Verrückt nach der Schere
Marc Weisen arbeitet auf eine etwas andere Weise und stylt seit Jahren auch Obdachlosen Frisur und Bart
Esch/alzette. Er nennt sich Marc de Barbir. Möchte aber weder als Friseur gesehen werden noch als herkömmlicher Barbier. „Ich mache etwas vollkommen anderes“, erklärt er voller Überzeugung. Was das ist, dazu später mehr. Aber nicht nur seine Arbeit ist anders. Auch Marc Weisen selbst unterscheidet sich irgendwie vom Mainstream.
Das fällt gleich beim ersten Treffen auf und liegt nicht nur daran, dass er aufgrund der Corona-infektionsgefahr zurzeit in einem gelben Overall und mit Gasmaske arbeitet. „Der beste Schutz“, sagt er und fügt hinzu: „ ... und Entertainment“. Der 35-Jährige ist aufgeschlossen, redet viel und ist voller Ideen. Ein Thema hat es ihm aber seit Jahren besonders angetan: Haare schneiden. Wenn der junge Mann von seiner Arbeit und von Frisuren redet, fragt man sich alsbald, ob man bislang etwas verpasst hat, wenn vom üblichen Waschen, Schneiden, Legen die Rede war.
Der etwas andere Barbier
Bei Marc Weisen fallen Sätze wie: „Ich möchte sehen, wie weit ich mit dem Medium Schere gehen kann“oder „jede Frisur ist ein Kunstwerk. Ich schneide dem Kunden die Haare so, als wäre ich bei einem Wettbewerb“. Wenn er dann nach mehreren Minuten den überraschten Blick des Gesprächspartners bemerkt, gibt er unumwunden zu: „Ich bin ein Fanatiker im Haareschneiden. Manche halten mich auch für eine Art Freak.“
Vor drei Jahren eröffnete er seinen Herrensalon Old Bell an der Rue du Fossé in Esch/alzette. Nachdem er anfangs als Erzieher gearbeitet hat und danach in diversen Friseursalons angestellt war, machte er sich selbstständig. Eine richtige Ausbildung als Stylist,
oder, wie er sagt, Damenfriseur, hat er nie absolviert. Seine Anfänge machte er in Rümelingen im Café um Rond-point. „Einer bot dort seine frischen Forellen an, ein anderer seine Wildschweinpaste und ich schnitt eben Haare“, erinnert er sich an seine Jugend. Selbst auf Motorradtreffen oder in Clubs hat er Frisuren geformt. 2017 gewann er bei der sogenannten Allstar-challenge on American Crew den Titel „Luxembourg Winner“. Mittlerweile hat er sich ganz der Schere verschrieben, womit er jegliche Haarschneidemaschinen im Bereich Kurzhaarschnitte ersetzt hat. „Ich verwende die Airbrush-optik. Die Haarübergänge sehen so aus wie mit dem Pinsel aufgetragen. Dabei kann ich mit der Schere die Haare so kurz wie niemand anderes schneiden“, sagt Marc Weisen selbstbewusst. Um Bestätigung dafür zu erhalten, hat er die Rubycube-challenge* ins Leben gerufen, bei der er alle Friseure zum Wettbewerb herausfordert.
Einsatz für andere
Von seinem Können profitieren regelmäßig auch Obdachlose. Bereits viermal hat er in Zusammenarbeit mit diversen Vereinigungen diesen die Haare geschnitten. Zuletzt mit der Stëmm vun der Strooss in der Hauptstadt und im Foyer Abrisud in Esch/alzette. „Bei einem Event vor einigen Jahren rollte ich den Obdachlosen einen sechs Meter langen roten Teppich aus“, erzählt Marc Weisen. „Sie sollten sich an dem Tag gut fühlen und nach dem Haarschnitt anders von der Gesellschaft wahrgenommen werden.“Durch Praktika, unter anderem im Foyer Ulysse, hat er bereits einen Einblick in das Leben auf der Straße gewonnen. Diesen Menschen etwas geben zu können, ist für ihn etwas Besonderes, denn er weiß, wie hart das Leben sein kann. Er erzählt von schwierigen Familienverhältnissen in seiner Kindheit, vom Aufwachsen in Betreuungsstrukturen und infolge dessen auch Dreiborn.
Vieles, was er früher angefangen hat, hat er nicht abgeschlossen. Dieses Mal war er sich aber sicher, dass es klappt. Dafür arbeitete er hart. Denn gerade am Anfang ist er wegen seiner Entscheidung, Haarstylist zu werden, oft spöttisch belächelt worden. Häufig wurde er gefragt, wie er den Beruf als Erzieher aufgeben könnte für einen Fantasiejob. Das Gefühl mangelnder Unterstützung mag ein Grund sein, wieso Marc Weisen sich vor etwa einem Jahr dazu entschieden hat, sich weitestgehend aus der Gesellschaft zurückzuziehen. „Viele Menschen drehen sich wie Fahnen im Wind“, zeigt er sich enttäuscht. Dabei verurteilt er aber niemanden. Es liege eben in der Natur des Menschen. Zurzeit spielt sein Leben sich quasi nur zwischen Arbeit und Familie ab. Im August ist er Vater geworden.
Spätes Glück
Sein großer Wunsch ist es, eines Tages eine Academy, also ein Ausbildungszentrum für seine Art des Haareschneidens aufzubauen. Deshalb versucht er nun, an möglichst vielen Wettbewerben teilzunehmen, um international an Bekanntheit zu gewinnen. Auf Facebook veröffentlicht er kleine Videos seiner Arbeiten. Auch das möchte er in Zukunft stärker fördern.
„Meine Frau sagt, ich würde wohl auch im Schlaf von Haareschneiden träumen“, erzählt er. Jedoch hat er während des Lockdown auch andere Dinge getan, wie etwa das Grundstück begradigt. Nun will er für die Kinder einen kleinen Strand mit Palmen beim kleinen Schwimmbecken herrichten. Einiges hat er in den vergangenen Jahren in seinem Leben geändert. Heute sagt er: „Ich war noch nie so glücklich wie jetzt.“
* Bei der Ruby-cube-challenge geht es darum, mit der Schere einen sogenannten Flattop zu schneiden. Dabei soll auch ein Skinfade mit den Seiten hin zu null Millimetern geschnitten werden.