Machtdemonstration
Während in Hongkong wieder Aktivisten auf die Straße ziehen, spricht Chinas Außenminister unmissverständliche Worte
Bereits zur Mittagsstunde versammelten sich die schwarz vermummten Aktivisten mit Regenschirmen und Protestbannern im Hongkonger Shopping-viertel Causeway Bay, um gegen das von Festlandchina geplante „Nationale Sicherheitsgesetz“zu demonstrieren. Wenig überraschend wurden sie von Bereitschaftspolizisten mit Wasserwerfern und Tränengasgeschossen in Schach gehalten. Die auf den sozialen Medien geteilten Videos der Ausschreitungen von gestern erinnern mit erschreckender Ähnlichkeit an den schon alltäglich gewordenen Protestalltag vom letzten Jahr. Seit der Coronakrise jedoch ist es das erste Mal, dass der bislang ungelöste Konflikt wieder auf der Straße eskaliert.
Den Auslöser hat die Staatsführung in Peking beim derzeit tagenden Nationalen Volkskongress geliefert: Mit dem geplanten Sicherheitsgesetz wäre es der Kommunistischen Partei künftig möglich, gegen „subversive“und „separatistische“Aktivitäten vorzugehen – und dafür auch eigene Sicherheitsorgane vor Ort zu installieren. Es ist der bislang größte Angriff auf die Autonomie der einstigen britischen Kolonie gewagt worden, seit diese 1997 an Festlandchina übergeben wurde.
Dabei argumentieren sowohl die Kommunistische Partei in Peking als auch die Hongkonger Protestbewegung mit dem „ein Land, zwei Systeme“-versprechen, das der Finanzmetropole eine weitgehende Autonomie als Sonderverwaltungsregion unter China zugesteht. Diese sei laut der Zentralregierung durch die „separatistische“und vermeintlich von „ausländischen Kräften infiltrierte“Protestbewegung in Gefahr. Das pro-demokratische Lager argumentiert hingegen, dass Peking mit seinem Vorstoß – das wohlgemerkt an der Legislatur Hongkongs vorbeigedrückt wird – endgültig gegen die zugesicherte Autonomie verstößt.
Während sich Demonstranten und Polizisten in der Finanzmetropole vereinzelte Straßenschlachten lieferten, hat Chinas Außenminister Wang Yi bei einer Pressekonferenz des Nationalen Volkskongresses keinen Zweifel gelassen, dass die Volksrepublik künftig auf dem diplomatischen Parkett kühner vorgehen wird: „Wir werden unsere nationalen Interessen, unsere Sicherheit und unsere Entwicklung fester verteidigen“. Sämtliche „Einmischungen ausländischer Kräfte“würden vereitelt werden. Die Aussage ist vor allem an Us-präsident Donald Trump gerichtet, der auf Pekings geplantes Sicherheitsgesetz eine „starke Reaktion“angedroht hatte.
Außenminister Wang beschuldigte Washington zudem, die Welt „an den Rand eines neuen Kalten Krieges“zu bringen: „Uns ist aufgefallen, dass einige politische Kräfte in den USA die amerikanisch-chinesischen Beziehungen in Geiselhaft nehmen“, sagte Chinas Spitzendiplomat. Aus internen Regierungsdokumenten geht hervor, dass sich die Kommunistische Partei seit dem Virusausbruch auf anti-chinesische Stimmung einstellt – und auch eine militärische Konfrontation mit den USA für möglich hält.
Ohnehin sind die bilateralen Beziehungen zwischen den zwei Weltmächten aufgrund des lang anhaltenden Handelskriegs angespannt. Seit der Corona-krise jedoch hat sich die Eskalationsspirale
in dem Konflikt noch einmal deutlich weitergedreht. Während Trump China für seine angeblichen Vertuschungsaktionen zu Beginn der Virus-epidemie zur Verantwortung ziehen will, hat Pekings Außenminister während des Volkskongresses sämtliche Verantwortung zurückgewiesen. Bemerkenswert ist zudem, dass der 66-jährige Parteikader im selben Atemzug die Lügen und Verschwörungen gegen China kritisierte – ohne natürlich die Diplomaten in den eigenen Reihen zu erwähnen, die bei jeder Gelegenheit die USA als möglichen Ursprungsort des Virus ins Spiel brachten.
Die vielleicht wichtigste Aussage von Außenminister Wang droht leider im medialen Rummel unterzugehen: Die USA und China trügen große Verantwortung für Frieden und Entwicklung in der Welt. Beide Seiten könnten von Kooperation nur profitieren, bei Konfrontation aber nur verlieren.
Mindestens 120 Verhaftungen
Dabei deutet sich eine solche Konfrontation zwischen den zwei Weltmächten stellvertretend in Hongkong an, wo die Systeme aufeinanderzuprallen drohen. Gestern gingen die Polizeikräfte entschieden gegen die Demonstranten vor, die ausländische Regierungen um Unterstützung riefen. Bereits vor Einbruch der Dunkelheit haben sie rund 120 Personen wegen unerlaubter Versammlung verhaftet. Die Protestbewegung hat die Maßnahmen ihrer Lokalregierung zum „social distancing“bereits seit Längerem als politisch motiviert kritisiert. Denn, während Fitnessstudios und Kneipen längst wieder uneingeschränkt geöffnet sind, bleiben Ansammlungen von über acht Personen im öffentlichen Raum weiterhin verboten.
Die Demonstrationen von gestern sind mit Sicherheit nur ein Vorgeschmack auf die kommenden Wochen: Wahrscheinlich wird die Bewegung ihre Reserven für den symbolträchtigen 4. Juni mobilisieren. An jenem Datum vor 31 Jahren schlug die Armee der Volksrepublik China die Studentenbewegung am Tiananmen-platz blutig nieder. Nun werden internationale Medien besonders deutlich verfolgen, ob der Protestbewegung Hongkongs im schlimmsten Fall ein ähnlich tragisches Schicksal drohen könnte. Auf internationale Verbündete können die Aktivisten kaum hoffen. Bis auf Washington, das den Konflikt für seine eigenen Interessen zu nutzen weiß, und mit Abstrichen die Europäische Union in Brüssel traut sich aus Angst vor Wirtschaftsrepressionen aus China fast niemand mehr, öffentlich seine Unterstützung zu bekunden.