Nostalgie um ein teures Erbe
Bis heute zehrt Südafrika von dem guten Ruf, den es 2010 durch die Austragung der Fußball-wm erlangte
Vuvuzela und „Waka Waka“– wer dabei war, erinnert sich bis heute an die Partystimmung, die die Fußball-wm erstmalig nach Afrika brachte. Doch auf den wochenlangen Rausch folgte ein jahrelanger Kater. Der ist bis heute noch nicht ganz überwunden.
Heute jährt sich der Anpfiff der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika zum zehnten Mal. Für den Gastgeber stand viel auf dem Spiel. 16 Jahre war seine Demokratie gerade erst jung. Als zwei Monate vor dem Anpfiff der rechtsextreme Milizführer Eugene Terre‘blanche von seinen schwarzen Arbeitern ermordet wurde, war die Sorge groß. Würde es vor den Augen der Welt zu politischen Spannungen kommen? Und überhaupt: Würden die Stadien rechtzeitig fertig? „Es ging um weit mehr als um Ruhm auf dem Spielfeld“, erinnert sich der Sportjournalist Luke Feltham. „Es war der Moment, an dem wir unser Land einem globalen Publikum vorstellten und wieder einmal zeigten, wie weit wir gekommen waren.“
Das Schicksal der weißen Elefanten Die meisten Südafrikaner werden nostalgisch, wenn sie an die Wintertage 2010 zurückdenken. „Wir haben so viele fantastische, lebenslange Erinnerungen gesammelt“, heißt es vom Südafrikanischen Fußballverband. Die Verantwortlichen erinnerten angesichts des Jubiläums an eine „Feier von Fußball und Menschlichkeit“. Bis heute zehrt Südafrika von dem guten Ruf, den es erlangte. Fußballfans aus aller Welt landeten auf renovierten Flughäfen, konnten sich frei bewegen und wurden sicher von ihren Hotels zu den neu gebauten Stadien chauffiert. Auch politische Spannungen blieben aus. „Man konnte sehen, wie geeint die Südafrikaner waren und welche Begeisterung im Land herrschte“, zitiert die Wochenzeitung „Mail&guardian“den damaligen südafrikanischen Mannschaftskapitän Aaron Mokoena.
Doch auch der glorreiche Fußballwinter von 2010 ging vorüber. Konnte sich die Lebensfreude, die die WM ans Kap brachte, noch etwas länger halten, wich sie spätestens im Jahr danach einer Realität aus Arbeitslosigkeit und wirtschaftspolitischem Siechtum. Viele der neu gebauten Stadien erwiesen sich als „weiße Elefanten“: Landschaftsbeschwerer, die durch
Turniere und gelegentliche Konzerte kaum ihre Erhaltungskosten decken. Kapstadts Regierung bezeichnete das neu erbaute Stadion als „strategischen Vorteil“. Eine finanzielle Belastung bleibt die riesige Schüssel im Bezirk Green Point dennoch.
Auf ein erfolgreicheres Wm-erbe blickt Durban. Die Hafenmetropole im Osten nutzt das Mosesmabhida-stadion nicht nur für
Veranstaltungen, sondern dazwischen als Touristenmagnet. Für Adrenalin sorgt etwa das Bungeejumping vom Bogen, der die Austragungsstätte überspannt.
Zusätzlich zu den Stadien gab die Regierung Dutzende Infrastrukturprojekte in Auftrag, die das Bild der Kapnation aufpolieren sollten: neue Flughäfen, Straßen, Bus- und Bahnsysteme. Davon profitierten Südafrikas Mittelschicht und zum Teil die Wirtschaft. Wenig geändert hat sich hingegen für Millionen Südafrikaner, die ein Township ihr Zuhause nennen. Sie leben weiter in Wellblechschuppen, teils ohne Wasser oder Strom – und in Angst vor bewaffneten Banden. Die Corona-pandemie
hat ihre Lage verschlimmert.
„Viele haben ihre Arbeit erst einmal verloren oder sind sowieso auf staatliche Hilfe angewiesen. Es gibt wenig Möglichkeit, ein Einkommen zu erwerben, der Hunger bleibt“, sagt der aus Bitburg stammende Pfarrer Stefan Hippler. Seine Organisation, HOPE Cape Town, versorgt mit einer Suppenküche täglich bis zu 800 Bewohner des Townships Blikkiesdorp. Dorthin wurden 2010 kurz vor der WM Obdachlose und Vertriebene abgeschoben. Demnächst sollen sie wieder übersiedeln, um Platz für eine Landebahn am benachbarten Flughafen zu machen. „Die Bewohner wissen, dass sie gehen müssen, aber keiner weiß wann und unter welchen Umständen.“
Die Sünden von Jacob Zuma
Vielerorts in Südafrika wuchs in den Jahren nach der WM die Wut auf die FIFA. Dass das Event der Kaprepublik keine nachhaltige Veränderung brachte, ist aber nicht allein den Veranstaltern geschuldet. Ein Jahr vor dem Spektakel wurde er ins Amt gewählt: Jacob Zuma. Seine Regierungszeit bleibt vor allem für die zahlreichen Korruptionsskandale in Erinnerung. Gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern soll er Südafrikas Steuerkasse um Millionen geschröpft haben. Zu Anklagen kam es bisher nicht.
Neuanwendung findet zum zehnten Jubiläum eine der Wmneuerungen in Kapstadt: Ein Kontrollraum, der Echtzeitinformationen über freie Krankenhausbetten liefert. Vor der WM wurde er für den Notfall während eines der Spiele entwickelt. Jetzt soll er im Kampf gegen Covid-19 reaktiviert werden.
Es ging um weit mehr als um Ruhm auf dem Spielfeld. Luke Feltham, Sportjournalist