Übers Knie gebrochen
Die Gutachten zu den Covid-gesetzen fallen sehr kritisch aus
Marc Baum von Déi Lénk brachte es unlängst auf den Punkt: Die beiden Covid-gesetze sind mit heißer Nadel gestrickt, mit zu heißer Nadel offensichtlich, denn die diversen Gutachten fallen allesamt äußerst kritisch aus. Dabei sind die beiden Texte – der erste Entwurf enthält die Corona-regeln für die Privatpersonen und der zweite die Vorschriften für die Unternehmen – bereits das „kleinere Übel“. Denn zunächst war die Rede von einem allgemeinen Pandemiegesetz als Basis für die auch nach dem Ende des Ausnahmezustands erforderlichen Abstandsregeln und Hygienevorschriften. Diese Idee wurde aber schnell als zu kompliziert und in der Kürze der Zeit nicht machbar verworfen.
Sogar die Ausarbeitung der Covid-gesetze erwies sich als schwieriger und langwieriger als zunächst gedacht. Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) war sich offensichtlich von Anfang an bewusst, dass ihre Entwürfe zahlreiche Schwachstellen aufweisen, denn in der gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Justiz und Gesundheit vom 3. Juni willigte sie ohne Zögern in die meisten Verbesserungsvorschläge der Parlamentarier ein.
Viele Änderungsanträge
Das Parlament hat mittlerweile zweimal nachgebessert. In den ersten Änderungsanträgen hat der Ausschuss vor allem die Definitionen, aber auch einige Maßnahmen präziser formuliert. Interessanterweise enthalten die Anpassungen bereits einige Anmerkungen und Textvorschläge des Staatsrats. Das Gutachten der Hohen Köperschaft selbst steht allerdings noch aus, es wird für Dienstag erwartet. Gestern hat das Parlament sieben weitere Änderungsanträge auf den Instanzenweg geschickt. In erster Linie geht es dabei um die letzten Lockerungsschritte, die die Regierung erst am vergangenen Mittwoch verkündet hatte. Die beiden Texte werden sozusagen auf den letzten Stand gebracht, so wie dies von Anfang an vorgesehen war.
Interessant ist auch, dass der dritte Gesetzentwurf (7605) zurückgezogen wurde. Ursprünglich wollte die Regierung mit dem Entwurf das Gesetz vom 24. März, auf dem der Etat de crise basiert, außer Kraft setzen. Da die Covid-gesetze aber erst auf den letzten Drücker kurz vor dem 24. Juni fertig werden, wurde der Text hinfällig.
Zwangshospitalisierung
Ungeklärt ist noch, wie es mit Artikel 7 zur Zwangshospitalisierung weitergehen wird. Im Gesundheitsausschuss will man das Gutachten des Staatsrats abwarten, bevor man sich endgültig festlegt. „Die Diskussionen gehen weiter“, erklärte der Ausschussvorsitzende Mars Di Bartolomeo (LSAP) gestern auf Nachfrage.
Die Zwangseinweisung von Infizierten, die sich nicht an die Quarantänemaßnahmen halten wollen oder können und somit eine Gefahr für sich selbst, vor allem aber für die Allgemeinheit darstellen, wird von allen Gutachtern als unverhältnismäßig kritisiert: „Diese Maßnahme kommt einem Freiheitsentzug gleich und bedeutet einen tiefen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“, unterstrich der Jurist der Commission consultative des Droits de l'homme, Max Mousel, Anfang der Woche. Die Chambre des fonctionnaires et employés publics und die Justiz warnen ebenfalls vor einem zu tief greifenden Eingriff in die Grundrechte des Einzelnen.
Bei der Justiz lehnt man die Zwangseinweisung zudem aus juristischen Gründen ab, weil die entsprechende Textpassage zu vage bleibt und nicht eindeutig festschreibt, wie die Einweisung in der Praxis eigentlich vonstatten gehen soll: „Au regard de ces observations, on en arrive à conclure que la procédure telle qu’envisagée génère plus d’interrogations que de solutions et que sous le couvert de vouloir introduire un débat contradictoire on en aboutit à une procédure pour le moins unilatérale dans laquelle la personne à hospitaliser de manière forcée est privée de ses droits effectifs de sa défense“, heißt es beispielsweise in dem Gutachten der Generalstaatsanwaltschaft.
Diese Maßnahme kommt einem Freiheitsentzug gleich und bedeutet einen tiefen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.
Max Mousel
Au regard de ces observations, on en arrive à conclure que la procédure telle qu’envisagée génère plus d’interrogations que de solutions. Martine Solovieff
Subtiles Gleichgewicht
Mars Di Bartolomeo ist sich der Problematik bewusst. Man müsse ein Gleichgewicht zwischen dem Recht des Infizierten auf Freiheit und dem Recht auf Unversehrtheit der Allgemeinheit finden.
Bei dem umstrittenen Artikel 7 hat sich die Regierung an einer Prozedur aus dem Rahmengesetz der Direction de la Santé aus dem Jahr 1980 inspiriert, in der die Zwangseinweisung von Patienten vorgesehen ist, die sich mit einer meldepflichtigen ansteckenden Krankheit infiziert haben. Die Maßnahme wurde in den vergangenen 40 Jahren kaum angewandt.
Der direkte Rückgriff auf das Gesetz von 1980 ist in diesem Fall offensichtlich auch keine Lösung, denn der 40 Jahre alte Text passt nicht mehr in die heutige Zeit und muss dringend reformiert werden.
Auch in Bezug auf den Datenschutz setzt es Kritik. Die Mitglieder des Gesundheitsausschusses haben sich die Einwände der Commission nationale de la protection des données zum Teil zu eigen gemacht und in ihre Änderungsanträge aufgenommen. Fällt ein Test negativ aus, müssen die persönlichen Daten nach spätestens drei Tagen anonymisiert werden. Positive Testergebnisse werden nur noch drei, und nicht wie ursprünglich vorgesehen sechs Monate lang gespeichert.
Wenn das Gutachten des Staatsrats wie geplant am Dienstag vorliegt, werden sich die Ausschüsse für Justiz und Gesundheit unverzüglich damit auseinandersetzen und die nötigen Änderungsanträge ausarbeiten. Die Gesetze könnten dann in der kommenden Woche, also gerade noch rechtzeitig, bevor am 24. Juni der Ausnahmezustand ausläuft, vom Parlament verabschiedet und im Amtsblatt veröffentlicht werden.