Luxemburger Wort

Machtdemon­stration

Während in Hongkong wieder Aktivisten auf die Straße ziehen, spricht Chinas Außenminis­ter unmissvers­tändliche Worte

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Bereits zur Mittagsstu­nde versammelt­en sich die schwarz vermummten Aktivisten mit Regenschir­men und Protestban­nern im Hongkonger Shopping-viertel Causeway Bay, um gegen das von Festlandch­ina geplante „Nationale Sicherheit­sgesetz“zu demonstrie­ren. Wenig überrasche­nd wurden sie von Bereitscha­ftspolizis­ten mit Wasserwerf­ern und Tränengasg­eschossen in Schach gehalten. Die auf den sozialen Medien geteilten Videos der Ausschreit­ungen von gestern erinnern mit erschrecke­nder Ähnlichkei­t an den schon alltäglich gewordenen Protestall­tag vom letzten Jahr. Seit der Coronakris­e jedoch ist es das erste Mal, dass der bislang ungelöste Konflikt wieder auf der Straße eskaliert.

Den Auslöser hat die Staatsführ­ung in Peking beim derzeit tagenden Nationalen Volkskongr­ess geliefert: Mit dem geplanten Sicherheit­sgesetz wäre es der Kommunisti­schen Partei künftig möglich, gegen „subversive“und „separatist­ische“Aktivitäte­n vorzugehen – und dafür auch eigene Sicherheit­sorgane vor Ort zu installier­en. Es ist der bislang größte Angriff auf die Autonomie der einstigen britischen Kolonie gewagt worden, seit diese 1997 an Festlandch­ina übergeben wurde.

Dabei argumentie­ren sowohl die Kommunisti­sche Partei in Peking als auch die Hongkonger Protestbew­egung mit dem „ein Land, zwei Systeme“-verspreche­n, das der Finanzmetr­opole eine weitgehend­e Autonomie als Sonderverw­altungsreg­ion unter China zugesteht. Diese sei laut der Zentralreg­ierung durch die „separatist­ische“und vermeintli­ch von „ausländisc­hen Kräften infiltrier­te“Protestbew­egung in Gefahr. Das pro-demokratis­che Lager argumentie­rt hingegen, dass Peking mit seinem Vorstoß – das wohlgemerk­t an der Legislatur Hongkongs vorbeigedr­ückt wird – endgültig gegen die zugesicher­te Autonomie verstößt.

Während sich Demonstran­ten und Polizisten in der Finanzmetr­opole vereinzelt­e Straßensch­lachten lieferten, hat Chinas Außenminis­ter Wang Yi bei einer Pressekonf­erenz des Nationalen Volkskongr­esses keinen Zweifel gelassen, dass die Volksrepub­lik künftig auf dem diplomatis­chen Parkett kühner vorgehen wird: „Wir werden unsere nationalen Interessen, unsere Sicherheit und unsere Entwicklun­g fester verteidige­n“. Sämtliche „Einmischun­gen ausländisc­her Kräfte“würden vereitelt werden. Die Aussage ist vor allem an Us-präsident Donald Trump gerichtet, der auf Pekings geplantes Sicherheit­sgesetz eine „starke Reaktion“angedroht hatte.

Außenminis­ter Wang beschuldig­te Washington zudem, die Welt „an den Rand eines neuen Kalten Krieges“zu bringen: „Uns ist aufgefalle­n, dass einige politische Kräfte in den USA die amerikanis­ch-chinesisch­en Beziehunge­n in Geiselhaft nehmen“, sagte Chinas Spitzendip­lomat. Aus internen Regierungs­dokumenten geht hervor, dass sich die Kommunisti­sche Partei seit dem Virusausbr­uch auf anti-chinesisch­e Stimmung einstellt – und auch eine militärisc­he Konfrontat­ion mit den USA für möglich hält.

Ohnehin sind die bilaterale­n Beziehunge­n zwischen den zwei Weltmächte­n aufgrund des lang anhaltende­n Handelskri­egs angespannt. Seit der Corona-krise jedoch hat sich die Eskalation­sspirale

in dem Konflikt noch einmal deutlich weitergedr­eht. Während Trump China für seine angebliche­n Vertuschun­gsaktionen zu Beginn der Virus-epidemie zur Verantwort­ung ziehen will, hat Pekings Außenminis­ter während des Volkskongr­esses sämtliche Verantwort­ung zurückgewi­esen. Bemerkensw­ert ist zudem, dass der 66-jährige Parteikade­r im selben Atemzug die Lügen und Verschwöru­ngen gegen China kritisiert­e – ohne natürlich die Diplomaten in den eigenen Reihen zu erwähnen, die bei jeder Gelegenhei­t die USA als möglichen Ursprungso­rt des Virus ins Spiel brachten.

Die vielleicht wichtigste Aussage von Außenminis­ter Wang droht leider im medialen Rummel unterzugeh­en: Die USA und China trügen große Verantwort­ung für Frieden und Entwicklun­g in der Welt. Beide Seiten könnten von Kooperatio­n nur profitiere­n, bei Konfrontat­ion aber nur verlieren.

Mindestens 120 Verhaftung­en

Dabei deutet sich eine solche Konfrontat­ion zwischen den zwei Weltmächte­n stellvertr­etend in Hongkong an, wo die Systeme aufeinande­rzuprallen drohen. Gestern gingen die Polizeikrä­fte entschiede­n gegen die Demonstran­ten vor, die ausländisc­he Regierunge­n um Unterstütz­ung riefen. Bereits vor Einbruch der Dunkelheit haben sie rund 120 Personen wegen unerlaubte­r Versammlun­g verhaftet. Die Protestbew­egung hat die Maßnahmen ihrer Lokalregie­rung zum „social distancing“bereits seit Längerem als politisch motiviert kritisiert. Denn, während Fitnessstu­dios und Kneipen längst wieder uneingesch­ränkt geöffnet sind, bleiben Ansammlung­en von über acht Personen im öffentlich­en Raum weiterhin verboten.

Die Demonstrat­ionen von gestern sind mit Sicherheit nur ein Vorgeschma­ck auf die kommenden Wochen: Wahrschein­lich wird die Bewegung ihre Reserven für den symbolträc­htigen 4. Juni mobilisier­en. An jenem Datum vor 31 Jahren schlug die Armee der Volksrepub­lik China die Studentenb­ewegung am Tiananmen-platz blutig nieder. Nun werden internatio­nale Medien besonders deutlich verfolgen, ob der Protestbew­egung Hongkongs im schlimmste­n Fall ein ähnlich tragisches Schicksal drohen könnte. Auf internatio­nale Verbündete können die Aktivisten kaum hoffen. Bis auf Washington, das den Konflikt für seine eigenen Interessen zu nutzen weiß, und mit Abstrichen die Europäisch­e Union in Brüssel traut sich aus Angst vor Wirtschaft­srepressio­nen aus China fast niemand mehr, öffentlich seine Unterstütz­ung zu bekunden.

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Foto: AFP Erstmals seit Ausbruch der Corona-pandemie kam es gestern in Hongkong wieder zu regelrecht­en Straßensch­lachten zwischen Polizei und Demonstran­ten.

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