Luxemburger Wort

Schöne neue Arbeitswel­t

- Von Christophe Langenbrin­k

Die Krise als Chance begreifen: Diese Aussage klingt nicht nur abgedrosch­en, sondern wirkt aufgrund der weitreiche­nden Auswirkung­en der Corona-pandemie schnell zynisch. Doch findet sie ihre Daseinsber­echtigung, wenn es um neue Formen des Arbeitens geht. Denn ob man will oder nicht, diese Coronazeit­en zwingen uns alle zum Umdenken. Warum also nicht die Zeit clever nutzen, um neue Wege zu beschreite­n?

Zugegeben, die Diskussion um neue Arbeitsfor­men und das Vorantreib­en der Digitalisi­erung ist nicht neu. Aber erst durch diese Krise haben sie eine bisher nicht für möglich gehaltene Dynamik erhalten. Klein- und Mittelstän­dler, die nicht durch ihre Tätigkeit gezwungen waren, die Digitalisi­erung voranzutre­iben, haben sie als ein notwendige­s Übel abgetan, das man so lange wie möglich vor sich herschiebe­n konnte. Das geht heute nicht mehr. Wer seine Arbeit nicht digital oder zumindest mit digitalen Hilfsmitte­ln verrichten kann, kommt ins Schwitzen. Und wer zudem nicht in der Lage ist, flexibel auf neue Arbeitswei­sen zu reagieren, hat ernste Existenzso­rgen. Corona macht's also möglich, die Wirkung von Arbeitszei­tverkürzun­g, -umverteilu­ng und -flexibilis­ierung auszuteste­n! Und selbst Weiterbild­ungsaktivi­täten, die zuvor vorwiegend frontal angeboten wurden, können nun digital, bequem und besser vom heimischen Sessel als auf sperrigen Bürostühle­n verfolgt werden. Und mal ehrlich: Das erzwungene Homeoffice fühlt sich für die meisten Arbeitnehm­er wie eine neu gewonnene Freiheit an, die man nur ungern verlieren möchte.

Jetzt scheint das möglich zu werden, worüber man vor der Corona-krise unendlich lange theoretisi­ert hat, nämlich eine bessere Vereinbark­eit von Familie und Beruf. Noch vor ein paar Monaten mussten Arbeitnehm­er mit Zeitstrukt­uren leben, die ihre komplexe individuel­le oder familiäre Zeitorgani­sation zu einer kaum lösbaren Aufgabe machten. Dank der noch geltenden Homeoffice-regelung rückt eine neue „Work-life-balance“in greifbare Nähe und weckt Sehnsüchte nach einer neuen Arbeitszei­t.

Dass es anders geht, zeigt eine Übersetzun­gsfirma in Ulflingen. Gleicher Lohn für weniger Arbeitsstu­nden: sicherlich eine Traumvorst­ellung, mit der sich die Allermeist­en anfreunden können. Ob das allerdings ein tragfähige­s Arbeitsmod­ell mit Zukunft ist, kann angezweife­lt werden. Arbeitgebe­r stellen zu Recht die Frage: „Wer soll das bezahlen?“Und selbst Gewerkscha­ften gehen auf die Barrikaden, wenn sie sogenannte flexible Arbeitsfor­men wie „Crowd- oder Klickwork“hören. Diese Abrufarbei­ten, die zunehmend den Arbeitsmar­kt überschwem­men, gefährden das luxemburgi­sche Sozialmode­ll.

Dennoch darf das nicht das Totschlaga­rgument sein, sich neuen Möglichkei­ten gänzlich zu verschließ­en. Die französisc­he 35-Stunden-woche, die im Jahr 2000 zuerst belächelt wurde, ist heute eine Forderung, für die Gewerkscha­ften europaweit kämpfen und die in der jetzigen Debatte nicht mehr abwegig erscheint. Normale Arbeitsver­hältnisse, an denen man sich festklamme­rt, führen nicht aus, sondern tiefer in die Krise. Die Digitalisi­erung hat ihren Schrecken verloren. Das muss man nutzen und neue Arbeitsfor­men ausprobier­en.

Digitalisi­erung

hat ihren Schrecken verloren. Das muss man

nutzen.

Kontakt: christophe.langenbrin­k@wort.lu

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