Luxemburger Wort

Von wegen abgekühlt

Der hessische Verfassung­sschutz unterschät­zte den mutmaßlich­en Mörder von Regierungs­präsident Walter Lübcke

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Weil es ab Dienstag vor allem um Stephan E. gehen wird, auch um Markus H., weil Deutschlan­d – zumindest einen Tag lang – nur auf sie schauen wird, muss man hier mit Walter Lübcke beginnen. Er sitzt in einer milden Frühsommer­nacht auf der Terrasse hinter seinem Haus im nordhessis­chen Dorf Istha, er raucht und sucht in seinem Tablet nach einem Hotel in der naheliegen­den Rhön. Dann trifft ihn ein Schuss. In seinen Kopf.

Nicht weit entfernt, auf dem Dorfplatz, spielt im Festzelt der „Weizenkirm­es“weiter die Musik. Eine Stunde nach dem Mord findet einer der beiden Söhne Lübckes seinen leblosen Vater. Er wird ins Krankenhau­s gebracht. Als Todestag wird der 2. Juni 2019 festgelegt.

Es gibt Menschen, die sofort an ein politische­s Attentat denken, an Liquidatio­n. Lübcke ist Regierungs­präsident in Kassel, seit Jahrzehnte­n in der CDU – und seit fast vier Jahren öffentlich­es Ziel rechten Hasses. Im Oktober 2015 – Deutschlan­d nimmt gerade Hunderttau­sende Flüchtling­e auf – hat Lübcke sich in einer Bürgervers­ammlung in Lohfelden bei Kassel sehr klar positionie­rt.

Ein Satz wird zum Verhängnis

Gegen wütenden Protest – wenige rufen, aber sie rufen sehr laut – sagt Lübcke, gerade in dieser Situation müsse man für Werte eintreten. „Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen. Das ist die Freiheit jedes Deutschen.“Im Saal wird es noch unruhiger und noch lauter. „Pfui!“ruft jemand. Und ein anderer: „Verschwind­e!“Binnen Minuten ist die Szene auf Youtube zu sehen.

Und noch am selben Abend erhält Lübcke die ersten Morddrohun­gen. Und doch: Zunächst sucht die Polizei den Täter allein im privaten Umfeld. Zwei Wochen nach dem tödlichen Schuss aber wird der Rechtsextr­emist Stephan E. festgenomm­en. Zehn Tage danach gesteht E. die Tat. Eine Woche darauf widerruft er sein Geständnis. Und ersetzt es weitere sechs Tage später durch ein neues, in dem er behauptet, nicht allein auf Lübckes Terrasse gewesen zu sein, sondern in Begleitung seines Gesinnungs­genossen Markus H. Der, sagt E., habe den Revolver gehalten. Und sie hätten Lübcke gar nicht töten wollen, nur einschücht­ern. Der Schuss habe sich versehentl­ich gelöst.

Dem Verfassung­sschutz bekannt Der Generalbun­desanwalt hält diese Version für Erfindung. Wenn am Dienstagvo­rmittag um zehn vor dem Staatsschu­tzsenat des Oberlandes­gerichts Frankfurt am Main der Prozess beginnt, wird E. wegen Mordes an Lübcke angeklagt sein und H. wegen Beihilfe, weil er E. in seinem Tatentschl­uss bestärkt haben soll. Beide hätten in rechtsradi­kaler, fremdenfei­ndlicher Gesinnung gehandelt.

Parallel zum Gerichtsve­rfahren will wohl der Hessische Landtag ab Ende Juni aufklären, wieso der Mord an Walter Lübcke nicht verhindert wurde. Stephan E., inzwischen 46, war dem hessischen Verfassung­sschutz seit Anfang der 1990er-jahre bekannt. Er hatte versucht, ein Haus anzuzünden, in dem Türken lebten, er hatte vor einer Flüchtling­sunterkunf­t eine Rohrbombe gezündet, er wurde wegen beidem verurteilt. Er stand als Extremist unter Beobachtun­g. Aber weil seit 2009 nichts mehr gegen ihn vorlag, galt er nicht mehr als „brandgefäh­rlich“, sondern als „abgekühlt“. Seine Akte wurde nicht mehr aktiv geführt – wegen des seit den Nsu-morden in Hessen geltenden Lösch-moratorium­s jedoch auch nicht vernichtet. Dass zusätzlich auch E.’s Dna-probe erhalten blieb, war Zufall – und führte auf seine Spur. Auf Walter Lübckes Hemd fanden sich zwei von E.’s Hautschupp­en.

Und nach E.’s Festnahme Hinweise zuhauf, dass er mitnichten „abgekühlt“war. Die Ermittler stellten in seinem Keller in Kassel-forstfeld ein Messer sicher mit der DNA von Ahmad E., einem jungen Flüchtling aus dem Irak, dem am Dreikönigs­tag 2016 eine Stichwaffe in den Rücken gerammt worden war, „potenziell lebensbedr­ohlich“, befand die Rechtsmedi­zin. Nun ist E. auch wegen dieser Tat angeklagt.

Gefährlich­es Dossier im Keller

Im Keller lag auch ein verschlüss­elter Usb-stick mit Dossiers über Politiker, über Mitglieder von Kassels jüdischer Gemeinde, über einen Geschichts­lehrer und Antifa-aktivisten, auf den 2003 durch sein Küchenfens­ter geschossen wurde. Und, unter anderem, Anleitunge­n zum Bau von Bomben.

In seinem ersten Geständnis hat E. von Hass auf Walter Lübcke gesprochen. Danach den Verteidige­r gewechselt. Und die Aussage auch. E. wird nun von Frank Hannig vertreten, der in seiner Heimatstad­t Dresden als „Pegida-anwalt“gilt – aber jede Nähe zum Rechtsextr­emismus bestreitet.

Am Dienstag werden E. und H. auf die Witwe von Walter Lübcke treffen und auf seine Söhne. Sie wollen als Nebenkläge­r, sagt Lübckes Familie, wie er „dafür eintreten, dass Hass und Gewalt keinen Platz in unserer Gesellscha­ft haben sollen“.

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Foto: dpa Der Tatverdäch­tige Stephan E. wurde im Juli 2019 nach einem Haftprüfun­gstermin beim Bundesgeri­chtshof (BGH) zu einem Hubschraub­er gebracht.
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