Schöne neue Arbeitswelt
Die Krise als Chance begreifen: Diese Aussage klingt nicht nur abgedroschen, sondern wirkt aufgrund der weitreichenden Auswirkungen der Corona-pandemie schnell zynisch. Doch findet sie ihre Daseinsberechtigung, wenn es um neue Formen des Arbeitens geht. Denn ob man will oder nicht, diese Coronazeiten zwingen uns alle zum Umdenken. Warum also nicht die Zeit clever nutzen, um neue Wege zu beschreiten?
Zugegeben, die Diskussion um neue Arbeitsformen und das Vorantreiben der Digitalisierung ist nicht neu. Aber erst durch diese Krise haben sie eine bisher nicht für möglich gehaltene Dynamik erhalten. Klein- und Mittelständler, die nicht durch ihre Tätigkeit gezwungen waren, die Digitalisierung voranzutreiben, haben sie als ein notwendiges Übel abgetan, das man so lange wie möglich vor sich herschieben konnte. Das geht heute nicht mehr. Wer seine Arbeit nicht digital oder zumindest mit digitalen Hilfsmitteln verrichten kann, kommt ins Schwitzen. Und wer zudem nicht in der Lage ist, flexibel auf neue Arbeitsweisen zu reagieren, hat ernste Existenzsorgen. Corona macht's also möglich, die Wirkung von Arbeitszeitverkürzung, -umverteilung und -flexibilisierung auszutesten! Und selbst Weiterbildungsaktivitäten, die zuvor vorwiegend frontal angeboten wurden, können nun digital, bequem und besser vom heimischen Sessel als auf sperrigen Bürostühlen verfolgt werden. Und mal ehrlich: Das erzwungene Homeoffice fühlt sich für die meisten Arbeitnehmer wie eine neu gewonnene Freiheit an, die man nur ungern verlieren möchte.
Jetzt scheint das möglich zu werden, worüber man vor der Corona-krise unendlich lange theoretisiert hat, nämlich eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Noch vor ein paar Monaten mussten Arbeitnehmer mit Zeitstrukturen leben, die ihre komplexe individuelle oder familiäre Zeitorganisation zu einer kaum lösbaren Aufgabe machten. Dank der noch geltenden Homeoffice-regelung rückt eine neue „Work-life-balance“in greifbare Nähe und weckt Sehnsüchte nach einer neuen Arbeitszeit.
Dass es anders geht, zeigt eine Übersetzungsfirma in Ulflingen. Gleicher Lohn für weniger Arbeitsstunden: sicherlich eine Traumvorstellung, mit der sich die Allermeisten anfreunden können. Ob das allerdings ein tragfähiges Arbeitsmodell mit Zukunft ist, kann angezweifelt werden. Arbeitgeber stellen zu Recht die Frage: „Wer soll das bezahlen?“Und selbst Gewerkschaften gehen auf die Barrikaden, wenn sie sogenannte flexible Arbeitsformen wie „Crowd- oder Klickwork“hören. Diese Abrufarbeiten, die zunehmend den Arbeitsmarkt überschwemmen, gefährden das luxemburgische Sozialmodell.
Dennoch darf das nicht das Totschlagargument sein, sich neuen Möglichkeiten gänzlich zu verschließen. Die französische 35-Stunden-woche, die im Jahr 2000 zuerst belächelt wurde, ist heute eine Forderung, für die Gewerkschaften europaweit kämpfen und die in der jetzigen Debatte nicht mehr abwegig erscheint. Normale Arbeitsverhältnisse, an denen man sich festklammert, führen nicht aus, sondern tiefer in die Krise. Die Digitalisierung hat ihren Schrecken verloren. Das muss man nutzen und neue Arbeitsformen ausprobieren.
Digitalisierung
hat ihren Schrecken verloren. Das muss man
nutzen.
Kontakt: christophe.langenbrink@wort.lu