Zwei Wassermelonen für ein Monatsgehalt
Im Süden Syriens geht die bislang loyale Minderheit der Drusen gegen das Assad-regime auf die Straße
Es war Syriens Finanzminister Mamoom Hamdan, der mit seiner Aussage über die in seinem Land gezahlten Löhne das Fass zum Überlaufen brachte. „Ein guter Bürger“, behauptete er vor einer Woche, „ ist in der Lage, von seinem Gehalt zu leben, wenn er richtig damit haushaltet.“Als einen Tag später das Ministerium Hamdans Aussage zu entkräften versuchte, war es schon zu spät: In den sozialen Medien ergoss sich ein Shitstorm über den Minister.
Gleichzeitig gingen in der südsyrischen Stadt Deraa, wo vor neun Jahren die Revolte gegen das Assad-regime begonnen hatte, sowie in der bisher meist regierungsloyalen Drusen-enklave Suweida Tausende auf die Straße. In Sprechchören forderten sie „den Sturz des Regimes“. Die Proteste gingen auch gestern weiter.
„Syrien gehört uns und nicht den Assads“, riefen die empörten
Menschen, deren Zorn sich auch gegen die iranische Präsenz in dem arabischen Land richtete. Der lokale Fernsehsender „Suweida24“führte Interviews mit syrischen Hausfrauen. Mit hochroten Köpfen beklagten sie den massiven Wertverlust der Landeswährung Lira gegenüber dem Dollar.
Auf Konfrontation verzichtet
Mussten vor Kriegsausbruch lediglich 47 Lira für den Greenback bezahlt werden, waren es zu Wochenbeginn mehr als 2 900 Lira. Ein durchschnittliches Monatsgehalt von 50 000 Lira reiche gerade einmal für zwei große Wassermelonen oder einen Fünf-liter-kanister Sonnenblumenöl. „Wie sollen wir da überleben?“, fragten die Frauen, die „die Korruption, Inkompetenz und Habgier der Assad-familie“für die schwere Wirtschaftskrise verantwortlich machten.
„Erst wenn der Diktator weg ist“, so die weit verbreitete Meinung, „wird es uns wieder besser gehen.“Das Regime in Damaskus reagierte auf die Proteste mit zweierlei Maß: Während die Demonstrationen in der Region Deraa teilweise mit Waffengewalt aufgelöst wurden, ließ man die Drusen, bei denen es sich um Angehörige einer Geheimreligion handelt, gewähren.
Einen offenen Konflikt mit der religiösen Minderheit kann sich der Assad-clan, der der religiösen Minderheit der Alawiten angehört, nicht leisten. Tatsächlich haben die Drusen in den letzten Jahren auf eine offene Konfrontation mit Damaskus verzichtet. Um ihre
Neutralität zum Ausdruck zu bringen, beteiligten sie sich auch nicht an der Niederschlagung des Aufstands. Versuche, die Drusen zwangsweise zu rekrutieren, scheiterten. Anstatt der Armee traten sie lokalen Bürgerwehren bei, die zum Schutz der von Extremisten bedrohten drusischen Siedlungsgebiete gebildet worden waren.
Die wirtschaftliche Lage ist dort noch schlechter als in den Großräumen von Damaskus und Aleppo, weil die meisten Drusen ihre Anstellungen im Staatsdienst verloren haben. Allerdings müssen auch in anderen Landesteilen die Familien inzwischen von ihren Ersparnissen leben oder zum Überleben einen Teil ihres Goldschmucks verkaufen.
Besserung ist nicht in Sicht. Mit dem Inkrafttreten des sogenannten „Caesar Act“werden die von den USA gegen Syrien verhängten Sanktionen im Juli weiter verschärft werden. Der Name des Gesetzes
geht auf einen syrischen Fotografen zurück, der einmal für die Geheimdienste arbeitete und bei seiner Flucht nach Europa Tausende Fotos von Folteropfern mitnahm.
Die entsetzlichen Bilder sind ein überaus wirkungsvolles Instrument, um die Methoden des Assad-clans zu entlarven und gleichzeitig den Druck auf das Regime zu verschärfen. Ein Sturz des Regimes wird gegenwärtig vom Westen nicht ausdrücklich verlangt. Die Forderung steht aber weiterhin im Raum.
Keine Alternative in Sicht
Allerdings ist eine annehmbare Alternative zum Assad-regime nicht in Sicht. Die von westlichen Geheimdiensten bewaffneten Dschihadisten in der Provinz Idlib werden von den religiösen Minderheiten in Syrien, zu denen auch fast zwei Millionen Christen zählen, noch mehr gefürchtet als das Assad-regime.
Ein Sturz des Regimes wird gegenwärtig vom Westen nicht ausdrücklich verlangt.