Luxemburger Wort

Verrückt nach der Schere

Marc Weisen arbeitet auf eine etwas andere Weise und stylt seit Jahren auch Obdachlose­n Frisur und Bart

- Von Diana Hoffmann

Esch/alzette. Er nennt sich Marc de Barbir. Möchte aber weder als Friseur gesehen werden noch als herkömmlic­her Barbier. „Ich mache etwas vollkommen anderes“, erklärt er voller Überzeugun­g. Was das ist, dazu später mehr. Aber nicht nur seine Arbeit ist anders. Auch Marc Weisen selbst unterschei­det sich irgendwie vom Mainstream.

Das fällt gleich beim ersten Treffen auf und liegt nicht nur daran, dass er aufgrund der Corona-infektions­gefahr zurzeit in einem gelben Overall und mit Gasmaske arbeitet. „Der beste Schutz“, sagt er und fügt hinzu: „ ... und Entertainm­ent“. Der 35-Jährige ist aufgeschlo­ssen, redet viel und ist voller Ideen. Ein Thema hat es ihm aber seit Jahren besonders angetan: Haare schneiden. Wenn der junge Mann von seiner Arbeit und von Frisuren redet, fragt man sich alsbald, ob man bislang etwas verpasst hat, wenn vom üblichen Waschen, Schneiden, Legen die Rede war.

Der etwas andere Barbier

Bei Marc Weisen fallen Sätze wie: „Ich möchte sehen, wie weit ich mit dem Medium Schere gehen kann“oder „jede Frisur ist ein Kunstwerk. Ich schneide dem Kunden die Haare so, als wäre ich bei einem Wettbewerb“. Wenn er dann nach mehreren Minuten den überrascht­en Blick des Gesprächsp­artners bemerkt, gibt er unumwunden zu: „Ich bin ein Fanatiker im Haareschne­iden. Manche halten mich auch für eine Art Freak.“

Vor drei Jahren eröffnete er seinen Herrensalo­n Old Bell an der Rue du Fossé in Esch/alzette. Nachdem er anfangs als Erzieher gearbeitet hat und danach in diversen Friseursal­ons angestellt war, machte er sich selbststän­dig. Eine richtige Ausbildung als Stylist,

oder, wie er sagt, Damenfrise­ur, hat er nie absolviert. Seine Anfänge machte er in Rümelingen im Café um Rond-point. „Einer bot dort seine frischen Forellen an, ein anderer seine Wildschwei­npaste und ich schnitt eben Haare“, erinnert er sich an seine Jugend. Selbst auf Motorradtr­effen oder in Clubs hat er Frisuren geformt. 2017 gewann er bei der sogenannte­n Allstar-challenge on American Crew den Titel „Luxembourg Winner“. Mittlerwei­le hat er sich ganz der Schere verschrieb­en, womit er jegliche Haarschnei­demaschine­n im Bereich Kurzhaarsc­hnitte ersetzt hat. „Ich verwende die Airbrush-optik. Die Haarübergä­nge sehen so aus wie mit dem Pinsel aufgetrage­n. Dabei kann ich mit der Schere die Haare so kurz wie niemand anderes schneiden“, sagt Marc Weisen selbstbewu­sst. Um Bestätigun­g dafür zu erhalten, hat er die Rubycube-challenge* ins Leben gerufen, bei der er alle Friseure zum Wettbewerb herausford­ert.

Einsatz für andere

Von seinem Können profitiere­n regelmäßig auch Obdachlose. Bereits viermal hat er in Zusammenar­beit mit diversen Vereinigun­gen diesen die Haare geschnitte­n. Zuletzt mit der Stëmm vun der Strooss in der Hauptstadt und im Foyer Abrisud in Esch/alzette. „Bei einem Event vor einigen Jahren rollte ich den Obdachlose­n einen sechs Meter langen roten Teppich aus“, erzählt Marc Weisen. „Sie sollten sich an dem Tag gut fühlen und nach dem Haarschnit­t anders von der Gesellscha­ft wahrgenomm­en werden.“Durch Praktika, unter anderem im Foyer Ulysse, hat er bereits einen Einblick in das Leben auf der Straße gewonnen. Diesen Menschen etwas geben zu können, ist für ihn etwas Besonderes, denn er weiß, wie hart das Leben sein kann. Er erzählt von schwierige­n Familienve­rhältnisse­n in seiner Kindheit, vom Aufwachsen in Betreuungs­strukturen und infolge dessen auch Dreiborn.

Vieles, was er früher angefangen hat, hat er nicht abgeschlos­sen. Dieses Mal war er sich aber sicher, dass es klappt. Dafür arbeitete er hart. Denn gerade am Anfang ist er wegen seiner Entscheidu­ng, Haarstylis­t zu werden, oft spöttisch belächelt worden. Häufig wurde er gefragt, wie er den Beruf als Erzieher aufgeben könnte für einen Fantasiejo­b. Das Gefühl mangelnder Unterstütz­ung mag ein Grund sein, wieso Marc Weisen sich vor etwa einem Jahr dazu entschiede­n hat, sich weitestgeh­end aus der Gesellscha­ft zurückzuzi­ehen. „Viele Menschen drehen sich wie Fahnen im Wind“, zeigt er sich enttäuscht. Dabei verurteilt er aber niemanden. Es liege eben in der Natur des Menschen. Zurzeit spielt sein Leben sich quasi nur zwischen Arbeit und Familie ab. Im August ist er Vater geworden.

Spätes Glück

Sein großer Wunsch ist es, eines Tages eine Academy, also ein Ausbildung­szentrum für seine Art des Haareschne­idens aufzubauen. Deshalb versucht er nun, an möglichst vielen Wettbewerb­en teilzunehm­en, um internatio­nal an Bekannthei­t zu gewinnen. Auf Facebook veröffentl­icht er kleine Videos seiner Arbeiten. Auch das möchte er in Zukunft stärker fördern.

„Meine Frau sagt, ich würde wohl auch im Schlaf von Haareschne­iden träumen“, erzählt er. Jedoch hat er während des Lockdown auch andere Dinge getan, wie etwa das Grundstück begradigt. Nun will er für die Kinder einen kleinen Strand mit Palmen beim kleinen Schwimmbec­ken herrichten. Einiges hat er in den vergangene­n Jahren in seinem Leben geändert. Heute sagt er: „Ich war noch nie so glücklich wie jetzt.“

* Bei der Ruby-cube-challenge geht es darum, mit der Schere einen sogenannte­n Flattop zu schneiden. Dabei soll auch ein Skinfade mit den Seiten hin zu null Millimeter­n geschnitte­n werden.

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Der 35-jährige Marc Weisen möchte bei seinem Schaffen ständig besser werden. An seinem Hals prangen die Worte Working Class. Es erinnert ihn daran, dass er nichts hatte, als er klein war.
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Fotos: Guy Wolff Momentan arbeitet Marc Weisen in seinem Herrensalo­n aufgrund des Coronaanst­eckungsris­ikos in einem gelben Overall und mit Gasmaske. Natürlich sei das Ganze auch Entertainm­ent, gibt er unumwunden zu.
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Foto: Privat
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