Trump gegen alle
Der Us-präsident droht, von den gesellschaftlichen Umbrüchen abgehängt zu werden
Mehr als anderthalb Jahrhunderte nach Ende des amerikanischen Bürgerkriegs holten Demonstranten den letzten Präsidenten der amerikanischen Südstaaten, Jefferson Davis, vom Sockel. Der Denkmalsturz von Richmond steht symbolisch ganz oben auf der Liste Dutzender Statuen, die in den vergangenen Tagen fielen, weil die Hauptstadt des Bundesstaates Virginia einst auch das politische Zentrum der Konföderation war.
Wie zum Ende der Sowjetunion die Denkmäler für Stalin und Lenin fielen, stürzen seit dem Tod George Floyds landesweit Monumente, die nicht mehr nur von den 46 Millionen Afroamerikanern als Schandmale verstanden werden. Weiße Amerikaner beteiligen sich in gleichem Maße an deren Demontage. Ermutigt durch Proteste der vergangenen Wochen fühlen sich Bürger und Bürgermeister überall im Land stark genug, jahrelange Debatten zu beenden und Fakten zu schaffen.
Bürger schreiten zur Abrisstat
Unweit von Richmond schritten Bürger in Portsmouth mit Bolzenschneidern, Hämmern und Tauen selber zur Tat, um ein Konföderierten-denkmal zu demontieren. Der Bürgermeister von Birmingham im Südstaat Alabama, Randall Woodfin, schickte Demonstranten Stadtarbeiter zur Hilfe, einen 20 Meter hohen Obelisken sicher zu entfernen.
Der Kolumnist Eugene Robinson spricht von einem „Moment des Umbruchs“, der seinen sichtbaren Ausdruck in der multiethnischen Unterstützung finde. Dass die Denkmäler von mindestens so vielen weißen Amerikanern gestürzt werden wie von Schwarzen, zeigt, was sich gerade verändert.
Sogar Trump-bastionen wie die „National Football League“oder die Autosport-liga Nascar unterstützen aktiv Veränderungen. Plötzlich ist das Knien von Nflspielern als Protest gegen Rassismus in Ordnung, während das Zeigen der Südstaaten-flagge auf Rennplätzen ab sofort nicht mehr geduldet wird.
Der Präsident kann seinen Augen nicht trauen, dass in Martinsville im Bundesstaat Virginia ein „Chevy“-rennwagen mit der Aufschrift „Black Lives Matter“seine Runden durch das Motodrom zieht.
Wie er über die Entschuldigung seines obersten Generals, den Joint Chiefs of Staff Mark A. Milley, grollt, der sich bei seiner Abschlussrede für die Absolventen der renommierten „National Defense University“für seinen martialischen Auftritt auf dem mit Tränengas geräumten „Lafayette“platz entschuldigte. „Ich hätte nicht da sein sollen“, bedauerte Milley seine Teilnahme.
Überlegungen im Pentagon, zehn nach Südstaatengenerälen benannte Kasernen umzubenennen – darunter große Standorte wie Fort Bragg in South Carolina, Fort Benning in Georgia und Fort Hood in Texas – erteilte Trump via Twitter eine Absage. „Meine Regierung wird nicht einmal darüber nachdenken, diese großartigen und fabulösen Kasernen umzubenennen.“Diese seien Teil unseres „großartigen amerikanischen Erbes“.
Dass der Präsident am 19. Juni, dem Gedenktag der Sklavenemanzipation, seine erste Großkundgebung seit Beginn der Pandemie abhalten will, halten Kritiker für keinen Zufall. Zumal auch der Ort eine Provokation ist. In Tulsa im Us-bundesstaat Oklahoma kam es 1921 zu einem der schlimmsten Massaker an Afroamerikanern in der Geschichte des Landes.
„Das ist nicht nur ein Augenzwinkern für weiße Suprematisten“, meint die mögliche Vizepräsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris, „das ist eine Willkommen-zuhause-party“.
Kritik aus Reihen der Republikaner Dass der Präsident den Parteitag der Republikaner von Charlotte nach Jacksonville verlegte, hat mehr mit dem Bestehen des Gouverneurs von North Carolina auf die sozialen Abstandsregeln zu tun als dem Umgang mit der Geschichte.
Bürgerrechtler wie Rodney Hurst finden es allerdings taktlos, dass Trump seine erneute Nominierung an dem Tag akzeptieren will, an dem genau 60 Jahre zuvor ein weißer Mob mit Äxten auf die Teilnehmer eines Protests der Bürgerrechtsbewegung losgegangen war.
Trump wirkt selbst in den eigenen Reihen mit seinen Reaktionen auf die Umbrüche wie ein Fossil aus vergangenen Zeiten. Seine konspirativen Tweets über den angeblichen Antifa-hintergrund eines von der Polizei in Buffalo brutal zu Boden gestoßenen 75jährigen Rentners irritieren nicht minder, wie die Beschimpfung friedlicher Demonstranten als „Terroristen“.
Der Politologe Omar Wasow von der Princeton-universität glaubt, dass Trumps gewohnte Taktik und sein Versuch sich als „Law-and-order“-kandidat zu positionieren, diesmal nicht aufgehen wird. „Er erreicht damit eine Nische, aber für große Teile des Landes ist er die Quelle des Chaos, nicht die Lösung.“