Kontrollierter Kontakt
Mit systematischem Tracing will die Inspection sanitaire Covid-19-infektionsketten unterbrechen
Luxemburg. Das visuelle Ergebnis ihrer Arbeit kann Dr. Laetitia Huiart auf einem DINA4-BLATT präsentieren: Wie ein Stammbaum sind dort lange Reihen von Namenkästchen aufgelistet, verbunden durch feine Verästelungen, welche sich wiederum aufteilen oder zusammenlaufen. „Dies ist die Kontaktgrafik einer an Covid-19 erkrankten Mitarbeiterin einer Firma“, erklärt die Epidemiologin des Luxembourg Institute of Health (LIH). Die neue Leiterin der Inspection sanitaire zeichnet auch für die Einheit verantwortlich, die die am Corona-virus erkrankten Personen kontaktiert und deren Kontakte aufspürt und informiert.
„So richtig aktiv geworden sind wir erst Anfang Mai, nachdem die breitere Pandemie begann abzuklingen und es wieder sinnvoll war, einzelne Infizierte und deren Kontakte zu isolieren und damit die Infektionsketten zu unterbrechen“, erklärt Huiart.
Sehr gelegen kam dabei der Umstand, dass ein gerade fertiggestellter Neubau der Gesundheitsbehörden in Hamm mit großzügigen Räumlichkeiten bezogen werden konnte. „Wir können hier maximal 100 Personen unterbringen, in der Hauptsache aus dem Pool sanitaire. Das betrifft Mitarbeiter der Schulmedizin. Momentan sind drei bis vier Personen für die Erstanrufe zuständig und zehn für die Kontaktanrufe.“
Erste Kontaktstelle
Da die Krankheit meldepflichtig ist, erhalten die Mitarbeiter der sogenannten Tracing-einheit Informationen über positiv getestete Personen entweder aus den Labors oder aber von den Allgemeinärzten.
„Zuerst melden wir uns telefonisch bei diesen Personen und teilen ihnen mit, dass sie positiv getestet wurden, und empfehlen ihnen dann, sich in Quarantäne zu begeben. Die meisten Menschen sind nicht wirklich überrascht, weil sie ja bereits auf ein Testergebnis warteten. Praktisch alle Betroffenen sind sehr einsichtig und befolgen unsere Anweisungen. Wir geben ihnen aber auch Ratschläge. Es handelt sich in diesem Fall bei unseren Mitarbeitern um medizinisch geschultes Personal aus anderen Bereichen des Gesundheitsamtes“, erklärt Huiart. Bei den Kontaktpersonen hingegen wird Personal eingesetzt, das vor allem kommunikativ und rhetorisch gut geschult ist, das Ganze allerdings immer unter der Koordination von medizinisch geschultem Personal.
Regelmäßige Rückrufe
Auf dem Höhepunkt der Pandemie wurden die Betroffenen am dritten, siebten und 14. Tag nochmals kontaktiert, um zu überprüfen, ob die Kontaktsperre auch den Regeln entsprechend eingehalten wurde. „Das sind aber keine wirklichen Kontrollanrufe, sondern eher begleitende Appelle, um die Menschen zu ermutigen, weiterzumachen“, so Huiart.
Bereits beim ersten Anruf erfolgt hingegen die Rückverfolgung
Laetitia Huiart leitet Inspection sanitaire.
die
der Kontakte. „Hier beginnt die wahre Detektivarbeit“, erklärt Huiart.
„Wir fragen nach den Personen, die der Infizierte innerhalb der letzten 48 Stunden vor dem ersten Auftauchen der Symptome oder aber vor dem Durchführen des Tests begegnet hat. Es gilt dabei eine Kontaktdauer von mindestens 15 Minuten und ein Abstand von höchstens zwei Metern. Infrage kommen aber auch Personen, mit denen sich der Betroffene über längere Zeit in einem geschlossenen Raum aufgehalten hat. Wir fragen also Wartesäle in Arztpraxen oder andere Örtlichkeiten ab. Die Kassiererin, die man im Supermarkt kurz gekreuzt hat, fällt aber nicht unter diese Bedingungen.“
Laut Huiart war die Kontaktzahl insbesondere während der Ausgangsbeschränkungen ohnehin überschaubar. Infrage kamen der Supermarkt, ein Arztbesuch oder der Arbeitsplatz, an dem man ohnehin die meisten Menschen kenne. Andere Termine konnten zum Beispiel über die eigene Agenda rückwirkend ausfindig gemacht werden. Es bleibt dabei der infizierten Person überlassen, ob sie ihre Identität gegenüber den Kontaktpersonen preisgeben will oder nicht.
Ansteckungskette unterbrechen
„Wir rufen die Kontaktpersonen dann an und erklären: Sie hatten Kontakt zu einer positiv getesteten Person und wir bitten Sie, sich vier bis fünf Tage in Quarantäne zu begeben. Normalerweise wären es sieben Tage, aber wegen der Testauswertung sind meistens bereits drei Tage vergangen. Zusätzlich bitten wir die Kontaktpersonen um die Durchführung eines Tests ab dem fünften Tag. Wir tun das, weil potenziell Infizierte bereits zwei bis drei Tage vor dem Auftauchen erster Symptome andere Menschen anstecken können. Damit unterbinden wir also die weitere Ansteckungskette“, meint Huiart. Wenn man ihnen einfühlend erkläre, dass sie andere anstecken könnten, zeigten die meisten sich verständnisvoll.
Im Schnitt hatten die Betroffenen zu Beginn der Tracing-aktivität rund zehn bis 20 Kontakte. Jetzt aber steigen die Zahlen langsam wieder an. „Die Zahl der Infektionen geht momentan zwar zurück und wegen der Ausgangsbeschränkungen konnten wir auch die Kontaktpersonen sehr schnell ausfindig machen“, so Huiart. „Mit dem Ende der Beschränkungen und der Wiederaufnahme der schulischen und beruflichen Aktivitäten steigen aber auch die Kontakte wieder an. Das bedeutet für uns wieder deutlich mehr Arbeit“.
Positives Feedback
Dass diese Arbeit durchaus erfolgreich ist, zeigen einzelne Krankheitsfälle, die auf die Kontaktsuche zurückzuführen waren. „Damit haben wir auch ein Feedback, wie effizient wir arbeiten. Zurzeit haben wir eine sehr gute Erfolgsquote, auch was das Befolgen unserer Anweisungen betrifft. So lassen sich 80 Prozent der Personen, denen man einen Test empfiehlt, auch wirklich testen. Das heißt, das Vertrauen in der Bevölkerung ist durchaus da. Natürlich gibt es auch Ausnahmen“, so noch die Epidemiologin.
Bei der Kontaktaufnahme wurden auch einzelne Cluster festgestellt, also auffällige Anhäufungen von Fällen. Dies war insbesondere in einigen Firmen der Fall, aber auch in einigen Alters- und Pflegeheimen. „Wir stehen dann auch mit Rat und Tat zur Seite, wenn Fragen auftauchen.“
Wir versuchen, jeden Kontakt innerhalb der letzten 48 Stunden aufzudecken und zurückzuverfolgen. Dr. Laetitia Huiart, Epidemiologin
Kritisch gegenüber Tracing-app
Einer Tracing-app steht Huiart eher skeptisch gegenüber. „Ein Modell wie in Asien wird in Europa aus kulturellen Gründen nicht funktionieren. Das Ganze könnte nur auf freiwilliger Basis mit so wenig wie möglich Einschnitten ins Privatleben durchführbar sein. Ich sehe eine solche Option eher als ergänzende Maßnahme zu den bestehenden Maßnahmen und der telefonischen Kontaktaufnahme“. Erfreut zeigt sich Huiart über die momentan sehr niedrige Zahl an Neuinfektionen, dies trotz der Wiederaufnahme zahlreicher Aktivitäten. „Im Augenblick sehen wir keine beunruhigenden Zahlen oder Entwicklungen. Aber wie lange das so bleiben wird, wissen wir natürlich nicht. Wir sind jedenfalls bereit, im Notfall schnell zu reagieren.“