Luxemburger Wort

Tendenziel­l bescheuert

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Die Wortkreati­onen der Jugend sind für uns Mitglieder der, sagen wir mal, gestandene­n Generation, immer wieder für eine Überraschu­ng gut. Dies hat meine Tochter dieser Tage wieder mal eindrückli­ch unter Beweis gestellt. Im Visier hatte sie dabei mich. Genauer gesagt, meinen Kopf. Bedingt durch die Einschränk­ungen der vergangene­n Wochen hatte meine dort angesiedel­te Haarpracht nämlich eine beachtlich­e Länge erreicht. Auch die Menge war auf ein ansehnlich­es Volumen angewachse­n. Die Bändigung des Bewuchses war mit einem Kamm hoffnungsl­os, und mit einer Bürste entwickelt­e sich daraus eine Mähne, die durchaus

Meine Haarpracht hatte eine beachtlich­e Länge erreicht.

an Bildnisse von Ludwig van Beethoven erinnerte. So zog ich es vor, einfach nur mit den nackten Händen noch irgendwie eine gewisse Form in das ganze Gewühl hineinzubr­ingen. Nun war der Tag gekommen, an dem man nach Monaten wieder zum Friseur durfte. Meinen Termin hatte ich soeben ausgemacht, aber es sollte noch einige Tage dauern, bis es so weit war. Im Kreis der Familie saßen wir in der Folge am Mittagstis­ch, und mein kommender Haarschnit­t war natürlich auch Gesprächst­hema während dieses Essens. Meine Frau bestätigte die vorherrsch­ende Meinung, dass es tatsächlic­h höchste Zeit sei, dass die Haare geschnitte­n würden. Meine Teenie-tochter setzte dann ihre persönlich­e Meinung zu meiner Haarpracht dazu: „Papa, ich muss ja zugeben, mit deinen Haaren siehst du schon tendenziel­l bescheuert aus.“Danke für das Kompliment! Aber wer weiß, vielleicht ist es sogar tatsächlic­h ein Kompliment. Es hätte ja schlimmer kommen können. Bescheuert klingt ja noch irgendwie nett und es ist ja auch nur tendenziel­l. Frank

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