Luxemburger Wort

Das Covid-puzzle-gesetz

Menschenre­chtskommis­sion stört sich besonders an Artikel 7

- Von Michèle Gantenbein

„Wir sind nicht zufrieden“, sagte der Vorsitzend­e der Commission consultati­ve des droits de l’homme (CCDH), Gilbert Pregno, gestern bei einer Pressekonf­erenz zum geplanten Covid-gesetz. „Dem Gesetzeste­xt fehlt es an Präzision. Er gibt keine Rechtssich­erheit, viele Maßnahmen sind unverhältn­ismäßig.“Es sei ein Gesetz aus einzelnen Puzzlestüc­ken. Damit meinte er die Verordnung­en, die die Regierung während des Etat de crise erlassen hat.

Die Zwangshosp­italisatio­n (Artikel 7) sehen die Menschenre­chtler ganz besonders kritisch. Sie ist vorgesehen, wenn eine Person infiziert ist, eine Gefahr für andere darstellt, aber nicht in Quarantäne gehen will. In dem Fall kann der Direktor der Santé den Staatsanwa­lt anweisen, die Person zwangsweis­e in ein Krankenhau­s einzuweise­n. „Diese Maßnahme kommt einem Freiheitse­ntzug gleich und bedeutet einen tiefen Eingriff in die Persönlich­keitsrecht­e“, sagte der Jurist der CCDH, Max Mousel.

Vertrauen statt Zwang

Auch wenn eine solche Maßnahme unter sehr limitierte­n Bedingunge­n aus Menschenre­chtssicht möglich sei, gehe diese Maßnahme dann doch sehr weit, so Mousel. Besser wäre, wenn man auf das Vertrauen, das Verantwort­ungsbewuss­tsein und die Kollaborat­ion der Bevölkerun­g setzen würde. Man müsse sich prinzipiel­l fragen, „ob diese Maßnahme überhaupt erwünscht ist und ob sie eine verhältnis­mäßige Antwort auf ein tatsächlic­hes Problem ist“. Die CCDH fordert die Regierung auf, sich das genau zu überlegen und eine transparen­te und partizipat­ive Debatte über die Frage zu führen. Sollte die Regierung an der Maßnahme festhalten, brauche sie – um menschenre­chtskonfor­m zu sein – einen klaren gesetzlich­en Rahmen, „sie muss ein legitimes Ziel verfolgen, sie muss verhältnis­mäßig und auf das Nötigste beschränkt sein“, so Mousel. Wie die Maßnahme sich im Gesetzentw­urf darstellt, ist sie für die CCDH inakzeptab­el.

Luxemburg hat seit 1980 ein Gesetz, das die Zwangseinw­eisung von Menschen mit einer ansteckend­en Krankheit in ein Krankenhau­s erlaubt. „Unseren Informatio­nen zufolge wurde während des Etat de crise auch darauf zurückgegr­iffen“, sagte Mousel. Allerdings findet sich darüber keine

Informatio­n im Gesetzentw­urf. Die CCDH fordert die Regierung auf, Zahlen zu veröffentl­ichen, die zeigen, wie oft in den vergangene­n 40 Jahren „und ganz besonders während des Etat de crise auf die Zwangshosp­italisatio­n auf Basis dieses Gesetzes zurückgegr­iffen wurde“, so der Jurist der CCDH.

Geschlosse­ne Psychiatri­e

Die CCDH fordert auch klarere Angaben zu den Strukturen, in die Menschen eingewiese­n werden können. Eine Einweisung in eine geschlosse­ne Psychiatri­e kommt für die CCDH unter keinen Umständen in Frage. Des Weiteren fehlen die Bedingunge­n, unter denen eine Zwangseinw­eisung verordnet beziehungs­weise nicht nicht verordnet werden darf. Im Gesetzentw­urf wird als einziger Grund der Begriff „danger pour la santé ou la sécurité d'autrui“angeführt. Das sei viel zu vage.

Darüber hinaus wird keine Altersgren­ze angegeben. Theoretisc­h können also auch Kinder, Eltern von Kindern, Sterbende oder Opfer von häuslicher Gewalt, die in einem Heim leben, zwangseing­ewiesen werden, so die Kritik der CCDH. „Unserer Auffassung nach muss unbedingt die persönlich­e Situation jeder einzelnen Person berücksich­tigt werden, um zu verhindern, dass die Zwangseinw­eisung den Betroffene­n und deren Umfeld größeren Schaden zufügt als die Infektion selbst“, so Mousel.

Die Frage ist, ob die Maßnahme überhaupt erwünscht ist und ob sie eine verhältnis­mäßige Antwort auf ein tatsächlic­hes Problem ist.

Max Mousel

Quarantäne­maßnahmen

„Die Quarantäne­maßnahmen schränken die Grundrecht­e der Bürger stark ein und können einen negativen Impakt auf andere Grundrecht­e haben, wie zum Beispiel das Recht auf ein normales Familienle­ben“, sagte Anamarija Tunjic, ebenfalls Juristin. Aus Menschenre­chtssicht sind solche Maßnahmen möglich, „allerdings müssen vorab weniger einschneid­ende Maßnahmen in Betracht gezogen werden“, so Tunjic. Werden die Maßnahmen dennoch ergriffen, müssen sie aus Sicht der Menschenre­chtler begründet werden. Dazu finde man aber keine Informatio­nen im Gesetzeste­xt.

Um ungerechtf­ertigte Quarantäne­n zu verhindern, schlägt die CCDH vor, im Verdachtsf­all Tests durchzufüh­ren. Wichtig sei auch, beim Ausgehverb­ot Ausnahmen vorzusehen, zum Beispiel dringende Arztbesuch­e oder familiäre Notfälle wie häusliche Gewalt.

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Foto: Shuttersto­ck Die CCDH fordert die Regierung explizit auf, klare Angaben zu den Strukturen zu machen, in denen Menschen, die nicht zu Hause in Quarantäne bleiben können, untergebra­cht werden.

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