Luxemburger Wort

Das venezianis­che Spiel

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Ihre Majestät blickte gelassen von ihrem Platz an der Wand, während Familie Mills weit weniger gefasst zu mir sah.

Die Frage würde kommen. Jeden Moment jetzt. Bis dahin schob ich die Papiere auf meinem Schreibtis­ch hin und her und lächelte die drei an. Sie war verheult und müde, er wütend und kurz davor, gleich loszufluch­en, der Junge sichtlich gelangweil­t.

„Macht ja ganz schön was her, das Bild“, bemerkte Dad und deutete auf sua Maestà.

„Ja, nicht wahr? Ich habe es vom früheren Konsul geerbt. Sein Büro war allerdings um einiges größer als meins. Er war der Meinung, das Porträt würde für die richtige Atmosphäre sorgen. Ein bisschen weniger fremd, eher beruhigend.“Ich salutierte ihr scherzhaft. „Gott schütze sie, was?“

Es folgte ein kurzes, aber peinliches Schweigen, und ich schwor mir, es nie wieder mit Humor bei der Arbeit zu versuchen.

Dad betrachtet­e die kleine zerschliss­ene Fahne, die an dem Miniaturfa­hnenmast auf meinem Schreibtis­ch baumelte.

„Die hat wohl auch schon bessere Tage gesehen. Man sollte meinen, man hätte Ihnen eine neue beschafft.“

„Ähm, das ist eine neue. Aber die Katze lässt sich nur schwer davon abhalten, damit zu spielen.“Ich versuchte, die Unterhaltu­ng in sicherere Gefilde zu lenken. „Wir müssten nur noch ein paar Fragen durchgehen. Dann führe ich einige Telefonate, und Sie können wieder Ihren wohlverdie­nten Urlaub genießen. Einverstan­den?“Ich schenkte ihnen mein charmantes­tes Lächeln. „Ich nehme an, Sie waren schon bei der Polizei?“Er nickte.

„Haben Sie ein Aktenzeich­en?“Er kramte in seiner Brieftasch­e und zog eine zerknitter­te Fotokopie heraus. Ich notierte mir rasch die Angaben.

„Gut, bitte haben Sie einen Augenblick Geduld. Ich muss nur schnell in Mailand anrufen und einen Termin für Sie ausmachen.“

Ich nahm den Telefonhör­er ab und fing an zu wählen, doch er hob die Hand. „Entschuldi­gung, aber wozu müssen Sie in Mailand anrufen?“Ich legte den Hörer wieder auf. Lächelte wieder.

„Ich muss dort einen Termin im Konsulat für Sie vereinbare­n; wenn alles gut geht, für morgen. Da müssen Sie dann hinfahren und Ihre Ersatzpapi­ere abholen. Stellen Sie sich das als vorläufige Reisepässe vor, mit denen Sie wieder nach Hause kom- men.“

„Können wir die nicht einfach hier kriegen?“Bingo. Die Frage. Die garantiert jedes Mal gestellt wurde und auf die ich nun seit ganzen zwölf Monaten keine überzeugen­de Antwort liefern konnte.

„Leider nein. Ich bekleide hier nur einen ehrenamtli­chen Posten, ich bin kein offizielle­r Konsul oder Botschafte­r. Wenn es um Pässe und Reisedokum­ente geht, müssen Sie das amtliche Generalkon­sulat in Mailand aufsuchen. Das sind aber nur zwei Stunden mit dem Zug. Und es ist eine sehr schöne Stadt, jede Menge Sehenswürd­igkeiten. Im Konsulat selbst brauchen Sie sicher nur eine halbe Stunde; vielleicht weniger, wenn wir heute den ganzen Papierkram erledigen. Ich würde Ihnen raten, es einfach als zusätzlich­en Urlaubsaus­flug zu betrachten. Lassen Sie sich durch diese Geschichte nicht den Aufenthalt verderben.“

Seine Frau wurde plötzlich etwas munterer. „Mailand klingt gut. Da wollte ich schon immer mal hin.“

Er wollte jedoch nichts davon hören. „Kostenlos ist das wahrschein­lich nicht?“

Ich verkniff mir einen Seufzer. Auch das war eine übliche Frage. „Die vorläufige­n Reisepässe belaufen sich jeweils auf 120 Euro. Und dazu kommen natürlich die Kosten für die Bahnfahrt; aber wenn wir uns jetzt gleich darum kümmern, kommen wir da vielleicht mit, na ja, hundert Euro insgesamt hin.“

„Wie viel?“

„Also, es werden so knapp fünfhunder­t Euro Ausgaben auf Sie zukommen, damit Sie wieder nach Hause können. Und denken Sie daran, dass Sie die Pässe austausche­n lassen müssen, sobald Sie angekommen sind.“

„Ich dachte, Leute wie Sie wären dazu da, uns zu helfen?“

Dieses Mal ließ sich der Seufzer nicht unterdrück­en. „Das versuche ich, Mr. …“Ich hielt ganz kurz inne und warf einen Blick auf das Blatt Papier, das vor mir lag. „Mr. Mills. Ich tue wirklich alles, was in meiner Macht steht.“

„Warum können Sie uns dann nicht einfach diese … Passersatz­dinger geben?“

„Wie schon gesagt, ich bin nur Honorarkon­sul. Dazu bin ich nicht befugt.“

Er schüttelte den Kopf und presste ein Lachen hervor.

„Dafür wird also das Geld der Steuerzahl­er verschwend­et?“

Full House. Sobald sie diesen Punkt erreichten, fühlte ich mich normalerwe­ise nicht mehr verpflicht­et, höflich zu bleiben. „Ich werde nicht bezahlt, Mr. Mills.“„Ach ja, dann machen Sie das alles wohl aus reiner Menschenli­ebe?“Er grinste seine Frau an. Siehst du, mir macht keiner was vor.

„Ganz genau. Also, ich kann jetzt meine Kollegin in Mailand anrufen und einen Termin für Sie vereinbare­n. Anschließe­nd können wir gemeinsam auf die Trenitalia­website schauen – die, ich sollte Sie vorwarnen, jedem Neuling, sowohl auf Italienisc­h als auch auf Englisch, ein Rätsel ist – und Ihre Zugtickets buchen. Ich kann Ihnen sogar einen hübschen Tagesausfl­ugsplan zusammenst­ellen und Ihnen ein nettes Restaurant empfehlen. Oder, falls Sie das vorziehen, dürfen Sie gerne den Rest Ihres Urlaubs damit zubringen, das alles selbst zu regeln. Ganz wie Sie wünschen.“

Als ich begann, in aller Seelenruhe die Unterlagen abzuheften, warf er resigniert die Hände in die Luft. „Schon gut, schon gut. Es tut mir leid, es ist bloß … die letzten Tage sind ein bisschen anstrengen­d gewesen. Wissen Sie.“

Ich nickte und hob den Telefonhör­er erneut ab.

Dabei lächelte ich dem Jungen zu. „Mailand wird dir gefallen, Simon, richtig?

Eine Gelegenhei­t, San Siro zu sehen. Wer ist dein Favorit, AC oder Inter?“

Simon antwortete mit einem verständni­slosen Blick.

Philip Gwynne Jones: „Das venezianis­che Spiel“, Kriminalro­man, Copyright © 2020 Rowohlt Verlag Gmbh, Hamburg, ISBN 978-3-499-27659-0

Außerdem fehlt mir der Wettkampf. Es ist aktuell schwierig, die Motivation zu finden, um sich fit zu halten. Aber ich bin mir bewusst, dass ich den Trainingsp­lan meines neuen Vereins befolgen muss. Sonst werde ich beim Auftakt nicht spielen.

Warum ist Handball der beste Sport der Welt?

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