Kalter Krieg in der Ägäis
Streit um Hoheitszonen und Bodenschätze: Die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland spitzen sich gefährlich zu
Selten war es in der Ägäis so ruhig wie in diesem Frühsommer. Die meisten Strände auf den griechischen Ferieninseln und an der türkischen Küste sind menschenleer – Corona lässt grüßen. Die Pandemie schlägt sich auch in der Migrationsstatistik nieder: Im Mai ging die Zahl der Geflüchteten, die aus der Türkei nach Griechenland kamen, gegenüber dem Vorjahr um 91 Prozent zurück.
Aber jetzt zeichnet sich eine Wende ab: Diese Woche versuchte eine Gruppe von mehr als 400 Migranten, den Grenzfluss Evros zu überqueren. In Athen weckt das ungute Erinnerungen an den Februar, als der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Grenze zu Griechenland öffnete. In Bussen wurden Zehntausende Migranten herangebracht. Wochenlang belagerten sie die griechischen Übergänge – erfolglos. Ende März brachten die türkischen Behörden die Migranten mit Bussen
zurück ins Landesinnere. Aber bereits im Mai kündigte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu die nächste Belagerung an. Sie könnte jetzt bevorstehen.
Auch tausend Kilometer Luftlinie südlich des Evros, im libyschen Meer, braut sich etwas zusammen. Dort kreuzte diese Woche südlich von Kreta der Frachter „Cirkin“auf. Das Schiff war auf dem Weg nach Libyen. Es wurde von drei türkischen Fregatten begleitet.
Libyen und die Türkei ignorieren
griechische Belange
Die Besatzung der griechischen Fregatte „Spetsai“, die im Rahmen der Eu-operation Irini das Waffenembargo der Vereinten Nationen gegen Libyen überwachen soll, wollte das Schiff durchsuchen. Die Türken verweigerten das. Sie erklärten über Funk, der Frachter stehe unter ihrem Schutz.
Libyen ist ein weiteres Epizentrum der griechisch-türkischen Spannungen. Ende 2019 unterzeichnete der libysche Übergangspremier Fajis al-sarradsch mit Erdogan in Istanbul ein Abkommen über die Abgrenzung der beiderseitigen Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer. Damit teilten die beiden Länder einen Seekorridor zwischen der libyschen und der türkischen Küste untereinander auf, ohne Rücksicht auf die dort gelegenen griechischen Inseln Kreta, Karpathos und Rhodos. Beobachter sehen in der Abmachung eine Gegenleistung des libyschen Premiers für türkische Militärhilfe.
Jetzt könnte es zu einem Showdown vor der Küste Kretas kommen. Wie wird Athen reagieren, wenn die Türkei tatsächlich ein Bohrschiff in die griechische Wirtschaftszone
schickt, um nach Öl und Gas zu suchen?
Verteidigungsminister Nikos Panagiotopoulos kündigte bereits an, Griechenland werde „alles Notwendige“unternehmen, um seine Souveränitätsrechte zu verteidigen. Man sei „auf alles vorbereitet“, auch einschließlich einer „militärischen Auseinandersetzung“.
Aus der Hagia Sophia soll wieder
eine Moschee werden
Die Antwort aus Ankara ließ nicht lange auf sich warten. Die Ansprüche Griechenlands seien „unbegründet“, erklärte Erdogan. An die Griechen gerichtet sagte er: „Mit wem glaubt Ihr eigentlich zu reden? Reißt Euch gefälligst zusammen! Wenn Ihr eure Grenzen nicht erkennt, wird die Türkei schon wissen, wie sie darauf antwortet.“
Während der Streit um die Wirtschaftszonen eskaliert, bricht nun ein weiterer Konflikt auf: In der Türkei gibt es Bestrebungen, die altehrwürdige Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee umzuwandeln. Die einst größte Kathedrale der orthodoxen Christenheit und Krönungskirche der byzantinischen Kaiser ist seit 1934 ein Museum. Das für viele Griechen hoch emotionale Thema gibt dem Streit um die Hoheitszonen eine zusätzliche, brisante Dimension. Sollte die Türkei jetzt tatsächlich vor Kreta nach Öl und Gas bohren, könnte aus dem Kalten Krieg in der Ägäis ein heißer Konflikt werden.
Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis gilt zwar als besonnener Politiker, aber einer solchen Eskalation könnte die Athener Regierung kaum untätig zusehen. Mitsotakis kommt jedoch in der Türkeipolitik zunehmend unter Druck der eigenen Öffentlichkeit. Das zeigt eine aktuelle Umfrage. Danach meinen 56 Prozent der Befragten, Griechenland müsse auf eine Verletzung seiner Souveränitätsrechte durch die Türkei mit militärischen Mitteln reagieren.
Es könnte jetzt zu einem Showdown vor der Küste Kretas kommen.