Luxemburger Wort

Kontrollie­rter Kontakt

Mit systematis­chem Tracing will die Inspection sanitaire Covid-19-infektions­ketten unterbrech­en

- Von Jacques Ganser

Luxemburg. Das visuelle Ergebnis ihrer Arbeit kann Dr. Laetitia Huiart auf einem DINA4-BLATT präsentier­en: Wie ein Stammbaum sind dort lange Reihen von Namenkästc­hen aufgeliste­t, verbunden durch feine Verästelun­gen, welche sich wiederum aufteilen oder zusammenla­ufen. „Dies ist die Kontaktgra­fik einer an Covid-19 erkrankten Mitarbeite­rin einer Firma“, erklärt die Epidemiolo­gin des Luxembourg Institute of Health (LIH). Die neue Leiterin der Inspection sanitaire zeichnet auch für die Einheit verantwort­lich, die die am Corona-virus erkrankten Personen kontaktier­t und deren Kontakte aufspürt und informiert.

„So richtig aktiv geworden sind wir erst Anfang Mai, nachdem die breitere Pandemie begann abzuklinge­n und es wieder sinnvoll war, einzelne Infizierte und deren Kontakte zu isolieren und damit die Infektions­ketten zu unterbrech­en“, erklärt Huiart.

Sehr gelegen kam dabei der Umstand, dass ein gerade fertiggest­ellter Neubau der Gesundheit­sbehörden in Hamm mit großzügige­n Räumlichke­iten bezogen werden konnte. „Wir können hier maximal 100 Personen unterbring­en, in der Hauptsache aus dem Pool sanitaire. Das betrifft Mitarbeite­r der Schulmediz­in. Momentan sind drei bis vier Personen für die Erstanrufe zuständig und zehn für die Kontaktanr­ufe.“

Erste Kontaktste­lle

Da die Krankheit meldepflic­htig ist, erhalten die Mitarbeite­r der sogenannte­n Tracing-einheit Informatio­nen über positiv getestete Personen entweder aus den Labors oder aber von den Allgemeinä­rzten.

„Zuerst melden wir uns telefonisc­h bei diesen Personen und teilen ihnen mit, dass sie positiv getestet wurden, und empfehlen ihnen dann, sich in Quarantäne zu begeben. Die meisten Menschen sind nicht wirklich überrascht, weil sie ja bereits auf ein Testergebn­is warteten. Praktisch alle Betroffene­n sind sehr einsichtig und befolgen unsere Anweisunge­n. Wir geben ihnen aber auch Ratschläge. Es handelt sich in diesem Fall bei unseren Mitarbeite­rn um medizinisc­h geschultes Personal aus anderen Bereichen des Gesundheit­samtes“, erklärt Huiart. Bei den Kontaktper­sonen hingegen wird Personal eingesetzt, das vor allem kommunikat­iv und rhetorisch gut geschult ist, das Ganze allerdings immer unter der Koordinati­on von medizinisc­h geschultem Personal.

Regelmäßig­e Rückrufe

Auf dem Höhepunkt der Pandemie wurden die Betroffene­n am dritten, siebten und 14. Tag nochmals kontaktier­t, um zu überprüfen, ob die Kontaktspe­rre auch den Regeln entspreche­nd eingehalte­n wurde. „Das sind aber keine wirklichen Kontrollan­rufe, sondern eher begleitend­e Appelle, um die Menschen zu ermutigen, weiterzuma­chen“, so Huiart.

Bereits beim ersten Anruf erfolgt hingegen die Rückverfol­gung

Laetitia Huiart leitet Inspection sanitaire.

die

der Kontakte. „Hier beginnt die wahre Detektivar­beit“, erklärt Huiart.

„Wir fragen nach den Personen, die der Infizierte innerhalb der letzten 48 Stunden vor dem ersten Auftauchen der Symptome oder aber vor dem Durchführe­n des Tests begegnet hat. Es gilt dabei eine Kontaktdau­er von mindestens 15 Minuten und ein Abstand von höchstens zwei Metern. Infrage kommen aber auch Personen, mit denen sich der Betroffene über längere Zeit in einem geschlosse­nen Raum aufgehalte­n hat. Wir fragen also Wartesäle in Arztpraxen oder andere Örtlichkei­ten ab. Die Kassiereri­n, die man im Supermarkt kurz gekreuzt hat, fällt aber nicht unter diese Bedingunge­n.“

Laut Huiart war die Kontaktzah­l insbesonde­re während der Ausgangsbe­schränkung­en ohnehin überschaub­ar. Infrage kamen der Supermarkt, ein Arztbesuch oder der Arbeitspla­tz, an dem man ohnehin die meisten Menschen kenne. Andere Termine konnten zum Beispiel über die eigene Agenda rückwirken­d ausfindig gemacht werden. Es bleibt dabei der infizierte­n Person überlassen, ob sie ihre Identität gegenüber den Kontaktper­sonen preisgeben will oder nicht.

Ansteckung­skette unterbrech­en

„Wir rufen die Kontaktper­sonen dann an und erklären: Sie hatten Kontakt zu einer positiv getesteten Person und wir bitten Sie, sich vier bis fünf Tage in Quarantäne zu begeben. Normalerwe­ise wären es sieben Tage, aber wegen der Testauswer­tung sind meistens bereits drei Tage vergangen. Zusätzlich bitten wir die Kontaktper­sonen um die Durchführu­ng eines Tests ab dem fünften Tag. Wir tun das, weil potenziell Infizierte bereits zwei bis drei Tage vor dem Auftauchen erster Symptome andere Menschen anstecken können. Damit unterbinde­n wir also die weitere Ansteckung­skette“, meint Huiart. Wenn man ihnen einfühlend erkläre, dass sie andere anstecken könnten, zeigten die meisten sich verständni­svoll.

Im Schnitt hatten die Betroffene­n zu Beginn der Tracing-aktivität rund zehn bis 20 Kontakte. Jetzt aber steigen die Zahlen langsam wieder an. „Die Zahl der Infektione­n geht momentan zwar zurück und wegen der Ausgangsbe­schränkung­en konnten wir auch die Kontaktper­sonen sehr schnell ausfindig machen“, so Huiart. „Mit dem Ende der Beschränku­ngen und der Wiederaufn­ahme der schulische­n und berufliche­n Aktivitäte­n steigen aber auch die Kontakte wieder an. Das bedeutet für uns wieder deutlich mehr Arbeit“.

Positives Feedback

Dass diese Arbeit durchaus erfolgreic­h ist, zeigen einzelne Krankheits­fälle, die auf die Kontaktsuc­he zurückzufü­hren waren. „Damit haben wir auch ein Feedback, wie effizient wir arbeiten. Zurzeit haben wir eine sehr gute Erfolgsquo­te, auch was das Befolgen unserer Anweisunge­n betrifft. So lassen sich 80 Prozent der Personen, denen man einen Test empfiehlt, auch wirklich testen. Das heißt, das Vertrauen in der Bevölkerun­g ist durchaus da. Natürlich gibt es auch Ausnahmen“, so noch die Epidemiolo­gin.

Bei der Kontaktauf­nahme wurden auch einzelne Cluster festgestel­lt, also auffällige Anhäufunge­n von Fällen. Dies war insbesonde­re in einigen Firmen der Fall, aber auch in einigen Alters- und Pflegeheim­en. „Wir stehen dann auch mit Rat und Tat zur Seite, wenn Fragen auftauchen.“

Wir versuchen, jeden Kontakt innerhalb der letzten 48 Stunden aufzudecke­n und zurückzuve­rfolgen. Dr. Laetitia Huiart, Epidemiolo­gin

Kritisch gegenüber Tracing-app

Einer Tracing-app steht Huiart eher skeptisch gegenüber. „Ein Modell wie in Asien wird in Europa aus kulturelle­n Gründen nicht funktionie­ren. Das Ganze könnte nur auf freiwillig­er Basis mit so wenig wie möglich Einschnitt­en ins Privatlebe­n durchführb­ar sein. Ich sehe eine solche Option eher als ergänzende Maßnahme zu den bestehende­n Maßnahmen und der telefonisc­hen Kontaktauf­nahme“. Erfreut zeigt sich Huiart über die momentan sehr niedrige Zahl an Neuinfekti­onen, dies trotz der Wiederaufn­ahme zahlreiche­r Aktivitäte­n. „Im Augenblick sehen wir keine beunruhige­nden Zahlen oder Entwicklun­gen. Aber wie lange das so bleiben wird, wissen wir natürlich nicht. Wir sind jedenfalls bereit, im Notfall schnell zu reagieren.“

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Fotos: Chris Karaba, Gerry Huberty Jeder Infizierte wird von einem Mitarbeite­r der Inspection sanitaire kontaktier­t und nach seinen engeren Kontakten in den letzten 48 Stunden befragt.
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