Luxemburger Wort

Zwei Wassermelo­nen für ein Monatsgeha­lt

Im Süden Syriens geht die bislang loyale Minderheit der Drusen gegen das Assad-regime auf die Straße

- Von Michael Wrase (Limassol)

Es war Syriens Finanzmini­ster Mamoom Hamdan, der mit seiner Aussage über die in seinem Land gezahlten Löhne das Fass zum Überlaufen brachte. „Ein guter Bürger“, behauptete er vor einer Woche, „ ist in der Lage, von seinem Gehalt zu leben, wenn er richtig damit haushaltet.“Als einen Tag später das Ministeriu­m Hamdans Aussage zu entkräften versuchte, war es schon zu spät: In den sozialen Medien ergoss sich ein Shitstorm über den Minister.

Gleichzeit­ig gingen in der südsyrisch­en Stadt Deraa, wo vor neun Jahren die Revolte gegen das Assad-regime begonnen hatte, sowie in der bisher meist regierungs­loyalen Drusen-enklave Suweida Tausende auf die Straße. In Sprechchör­en forderten sie „den Sturz des Regimes“. Die Proteste gingen auch gestern weiter.

„Syrien gehört uns und nicht den Assads“, riefen die empörten

Menschen, deren Zorn sich auch gegen die iranische Präsenz in dem arabischen Land richtete. Der lokale Fernsehsen­der „Suweida24“führte Interviews mit syrischen Hausfrauen. Mit hochroten Köpfen beklagten sie den massiven Wertverlus­t der Landeswähr­ung Lira gegenüber dem Dollar.

Auf Konfrontat­ion verzichtet

Mussten vor Kriegsausb­ruch lediglich 47 Lira für den Greenback bezahlt werden, waren es zu Wochenbegi­nn mehr als 2 900 Lira. Ein durchschni­ttliches Monatsgeha­lt von 50 000 Lira reiche gerade einmal für zwei große Wassermelo­nen oder einen Fünf-liter-kanister Sonnenblum­enöl. „Wie sollen wir da überleben?“, fragten die Frauen, die „die Korruption, Inkompeten­z und Habgier der Assad-familie“für die schwere Wirtschaft­skrise verantwort­lich machten.

„Erst wenn der Diktator weg ist“, so die weit verbreitet­e Meinung, „wird es uns wieder besser gehen.“Das Regime in Damaskus reagierte auf die Proteste mit zweierlei Maß: Während die Demonstrat­ionen in der Region Deraa teilweise mit Waffengewa­lt aufgelöst wurden, ließ man die Drusen, bei denen es sich um Angehörige einer Geheimreli­gion handelt, gewähren.

Einen offenen Konflikt mit der religiösen Minderheit kann sich der Assad-clan, der der religiösen Minderheit der Alawiten angehört, nicht leisten. Tatsächlic­h haben die Drusen in den letzten Jahren auf eine offene Konfrontat­ion mit Damaskus verzichtet. Um ihre

Neutralitä­t zum Ausdruck zu bringen, beteiligte­n sie sich auch nicht an der Niederschl­agung des Aufstands. Versuche, die Drusen zwangsweis­e zu rekrutiere­n, scheiterte­n. Anstatt der Armee traten sie lokalen Bürgerwehr­en bei, die zum Schutz der von Extremiste­n bedrohten drusischen Siedlungsg­ebiete gebildet worden waren.

Die wirtschaft­liche Lage ist dort noch schlechter als in den Großräumen von Damaskus und Aleppo, weil die meisten Drusen ihre Anstellung­en im Staatsdien­st verloren haben. Allerdings müssen auch in anderen Landesteil­en die Familien inzwischen von ihren Ersparniss­en leben oder zum Überleben einen Teil ihres Goldschmuc­ks verkaufen.

Besserung ist nicht in Sicht. Mit dem Inkrafttre­ten des sogenannte­n „Caesar Act“werden die von den USA gegen Syrien verhängten Sanktionen im Juli weiter verschärft werden. Der Name des Gesetzes

geht auf einen syrischen Fotografen zurück, der einmal für die Geheimdien­ste arbeitete und bei seiner Flucht nach Europa Tausende Fotos von Folteropfe­rn mitnahm.

Die entsetzlic­hen Bilder sind ein überaus wirkungsvo­lles Instrument, um die Methoden des Assad-clans zu entlarven und gleichzeit­ig den Druck auf das Regime zu verschärfe­n. Ein Sturz des Regimes wird gegenwärti­g vom Westen nicht ausdrückli­ch verlangt. Die Forderung steht aber weiterhin im Raum.

Keine Alternativ­e in Sicht

Allerdings ist eine annehmbare Alternativ­e zum Assad-regime nicht in Sicht. Die von westlichen Geheimdien­sten bewaffnete­n Dschihadis­ten in der Provinz Idlib werden von den religiösen Minderheit­en in Syrien, zu denen auch fast zwei Millionen Christen zählen, noch mehr gefürchtet als das Assad-regime.

Ein Sturz des Regimes wird gegenwärti­g vom Westen nicht ausdrückli­ch verlangt.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg