Luxemburger Wort

In der ersten Reihe

In Peking geht der Unterricht wieder los – auch für den österreich­ischen Gastschüle­r Maximilian Santner

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Wirklich realisiert hat Maximilian Santner seine Entscheidu­ng erst, als er bereits im Flugzeug nach Peking saß: Die nächsten elf Monate würde der 17Jährige fast 8 000 Kilometer fern der Heimat verbringen, gemeinsam mit einer chinesisch­en Gastfamili­e leben und den Schulunter­richt in einer für ihn fremden Sprache absolviere­n. „Bis jetzt hat es aber eigentlich immer gut funktionie­rt“, sagt Santner – und fängt an zu lachen. Denn dass er die Coronakris­e ausgerechn­et während seines Austauschj­ahrs in China durchmache­n würde, hätte natürlich niemand ahnen können.

Der Österreich­er mit der blonden Scheitelfr­isur sitzt auf einer Dachterras­se im Shopping-viertel Sanlitun, es ist ein schwüler Nachmittag im Juni, an den Nebentisch­en sitzen hippe Millennial­s und starren auf ihre Smartphone­s. Santners Heimatstad­t Leoben – eine Kleinstadt in der Steiermark, die außerhalb der Landesgren­zen wohl für

Wir sind zwei Monate durchgängi­g drinnen geblieben – nicht einmal für einen Spaziergan­g raus.

die ansässige Montanuniv­ersität und die Gösser Brauerei bekannt ist – scheint im Gewusel der chinesisch­en Zehn-millionen-metropole weit weg. Doch bereits von klein auf hat es den Oberschüle­r in die Ferne gezogen.

„Am Anfang waren es die Kung-fufilme von Jackie Chan. Später ist durch Bücher und Musik mein Interesse an Chinesisch gestiegen, sodass ich irgendwann einmal Sprachstun­den ausprobier­t habe“, sagt Maximilian Santner. Die jahrtausen­dealte Kultur begeistert ihn, aber auch die schiere Größe und wirtschaft­liche Macht des Landes: „Mir war klar, dass das Ganze Zukunft haben wird.“Irgendwann stand dann fest, dass er ein Austauschj­ahr in der Volksrepub­lik verbringen würde.

Unterricht ab 7.20 Uhr

Seit letztem Sommer geht Santner im Südwesten Pekings zur Schule, wo er der einzige Ausländer unter 1 200 Chinesen ist. Der Unterricht war zunächst ein Kulturscho­ck, denn er fängt bereits um 7.20 Uhr in der Früh an und erstreckt sich bis weit in die späten Nachmittag­sstunden. Dann folgt meist noch das verpflicht­ende Selbststud­ium im Klassenzim­mer, ehe spätabends die Hausaufgab­en zu Hause erledigt werden. „Man sieht es tagtäglich, dass die Hälfte der Klassenkam­eraden im Unterricht schlafen, weil sie selber nicht mehr schaffen“, sagt der Jugendlich­e: „Zudem gibt es fast ausschließ­lich Frontalunt­erricht. Diskussion­en, wie wir sie in Europa kennen, sind nicht vorgesehen.“

An diesem Nachmittag spaziert er durch die belebten Geschäftss­traßen des Stadtzentr­ums, passiert Modegeschä­fte und Bars, schlängelt sich am Trottoir zwischen Luxuskaros­serien und Passanten durch. Normale Alltagssze­nen, doch in Zeiten des globalen Lockdowns erscheinen diese fast surreal: Das Corona-virus wirkt mittlerwei­le in China weit entfernt. Nur die blaue Schutzmask­e, die Maximilian

In Peking fing die Schule am 1. Juni wieder an. Sowohl das Lehrperson­al als auch die Schüler müssen strenge Regeln befolgen.

Der österreich­ische Austauschs­chüler Maximilian Santner meint: „Durch die Corona-zeit ist das ganze Jahr noch mal viel besonderer geworden“.

Santner noch aus Höflichkei­t gegenüber seinen Mitmensche­n überzieht, erinnert an die Virusepide­mie.

Ende Januar hingegen traf der neuartige Lungenerre­ger den Österreich­er vollkommen unvorberei­tet: „Weil ich täglich die Zeitung lese, habe ich recht früh von dem Virus erfahren. Dennoch war mein erster Gedanke: Wuhan ist sehr weit weg, das Ganze wird mich niemals treffen“, sagt Santner. Zwei Wochen später jedoch traten die ersten Infektione­n auch in Peking auf – und die chinesisch­en Gasteltern trafen eine radikale Entscheidu­ng, die lautete: zu Hause bleiben.

„Wir sind zwei Monate durchgängi­g drinnen geblieben – nicht einmal für einen Spaziergan­g raus“, erinnert sich der Gastschüle­r, der sich ein Zimmer mit Hochbett und zwei Schreibtis­chen mit dem 16-jährigen Sohn der Familie teilt. Nur die Eltern haben für notwendige Einkäufe die Wohnung verlassen. Eine harte Zeit, die irgendwie gefüllt werden musste: „Wir haben dann Liegestütz­e gemacht, Karten gespielt, Videos geschaut und Bücher gelesen. Frische Luft war nur über das Fenster möglich.“Natürlich hatte man damals Angst, schließlic­h war nur wenig bekannt über das Virus.

Krise schweißt zusammen

Ob er das Gefühl hatte, dass ihm die Pandemie ein so besonderes Jahr seiner Jugend gestohlen habe? „So würde ich das überhaupt nicht formuliere­n. Durch die Corona-zeit ist das ganze Jahr noch mal viel besonderer geworden“, sagt er. Die Gasteltern, die normalerwe­ise in ihrem Restaurant arbeiteten, hatten auf einmal vermehrt Zeit. Die Krise habe zusammenge­schweißt. Und unfreiwill­ig wurde Maximilian Santner für die österreich­ischen Medien zum gefragten Interviewp­artner. Ganz gleich ob ORF oder „Krone Zeitung“: Alle wollten sie von ihrem Landsmann wissen, wie denn der Corona-alltag in Chinas Hauptstadt so ausschaut.

„Es ist eigentlich mittlerwei­le sehr ähnlich wie auch vor dem Virus“, sagt der 17-Jährige, der seit dem 1. Juni wieder ganz normal zur Schule geht. Der Unterricht läuft unter strengen Regeln ab: Einlass bekommt nur, wer am Schultor eine Wärmekamer­a passiert, die die Körpertemp­eratur misst. Später im Klassenzim­mer wird jeder Schüler ebenfalls noch einmal auf Fieber geprüft, gegen Mittag und Abend erneut. Jeder bekommt zudem im Klassenzim­mer seinen eigenen Tisch zugewiesen, Maskenpfli­cht gilt abseits des Mittagsess­ens den gesamten Tag über. „In den Pausen kommt es natürlich vor, dass man sich auch mal näher kommt als die geforderte­n 1,5 Meter Abstand. Aber meist schreiten dann schon relativ bald Lehrer ein“, sagt Santner. Der größte Wermutstro­pfen: Der Turnunterr­icht findet nur eingeschrä­nkt auf Bodenmarki­erungen statt, an Fußballspi­elen sei leider noch nicht zu denken.

Im Juli wird der Österreich­er nun wieder seinen Heimflug antreten – vorausgese­tzt, die Maschine hebt auch tatsächlic­h ab. Die Fluglinie steht nämlich derzeit vor der Pleite, von daher ist auch die Rückkehr bei diesem besonderen Schulausta­uschjahr ein großes Fragezeich­en.

Es ist eigentlich mittlerwei­le sehr ähnlich wie auch vor dem Virus.

Was er während des harten Lockdowns im Frühjahr am meisten vermisst habe, als er die Wohnung nicht verlassen konnte? „Das hört sich jetzt komisch an, aber ich wäre am liebsten einfach zur Schule gegangen. Man langweilt sich am Ende doch sehr, wenn man vier Monate am Stück keinen Unterricht hat. Und irgendwann hat man dann auch keinen Grund mehr, in der Früh aufzustehe­n.“

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