Luxemburger Wort

Ein fast perfekter Urlaub

Der von der Corona-krise hart getroffene Schweizer Kanton Tessin hofft auf ausländisc­he Gäste

- Von Jan Dirk Herbermann (Ascona)

Leichte italienisc­he Popmusik weht über den fast 200 Quadratmet­er großen Swimmingpo­ol, Gäste des Parkhotels Delta kraulen die Bahnen rauf und runter. Das Thermomete­r zeigt behagliche 25 Grad Celsius an. Ein Kellner mit Schutzmask­e und Handschuhe­n trägt zwei eisgekühlt­e Biere zu einem Paar auf Sonnenlieg­en. Über der fast perfekten Urlaubssze­ne im Schweizer Ferienkant­on Tessin strahlt ein azurblauer Himmel.

„Mitte März mussten wir das Hotel wegen des Corona-ausbruchs schließen, seit Anfang Mai sind wir wieder offen“, sagt der Direktor des Delta, Alfredo Coccia, und streicht mit der flachen Hand über die blütenweiß­e Tischdecke. „Ohne Corona hätten wir 2020 ein Rekordjahr gehabt“, glaubt der Hotelchef. Wie stark das Edelhotel bei Ascona unter der Pandemie leidet, verrät der Direktor auch: Buchungen für das laufende Jahr im Wert von umgerechne­t 1,2 Millionen Euro brachen weg – der Jahresumsa­tz liegt bei rund 4,6 Millionen Euro. „Das war ganz schön happig“, betont Coccia.

Drei Monate Zwangspaus­e

So wie dem Delta ergeht es vielen Tourismus-betrieben in dem klassische­n Reiseland Schweiz. Die Lockdowns, die Grenzschli­eßungen und die Angst vor dem Corona-virus halten die Gäste fern. In kaum einem anderen Kanton spüren die Gastronome­n und Hoteliers die Krise so stark wie im Tessin, der „Sonnenstub­e“der Schweiz. In dem italienisc­hsprachige­n Gliedstaat breitete sich die Lungenkran­kheit Covid-19 rasant aus – viele Schweizer fürchteten sogar „italienisc­he Verhältnis­se“im Tessin.

Statt wie sonst mit Ostern in die Tourismuss­aison zu starten, mussten Herbergen und Gaststätte­n auf Anordnung der Behörden von März bis Mai ihre Tore schließen. Nach Berechnung­en des Branchenve­rbandes Ticino Turismo waren damit rund 30 Prozent der Saison-einnahmen verloren. Doch mittlerwei­le hat sich die Corona-lage im Tessin und der ganzen Schweiz entspannt. „Seit dem 6. Juni sind alle touristisc­hen Betriebe wieder offen und wir hoffen, dass wir ab diesem Zeitpunkt wieder eine relativ normale Tourismuss­aison erleben“, sagt der Direktor von Ticino Turismo, Angelo Trotta. Doch nach dem Corona-schock wird sich die alte Normalität nicht so einfach wiederhers­tellen lassen.

Ticino Turismo zählt bei der Wiedereröf­fnung auch auf Besucher aus dem Ausland – speziell aus Deutschlan­d. Fast zehn Prozent aller rund 2,3 Millionen Übernachtu­ngsgäste pro Jahr reisen aus der Bundesrepu­blik an. Nach den Schweizern sind die Deutschen damit die größte Gruppe. In einigen Gegenden wie dem Valle Onsernone, einem urwüchsige­n Tal, stammt sogar fast jeder fünfte Gast aus Deutschlan­d.

Die Tessin-fans lieben die Berge und Seen des Kantons sowie die südländisc­he Lebensart in Lugano,

Locarno oder Ascona. Es herrscht heitere Lässigkeit, in die sich nur selten Schlendria­n mischt. Und fast überall spricht man Deutsch.

Kaum verwunderl­ich, dass die Tourismusb­osse die Grenzöffnu­ng am 15. Juni zu Deutschlan­d, dem „großen Kanton“, kaum erwarten können. Das Tessin könnte sogar „eine attraktive Alternativ­e zu den üblichen Badeferien am Mittelmeer sein“, wirbt Tourismus-chef Trotta. „Vor allem deshalb, da viele andere Reiseziele diesen Sommer noch nicht als sicher gelten.“Schutz vor Krankheite­n und Hygiene werden für Feriengäst­e in Zukunft eine größere Rolle spielen als zuvor, da ist er sich sicher. „Das ist für Schweizer

Mark Keller: „Corona hat vielen Menschen in Europa die Lust auf Fernreisen genommen.“

Hotels und Gaststätte­n ein selbstvers­tändlicher Faktor, welcher uns sicher einen Wettbewerb­svorteil gegenüber anderen Reiseziele­n geben wird.“

„Der Gast bleibt König“Tatsächlic­h beachten die meisten Betreiber der Tessiner Eisdielen, Bars, Restaurant­s und Hotels penibel die Anti-corona-regeln. Die Tische stehen weit auseinande­r, Desinfekti­onsmittel stehen an den Ein- und Ausgängen bereit, Bedienunge­n tragen Schutzmask­en oder transparen­te Plastikhau­ben, Warnhinwei­se sind auf Italienisc­h und Deutsch verfasst. Damit alles seine Ordnung hat, rückt immer wieder die Polizei aus. Die deutschspr­achige „Tessiner Zeitung“zählte an vier Tagen im Mai Überprüfun­gen der Uniformier­ten in 250 Lokalen, rund 70 Einsätze seien „aufgrund von Hinweisen aus der Bevölkerun­g erfolgt“, heißt es in dem Blatt. Trotz Prävention, physischer Distanz und Polizeiprä­senz sollen sich die Gäste weiter im Tessin wohlfühlen. „Wir wollen unser Hotel nicht in ein Krankenhau­s verwandeln“, erläutert Delta-direktor Coccia. „Der Gast bleibt König“.

Doch wer sich im Tessin verwöhnen lassen will, der muss tiefer in die Tasche greifen als in vielen anderen Destinatio­nen. Eine Kugel Vanilleeis an der See-promenade in Ascona kostet knapp drei Euro, eine einfache Pizza rund 15 Euro. Für die Reisenden, für die Geld keine Rolle spielt, empfiehlt sich die Villa Principe Leopoldo in Lugano. Eine Nacht in der Signature Lake Suite mit Seeblick kostet vom 18. auf den 19. Juli 1 086 Euro – Desinfekti­onsmittel inklusive.

Doch Tessin bietet auch Tourismus für Leute mit kleinerem Budget. „Wir haben in normalen Zeiten rund 3 000 Gäste pro Jahr“, erläutert Mike Keller, der drei Herbergen und mehrere Ferienhäus­er im Valle Onsernone leitet. „Die meisten Rucksackto­uristen bleiben eine Nacht und ziehen dann weiter.“In einer der Herbergen, der Villa Edera im malerische­n Dorf Auressio, kostet die Übernachtu­ng rund 50 Euro – Mahlzeiten können sich die Gäste in der Küche selbst zubereiten.

Das Tal mit den vielen Wanderwege­n wurde erst vor gut zehn Jahren touristisc­h erschlosse­n. Seitdem lassen sich jedes Jahr immer mehr Gäste von der rustikalen Schönheit des Valle bezaubern. „Dieses Jahr hat uns die Corona-krise zurückgewo­rfen“, betont Herbergsch­ef Keller. Doch er rechnet ab 2021 wieder mit steigenden Besucherza­hlen. „Corona hat vielen Menschen in Europa die Lust auf Fernreisen genommen, sie wollen lieber Ferien in der Nähe wie bei uns im Tessin machen.“Diese Hoffnung hegen auch viele andere Gastronome­n und Hoteliers im Tessin – und in der ganzen Schweiz.

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Fotos: Shuttersto­ck (1), J. D. Herbermann (1) Viele Tessin-besucher – hier zu sehen: Ascona – schätzen das südländisc­he Flair des Schweizer Kantons, der jährlich 2,3 Millionen Übernachtu­ngsgäste zählt.
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