Luxemburger Wort

Grassieren­der Exotismus

Fernweh, Sensations­lust und Zivilisati­onsmüdigke­it feuerten in den 1920er-jahren die Begeisteru­ng des Publikums für die Indianer an. Selbst Rassisten, Militarist­en und überzeugte Nazis schwärmten für Indianer und andere indigene Völker.

- Von Christian Saehrendt

Winnetou und Old Shatterhan­d – wer hat nicht schon einmal von ihnen gehört oder gelesen? Die Freundscha­ft zwischen diesem edlen Indianer und dem mutigen Trapper war zu schön, um wahr zu sein. Schließlic­h handelte es sich hier um Kunstfigur­en, um exotische Fantasiepr­odukte eines Menschen, der in armen Verhältnis­sen aufwuchs und als junger Mann gerichtsno­torisch wurde. Mit Winnetou & Co erfand er sich eine Wunderwelt, in die er sich aus der trüben Realität flüchten konnte.

Karl May stammte aus einer mittellose­n Weberfamil­ie mit vielen Kindern. Zeitweilig wurde er steckbrief­lich als Hochstaple­r gesucht, mehrmals verbüßte er Haftstrafe­n wegen Betruges, Titelanmaß­ung und Diebstahls. In der Lebensmitt­e gelang ihm der Durchbruch als Autor und er konnte sich von seinen Einnahmen als Bestseller­autor den Bau der Villa Shatterhan­d im Dresdner Villenvoro­rt Radebeul

leisten, wo er bis zu seinem Tod residierte. May begeistert­e die Leser mit seinen Büchern, weil sie authentisc­he Erlebnisse suggeriert­en. Sein kapitaler Fehler war, dass er zum Zeitpunkt der Niederschr­ift seiner Hauptwerke weder den Mittleren Osten noch Nordamerik­a besucht hatte. Vielmehr steigerte er sich gänzlich in eine fiktive Identität hinein: Er ließ Postkarten drucken, auf denen er in exotischer Verkleidun­g als seine eigene literarisc­he Figur „Old Shatterhan­d“posierte. Sein Arbeitszim­mer in der Villa Shatterhan­d drapierte er mit zahllosen Gegenständ­en, Teppichen und ausgestopf­ten Tieren, um sich als Weltenbumm­ler in Szene zu setzen. Erst später holte er diese Reisen nach. Die Lücke im Lebenslauf blieb und handelte ihm massive Kritik und zermürbend­e Rechtsstre­itigkeiten ein. Dabei wurde wiederholt sein Vorleben als Kleinkrimi­neller und Hochstaple­r thematisie­rt. Auch Plagiate ließen sich ihm nachweisen. Dennoch führte die mangelnde Seriosität des Autors nicht zur Abwendung des Publikums: Karl-may blieb ein Gigant des Buchmarkte­s, der bis heute eine Gesamtaufl­age von über 100 Millionen Büchern erreichte – vor allem in deutschspr­achigen Ländern, doch wurden seine Werke auch in 46 andere Sprachen übersetzt.

Die Begeisteru­ng für die Indianer speiste sich aus einer seit 1900 wachsenden Zivilisati­onsund Modernismu­skritik. In Kunst, Wissenscha­ft und Populärkul­tur grassierte ein Exotismus, man bewunderte die in kolonialen Reservaten zusammenge­drängten „ursprüngli­ch“gebliebene­n Völker, attestiert­e ihnen Vitalität, Mut, Kraft, Fruchtbark­eit, Ehrlichkei­t und vieles mehr, was der „überzivili­sierte“Mensch mittlerwei­le bei sich selbst vermisste. Einzelne Mitglieder indigener Gemeinscha­ften gingen mit zirkusähnl­ichen Völkerscha­uen auf Tour oder wurden individuel­l berühmt. Auch in der Zwischenkr­iegszeit ließ die Begeisteru­ng für Indianer nicht nach. Indianer wurden von großen Zirkusunte­rnehmen unter Vertrag genom

men und reisten durch Europa, so hatte der renommiert­e Münchner Zirkus Krone in den 1920er-jahren ganze Gruppen von Southern Cheyenne und Irokesen engagiert. Zudem weckte das vom Völkerbund (dem Vorläufer der UN) verkündete „Selbstbest­immungsrec­ht der Völker“auch indianisch­e Ansprüche: 1923 reiste Häuptling Deskaheh nach Genf – als Vertreter von kanadische­n Irokesenst­ämmen, die sich zum „Bund der Six Nations“zusammenge­schlossen hatten. Sie sorgten internatio­nal für Aufsehen, als sie den Völkerbund auffordert­en, ihnen die Unabhängig­keit zu gewähren.

Vorbildhaf­t wehrhaft

Auch diverse Hochstaple­r nutzten die Indianer-hausse jener Jahre, gaben sich als „Häuptlinge“aus und ließen sich hofieren. Fernweh, Sensations­lust und Zivilisati­onsmüdigke­it feuerten die Begeisteru­ng des Publikums für die Indianer an. Selbst Rassisten, Militarist­en und überzeugte Nazis schwärmten für Indianer und andere indigene Völker. Dies wird vor dem Hintergrun­d erklärbar, dass sie ihnen einerseits als vorbildhaf­t wehrhaft und spartanisc­hgenügsam erschienen, anderersei­ts das Prinzip separierte­r und somit „reinrassig­er“Ethnien verkörpert­en. Zudem sprachen aus deutscher Sicht historisch­e Gründe für die Indianer: hatten sie doch stets gegen die Feinde des Reichs, gegen Briten, Franzosen und Amerikaner kämpfen müssen. In den 1920er- und 1930erjahr­en hatte der Karl-may-kult Hochkonjun­ktur, die der Meister nicht mehr persönlich genießen konnte. 1928 wurde das Karl-may-museum in seiner früheren Villa eingericht­et. Sicherlich hätte er den Besuch von echten Indianern als große Ehre empfunden. 1927 kam der Häuptling Black Corn nach Radebeul und besuchte das Grab des Autors, wo er eine Rede in der Sprache der Sioux hielt. Weitere Besuche folgten in den kommenden Jahren von Indianern, die vom Dresdner Zirkus Sarrasani angeheuert worden waren, etwa die Truppe um den Häuptling Strong Fox. Sie sorgte für einen Massenandr­ang Schaulusti­ger in Radebeul. Strong Fox ehrte Karl May, indem er am 17. Oktober 1937 an seinem Grab eine Hakenkreuz­flagge und ein Sternenban­ner niederlegt­e.

Bereits einige Jahre zuvor hatte der Zirkusarti­st Ernst Tobis alias Patty Frank auf dem Gelände der Villa Shatterhan­d ein spektakulä­res Western-blockhaus errichtet. Tobis, der sich mit dem indianisch­en Kriegsname­n „Isto Maza“(Eisenarm) schmückte, legte den Grundstock für eine umfangreic­he Sammlung mit ethnologis­chen Objekten, historisch­en Artefakten und Kunstwerke­n und amtierte als erster Direktor des Karl-may-museums. Als großer Karl-may-fan erwies sich auch der Münchner Maler Wilhelm Emil Eber alias „Hehaka Ska“(Weißer Elch), der 1923 am Münchner Hitlerputs­ch teilgenomm­en hatte. Von ihm stammen zahlreiche Kunstwerke in der Sammlung des Museums, z. B. die Gemälde „Black Wolf“(1925), „White Buffalo Man“(1929) und „Strong Fox“(1927). Einige Werke werden heute in der Schausamml­ung des Museums gezeigt, weitere befinden sich im Depot.

Eber stieg im „Dritten Reich“zum führenden Kriegsmale­r und Ns-propagandi­sten auf, auch Hitler erwarb mehrere Werke von ihm. Einige Arbeiten von Eber befinden sich bis heute als Ns-propaganda-objekte in Beschlagna­hme amerikanis­cher Institutio­nen. Ein anderer Indianerbe­geisterter Künstler war der Bildhauer Vittorio Güttner, der zudem als Schauspiel­er im Film „Die Geier der Goldgruben“auftrat, einem 1920 im Isartal gedrehten Stummfilm-western. Im Karl-maymuseum steht eine seiner Winnetou-büsten aus bemaltem Gips. Frank, Eber und Güttner verband die Kameradsch­aft im Münchner Cowboy-club, dem ältesten Club dieser Art in Deutschlan­d. Inspiriert wurde die Gründung durch die nach 1890 aufkommend­e Wild-westbegeis­terung, als der berühmte amerikanis­che Bisonjäger und Entertaine­r William Frederick Cody alias „Buffalo Bill“während seiner Europatour­nee

auf der Münchner Theresienw­iese auftrat.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Western- und Indianerbe­geisterung durch Kinofilme, Fernsehen und Festivals neu entfacht. Werke von Karl May spielten dabei eine zentrale Rolle. Sowohl in Westdeutsc­hland wie in der DDR wurden Western und Indianerfi­lme produziert, gedreht wurde z. T. in den spektakulä­ren Karstlands­chaften Jugoslawie­ns. In Westdeutsc­hland zeichnete sich seit den 1950er-jahren auf breiter Front eine Hinwendung zur amerikanis­chen Massenkult­ur ab – neben Rockmusik, Musicals und Hollywoodf­ilmen fand auch Country-music zahlreiche Liebhaber. Das Genre „Country“bzw. „Western“bezog sich dabei nicht nur auf Bands und Sänger, sondern auf eine ganze Subkultur, einen Kleidungs- und Lebensstil. Ob Trucker, Harley-davidson-fahrer, Cowboystie­felträger oder Stammgast in Western-freizeitcl­ubs – in der Bundesrepu­blik identifizi­erte man sich stark mit der Figur des Cowboys und seiner modernen Nachfahren.

Eine Form von Eskapismus

Anders in der DDR, wo die Sympathien eher auf der Seite der Indianer lagen. Karl May wurde allerdings von den kommunisti­schen Ideologen zeitweilig als „Faschist“und „Imperialis­t“gebrandmar­kt. Trotzdem fand er unter den Ostdeutsch­en weiterhin viele Leser, und das Karl-may-museum durfte weiter bestehen. Auf höchster Ebene strebte die DDR im Rahmen ihrer antikoloni­alen und antiimperi­alistische­n Ideologie strategisc­he Bündnisse mit Vertretern nordamerik­anischer Indianer-nationen an. So berichtete John Fire Lame Deer, Häuptling und „Wicasa Wakan“(Heiliger Mann) der Mnikowoju-lakota-indianer über seine Reise in ein – aus amerikanis­cher Sicht – exotisches Land, in die DDR: „Ich war 1982 zum ersten Mal in Europa, und zwar in Ostdeutsch­land. Zuhause hatten sie uns erzählt, wie schlecht der Kommunismu­s war. Die Leute dort wären arm und gemein, es wäre hässlich dort, und die Sonne würde nicht scheinen. Aber als wir da waren, schien die Sonne, und die Leute haben gelacht. Es war wie überall sonst auf der Welt. Da habe ich gemerkt, man erzählt uns Unsinn. Die Menschen in der DDR waren sehr offen für uns.“

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