Der Preis des Zusammenhalts
Die Eu-kommission will 750 Milliarden für den wirtschaftlichen Wiederaufbau durch gemeinsame Eu-schulden mobilisieren
Die Europäische Union, so Eukommissionschefin Ursula von der Leyen, steht vor einer einfachen, aber dafür folgenschweren Entscheidung: „Entweder gehen wir alle unseren eigenen Weg, lassen dadurch Menschen, Regionen und ganze Länder zurück, und akzeptieren eine geteilte Union von Reich und Arm; oder wir beschreiten den Weg gemeinsam.“Nun sei auch der Augenblick gekommen, um „für die kommenden Generationen entscheidende Weichenstellungen treffen“und „die richtige Entscheidung zu treffen“.
Und was für die Eu-kommissionschefin die richtige Entscheidung ist, stellte sie gestern vor dem Europäischen Parlament vor: ein 750-Milliarden-euro-konjunkturprogramm für den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft nach der Corona-pandemie. Warum das notwendig ist, resümierte von der Leyen: „Was mit einem Virus begann, das mit freiem Auge nicht zu erkennen ist, hat sich zu einer Wirtschaftskrise entwickelt, die in ihrer Größe unübersehbar ist.“Um mehr als sieben Prozent soll die Eu-wirtschaft im Jahr 2020 schrumpfen, rechnet die Eukommission.
Und die Folgen dieser Wirtschaftskrise könnten für das europäische Einigungswerk fatal sein, so von der Leyen: „Wir sehen die wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Schäden in unseren Mitgliedstaaten. Wir sehen, wie unsere Länder auseinanderdriften und das Gefälle zwischen ihnen wächst.“Schon früh nach dem Ausbruch der Corona-pandemie hatten Italien und Spanien darauf aufmerksam gemacht, dass die wirtschaftlichen Folgen diese Länder in eine unheimliche Krise stürzen werden. Diese finanzpolitisch ohnehin angeschlagenen Staaten würden die Kosten der Krise, die ausgerechnet sie am stärksten trifft, nicht ohne europäische Hilfe schultern können. Staaten wie Deutschland dagegen, gingen mit ganz anderen Voraussetzungen in die Krise. Die Gefahr dabei: Nach der Pandemie könnten Staaten und Betriebe – zum Beispiel jene, die stark vom Tourismus abhängig sind – , vor dem Abgrund stehen, während andere sogar gestärkt aus der Krise kommen. So kann die deutsche Bundesregierung deutsche Unternehmen deutlich konsequenter unter die Arme greifen, als die italienische es derzeit kann. Nach der Krise würden die geretteten deutschen Unternehmen dann die bankrotten italienischen Firmen auf dem Eu-binnenmarkt verdrängen – wirtschaftliche und politische Spannungen innerhalb der EU wären die Folge.
Der Vorschlag aus Brüssel kommt nach einer langen Diskussion unter den Regierungen der Europäischen Union, die seit dem Ausbruch der Corona-krise Brüssel
in Atem hält. Im Kern der Debatte steht die Frage: Auf wie viel finanzielle Solidarität wollen sich die Eu-staaten einlassen?
Denn die bislang beschlossenen finanziellen Hilfsmaßnahmen auf Eu-ebene stützten sich lediglich auf Darlehen. Doch dies löst das Hauptproblem der notleidenden Staaten nicht: Das bereits hoch verschuldete Italien müsste sich dann noch zusätzlich verschulden. Madrid und Rom verlangten deswegen
Wir sehen, wie unsere Länder auseinanderdriften.
Ursula von der Leyen
finanzielle Zuschüsse oder gemeinsame Eu-anleihen – wirtschaftsstärkere Staaten wie die Niederlande, Deutschland oder Österreich wehrten sich allerdings lange dagegen.
Vorlage aus Berlin und Paris
Bis dann die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron vergangene Woche ein Machtwort sprachen: Sie forderten 500 Milliarden Direkthilfen. Dafür sollen über den Eu-haushalt gesamteuropäische Schulden aufgenommen werden. Die Hilfen sollen demnach auch nicht von jenen Staaten integral zurückgezahlt werden, die sie erhalten.
Ursula von der Leyens Plan baut weitgehend auf diesen Vorschlag auf. Die Kommissionspräsidentin will mit ihrem Programm 500 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Zuwendungen und 250 Milliarden
Euro als Kredite in den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Corona-krise investieren. Finanziert werden soll das über Schulden im Namen der Europäischen Union. Von der Leyen betonte im Eu-parlament, dass das Programm zusätzlich zum nächsten siebenjährigen Eu-finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 aufgelegt werden soll. Zusammen seien dies also 1,85 Billionen Euro.
Der Plan aus Brüssel sieht vor, dass die neuen Eu-schulden erst durch künftige Eu-budgets abbezahlt werden sollen – also nicht vor 2028. Damit dies finanziell weniger schmerzhaft für die Eu-staaten wird, schlägt die Kommission neue Eigenmittel für die EU vor, also direkte Eu-steuern. Angedacht werden eine Digitalsteuer für Internetunternehmen, eine Steuer für Multis, die den Binnenmarkt nutzen, eine Plastik- und eine C02-steuer.
„Clever“, meint ein hochrangiger Eu-diplomat, denn der Streit über die Abzahlung der Schulden wird auf 2028 vertagt, das Geld kann aber schon bald in die Krisenregionen fließen. Dazu schafft die Kommission Anreize, um die Eigenmittel der EU nach 2028 zu stärken. Bislang waren die Eustaaten
immer relativ zurückhaltend, wenn es um direkte Eusteuern ging – nicht zuletzt, weil es sich dabei um eine Souveränitätsabgabe handelt.
Ein Kompromiss zeichnet sich ab Dennoch wird es noch genügend Streit geben, bevor das gestern vorgestellte Konjunkturpaket angenommen wird. Denn das Paket muss von den Eu-staaten einstimmig beschlossen werden und einige Regierungen aus wirtschaftsstärkeren Staaten wie die Niederlande, Österreich oder Schweden bleiben skeptisch. Allerdings steigt auch der Druck auf diese Regierungen – nicht zuletzt, weil Deutschland nunmehr für eine großzügigere Politik wirbt. Zudem kommt die Eu-kommission diesen „geizigen“Staaten, wie sie in Brüssel genannt werden, etwas entgegen.
„Diese Zuschüsse sind eine gemeinsame Investition in unsere Zukunft. Sie haben mit den Schulden der Mitgliedsstaaten aus der Vergangenheit nichts zu tun“, versicherte von der Leyen gestern. Und die Tatsache, dass die Zuschüsse durch den Eu-haushalt finanziert werden, deckelt die Kosten der einzelnen Staaten nach einem festen Schlüssel. Obendrein stellte die Eu-kommission den reichen Staaten eine Weiterführung der sogenannten „Rabatte“in Aussicht, die es ihnen erlauben, verhältnismäßig weniger ins Eubudget zu zahlen. Die Eu-kommission – und mehrere Mitgliedstaaten – wollten dieses umstrittene Privileg vereinzelter Staaten eigentlich abschaffen, doch könnten die „Rabatte“nun als Verhandlungschip dienen, um Wien, Kopenhagen und Den Haag an Bord zu kriegen.
Bei einem Eu-gipfel am 19. Juni wollen die Eu-staats- und Regierungschefs über den Plan beraten. Ob sich die Staats- und Regierungschefs dann wirklich treffen oder per Video konferieren, ist noch nicht entschieden. Diplomaten und Politiker meinen aber, dass es schwierig wird, ein derartiges Paket via Telekonferenz zu schnüren.