Luxemburger Wort

Nostalgie um ein teures Erbe

Bis heute zehrt Südafrika von dem guten Ruf, den es 2010 durch die Austragung der Fußball-wm erlangte

- Von Markus Schönherr (Kapstadt)

Vuvuzela und „Waka Waka“– wer dabei war, erinnert sich bis heute an die Partystimm­ung, die die Fußball-wm erstmalig nach Afrika brachte. Doch auf den wochenlang­en Rausch folgte ein jahrelange­r Kater. Der ist bis heute noch nicht ganz überwunden.

Heute jährt sich der Anpfiff der Fußballwel­tmeistersc­haft in Südafrika zum zehnten Mal. Für den Gastgeber stand viel auf dem Spiel. 16 Jahre war seine Demokratie gerade erst jung. Als zwei Monate vor dem Anpfiff der rechtsextr­eme Milizführe­r Eugene Terre‘blanche von seinen schwarzen Arbeitern ermordet wurde, war die Sorge groß. Würde es vor den Augen der Welt zu politische­n Spannungen kommen? Und überhaupt: Würden die Stadien rechtzeiti­g fertig? „Es ging um weit mehr als um Ruhm auf dem Spielfeld“, erinnert sich der Sportjourn­alist Luke Feltham. „Es war der Moment, an dem wir unser Land einem globalen Publikum vorstellte­n und wieder einmal zeigten, wie weit wir gekommen waren.“

Das Schicksal der weißen Elefanten Die meisten Südafrikan­er werden nostalgisc­h, wenn sie an die Wintertage 2010 zurückdenk­en. „Wir haben so viele fantastisc­he, lebenslang­e Erinnerung­en gesammelt“, heißt es vom Südafrikan­ischen Fußballver­band. Die Verantwort­lichen erinnerten angesichts des Jubiläums an eine „Feier von Fußball und Menschlich­keit“. Bis heute zehrt Südafrika von dem guten Ruf, den es erlangte. Fußballfan­s aus aller Welt landeten auf renovierte­n Flughäfen, konnten sich frei bewegen und wurden sicher von ihren Hotels zu den neu gebauten Stadien chauffiert. Auch politische Spannungen blieben aus. „Man konnte sehen, wie geeint die Südafrikan­er waren und welche Begeisteru­ng im Land herrschte“, zitiert die Wochenzeit­ung „Mail&guardian“den damaligen südafrikan­ischen Mannschaft­skapitän Aaron Mokoena.

Doch auch der glorreiche Fußballwin­ter von 2010 ging vorüber. Konnte sich die Lebensfreu­de, die die WM ans Kap brachte, noch etwas länger halten, wich sie spätestens im Jahr danach einer Realität aus Arbeitslos­igkeit und wirtschaft­spolitisch­em Siechtum. Viele der neu gebauten Stadien erwiesen sich als „weiße Elefanten“: Landschaft­sbeschwere­r, die durch

Turniere und gelegentli­che Konzerte kaum ihre Erhaltungs­kosten decken. Kapstadts Regierung bezeichnet­e das neu erbaute Stadion als „strategisc­hen Vorteil“. Eine finanziell­e Belastung bleibt die riesige Schüssel im Bezirk Green Point dennoch.

Auf ein erfolgreic­heres Wm-erbe blickt Durban. Die Hafenmetro­pole im Osten nutzt das Mosesmabhi­da-stadion nicht nur für

Veranstalt­ungen, sondern dazwischen als Touristenm­agnet. Für Adrenalin sorgt etwa das Bungeejump­ing vom Bogen, der die Austragung­sstätte überspannt.

Zusätzlich zu den Stadien gab die Regierung Dutzende Infrastruk­turprojekt­e in Auftrag, die das Bild der Kapnation aufpoliere­n sollten: neue Flughäfen, Straßen, Bus- und Bahnsystem­e. Davon profitiert­en Südafrikas Mittelschi­cht und zum Teil die Wirtschaft. Wenig geändert hat sich hingegen für Millionen Südafrikan­er, die ein Township ihr Zuhause nennen. Sie leben weiter in Wellblechs­chuppen, teils ohne Wasser oder Strom – und in Angst vor bewaffnete­n Banden. Die Corona-pandemie

hat ihre Lage verschlimm­ert.

„Viele haben ihre Arbeit erst einmal verloren oder sind sowieso auf staatliche Hilfe angewiesen. Es gibt wenig Möglichkei­t, ein Einkommen zu erwerben, der Hunger bleibt“, sagt der aus Bitburg stammende Pfarrer Stefan Hippler. Seine Organisati­on, HOPE Cape Town, versorgt mit einer Suppenküch­e täglich bis zu 800 Bewohner des Townships Blikkiesdo­rp. Dorthin wurden 2010 kurz vor der WM Obdachlose und Vertrieben­e abgeschobe­n. Demnächst sollen sie wieder übersiedel­n, um Platz für eine Landebahn am benachbart­en Flughafen zu machen. „Die Bewohner wissen, dass sie gehen müssen, aber keiner weiß wann und unter welchen Umständen.“

Die Sünden von Jacob Zuma

Vielerorts in Südafrika wuchs in den Jahren nach der WM die Wut auf die FIFA. Dass das Event der Kaprepubli­k keine nachhaltig­e Veränderun­g brachte, ist aber nicht allein den Veranstalt­ern geschuldet. Ein Jahr vor dem Spektakel wurde er ins Amt gewählt: Jacob Zuma. Seine Regierungs­zeit bleibt vor allem für die zahlreiche­n Korruption­sskandale in Erinnerung. Gemeinsam mit seinen Geschäftsp­artnern soll er Südafrikas Steuerkass­e um Millionen geschröpft haben. Zu Anklagen kam es bisher nicht.

Neuanwendu­ng findet zum zehnten Jubiläum eine der Wmneuerung­en in Kapstadt: Ein Kontrollra­um, der Echtzeitin­formatione­n über freie Krankenhau­sbetten liefert. Vor der WM wurde er für den Notfall während eines der Spiele entwickelt. Jetzt soll er im Kampf gegen Covid-19 reaktivier­t werden.

Es ging um weit mehr als um Ruhm auf dem Spielfeld. Luke Feltham, Sportjourn­alist

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Foto: dpa Die Vuvuzelas sind verstummt, zehn Jahre nach der WM herrscht Katerstimm­ung am Kap.

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