„Jetzt in den Klimaschutz investieren“
Die österreichische „Superministerin“Leonore Gewessler über die Corona-krise als Chance für die Umwelt
Leonore Gewessler ist quasi die grüne Gralshüterin der Regierung in Wien. Fallen in ihr Ressort doch die allermeisten jener Punkte, die man als „grüne Handschrift“im Regierungsprogramm der Koalition aus ÖVP und Grünen bezeichnen würde. Gewessler ist Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Und es sind eben Themen, die in ihre Zuständigkeit fallen, die Stimmen aus der ÖVP angesichts der mit der Corona-krise einhergehenden Wirtschaftskrise zuletzt vermehrt als Verhandlungsmasse bezeichnet hatten.
Leonore Gewessler, hat Ihnen diese Krise einen Strich durch die Rechnung gemacht oder steckt in den gegenwärtigen Veränderungen doch auch eine Chance?
Was man in der Corona-krise gerade spürt, ist, wie sich Krise anfühlt. Wir sehen aber auch, dass man die Corona-krise mit Konsequenz, mit Durchhaltevermögen, mit dem Hören auf die Wissenschaft und bald hoffentlich auch mit einer Impfung in den Griff bekommen kann. Aber wenn die Klimakrise einmal da ist, dann bleibt sie und dann wird der Krisenzustand zum Dauerzustand. Impfung wird es dagegen keine geben. Daher ist es so wichtig, den Weg aus der Corona-krise dafür zu nützen, die Weichen richtig zu stellen. Nicht nur im Kampf gegen die Arbeitsmarktund Wirtschaftskrise, sondern auch im Kampf gegen die Klimakrise. Und da bin ich sehr zuversichtlich.
Aber orten Sie denn ein großes Bekenntnis zu diesem Thema seitens Ihres Koalitionspartners?
Wir stehen am Weg aus dieser Krise wirklich vor einer außergewöhnlichen Situation: Aber das bedeutet, wir werden investieren müssen. Und zwar klug investieren müssen. Und klug investieren heißt, jetzt in den Klimaschutz zu investieren. Weil Klimaschutz ist das beste und zukunftsweisendste Konjunkturprogramm. Klimaschutz ist eine tragende Säule des Konjunkturprogramms – der gesamten Bundesregierung, selbstverständlich.
Im Regierungsabkommen kommt das Wort Klima 243 Mal vor. Und da ist jetzt immer öfter die Rede davon, dass man dieses Abkommen nachverhandeln wird. Wo ist da Spielraum?
Das Regierungsprogramm steht. Aber natürlich diskutieren wir jetzt darüber, welche Maßnahmen
wir aufgrund der aktuellen Situation vorziehen können. Und da sind auch Klimaschutzmaßnahmen dabei. Beispiel Infrastruktur: Wenn ich Bahninfrastruktur baue, schaffe oder sichere ich nicht nur Arbeitsplätze. Ich schaffe nachhaltige Investitionen in den Klimaschutz und vor allem auch regionale und lokale Wertschöpfung.
Also waren dies Stimmen, die ein Nachverhandeln des Regierungsprogramms fordern, einmalige Testballons?
Diese Stimmen aus Wien – sowohl vom Bundeskanzler als auch vom Vizekanzler – waren ganz klar. Das Regierungsprogramm steht. Aber wie gesagt: Das ist eine außergewöhnliche Situation, auf die Politik entsprechend reagieren muss.
Sie haben den Bahnausbau erwähnt. Jetzt ist das dominierende Thema dieser Tage aber die Austrian Airlines. Sie haben da ökologische Maßnahmen eingefordert. Sehen Sie sich da zusammen mit dem Koalitionspartner an einem Strang ziehend?
Die Bundesregierung hat immer klar gesagt: Wenn man für ein Unternehmen mehrere hundert Millionen Euro in die Hand nehmen soll, müssen die auch an Bedingungen geknüpft sein. Das sind Bedingungen für Arbeitsplätze, Standort und natürlich Klimaschutz. Eine wichtige Maßnahme ist, dort wo man auf die Bahn verlagern kann, auch auf die Bahn zu verlagern. Andere sind veränderte Rahmenbedingungen bis hin zu alternativen Treibstoffen.
Die Finanzlage ist völlig unklar. Und Ihr Ressort ist eines, in das die ganz großen Ausgaben hineinfallen: Bahnausbau, Infrastruktur. Wie kann man da arbeiten?
Wir diskutieren ja gerade das Budget 2020 im Budgetausschuss. Da sind einige deutliche Schwerpunkte im Klimaschutz aus dem Regierungsprogramm jetzt schon abgebildet: zentrale Maßnahmen wie eben der Bahnausbau, oder die Förderung der aktiven Mobilität, die Energiewende, die thermische Sanierung. Und gerade beim Infrastrukturausbau gibt es ja langfristige Planungssicherheit durch langfristige Investitionspläne. Und mit dieser Basis lässt es sich beginnen zu arbeiten.
Krisen sind immer Zäsuren. Es sind auch Zeiten, wo man sich auf dem Weg aus der Krise sehr bewusst für Weichenstellungen entscheiden kann.
Was meinen Sie, lässt sich eine Gesellschaft durch eine Krise wirklich fundamental ändern?
Selbstverständlich können sich Gesellschaften verändern. Krisen sind immer Zäsuren. Es sind auch Zeiten, wo man sich auf dem
Weg aus der Krise sehr bewusst für Weichenstellungen entscheiden kann. Und man kann auch manche Dinge, die man in dieser Krise gesehen oder gelernt hat mitnehmen in den Kampf gegen die Klimakrise. Es ist sehr sichtbar geworden, wie sehr unsere Wirtschaft international verflochten ist und zu welchen Abhängigkeiten das führt. Aber
Krise ersetzt keine Politik – und auch keine Klimapolitik. Und daher ist es so wichtig, dass wir jetzt die Rahmenbedingungen richtig setzen.
Seitens der EU wurden dahin gehend Ziele aus der Krise neuerlich formuliert. Ist das ausreichend?
Ursula von der Leyen hat ja zu Beginn ihres Mandats den Green Deal präsentiert, nicht nur als die zentrale Klimastrategie für die EU, sondern als die zentrale Wirtschaftsstrategie. Und ich glaube, seine Stärken kann dieser Deal gerade jetzt ausspielen. Wir investieren in einen Wiederaufbau, einen Neustart unserer Wirtschaft, aber so, dass wir langfristig in eine richtige Richtung – nämlich in Richtung Klimaneutralität 2050 – gehen.