die die Kollektionen der italienischen Hersteller oftmals eint und sich stark abhebt von den herkömmlichen Gartenmöbeln, die traditionellerweise eher funktional daherkommen. Zu den schlichten Farben gesellen sich teils auch bunte Ausführungen in Orange oder Grün. Wofür drinnen der Mut fehlt, das sorgt im Freiluftwohnzimmer für eine manchmal auch willkommene Abwechslung.