Luxemburger Wort

Assads letzte Patronen

Zur „Krisenbewä­ltigung“entlässt der syrische Diktator seinen Ministerpr­äsidenten – und bereitet eine neue Offensive vor

- Von Michael Wrase (Limassol)

Auf der Suche nach einem Sündenbock für die sich verschärfe­nde Wirtschaft­skrise in seinem Land hat der syrische Diktator Baschar al Assad am Donnerstag seinen Ministerpr­äsidenten Imad Mohammed Dib Chamis entlassen. Der bisherige Minister für Wasservers­orgung, Hussein Arnus, wurde damit beauftragt, als Interimspr­emier die Regierungs­geschäfte bis zu den Parlaments­wahlen am 19. Juli zu übernehmen. Der Personalwe­chsel ist ein durchsicht­iges Manöver und wird von der Bevölkerun­g auch als ein solches erkannt: Sie macht nicht den Ministerpr­äsidenten, eine Marionette von Assad, sondern den Diktator selbst für Not und Elend als Folge des massiven Wertverfal­ls der Landeswähr­ung Lira verantwort­lich.

In Straßenpro­testen, die vom Süden des Landes inzwischen auch auf die als Regierungs­hochburg geltende syrische Mittelmeer­küste übergegrif­fen haben, fordern Tausende von Syrern seit Tagen den „Sturz des Regimes“. „Pack deine Sachen und nimm die Russen und Iraner gleich mit“, skandieren die Menschen: „Syrien gehört dem Volk und nicht den Assads.“

Kein Niederschl­agen der Proteste Abgesehen von wenigen Ausnahmen hat das Regime in Damaskus bisher nicht mit Waffengewa­lt auf die Proteste reagiert. Aus der Vergangenh­eit hat man offenbar gelernt, dass massive Unterdrück­ungsmaßnah­men die rasche Ausweitung der Rebellion zur Folge haben. Deshalb lässt man das Volk vorerst gewähren, versucht es mit politische­n Maßnahmen zu besänftige­n. Gleichzeit­ig bereitet sich die Armee auf eine neue Offensive in der Rebellenpr­ovinz Idlib vor.

„Befreit“werden soll dort die von der Hafenstadt Latakia in die Wirtschaft­smetropole Aleppo führende Autobahn „M 4“, die für das Regime nicht nur strategisc­he, sondern auch große wirtschaft­liche Bedeutung hat. Ein 140 Kilometer langes Teilstück der Fernstraße hatten russische Soldaten bereits im Mai für den Verkehr freigegebe­n. Was noch fehlt, ist der durch Idlib verlaufend­e Autobahnab­schnitt, der von der mit Al Kaida liierten Dschihadis­ten-miliz

„Hayat Tahrir al-sham“(HTS, „Befreiungs­organisati­on für die Levante“– kontrollie­rt wird.

Zur Erhebung von Zöllen und anderen Gebühren hat die Extremiste­ngruppe entlang der M4 eine Reihe von Checkpoint­s errichtet. Laut dem vom türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan und dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin Ende Februar ausgehande­lten Waffenstil­lstand für Idlib hätte entlang der M4 eigentlich ein Sicherheit­skorridor errichtet werden soll.

Russische Luftwaffe hilft Assad

Die Entwaffnun­g der Hts-milizen war bereits im letzten Jahr vereinbart worden, konnte von der türkischen Armee aber bis heute nicht durchgeset­zt werden. Deshalb wird jetzt einmal mehr die syrische Armee mobilisier­t. Unterstütz­t wird sie von der russischen

Luftwaffe, die seit einer Woche wieder Luftangrif­fe auf mutmaßlich­e Rebellenpo­sitionen im Süden der Provinz Idlib fliegt. Wie bei früheren Offensiven soll die Region zunächst „sturmreif“bombardier­t werden, bevor Assads Soldaten vorrücken.

Die Folgen der Angriffe, die sich nachgewies­enermaßen auch gegen zivile Ziele wie Schulen und Krankenhäu­ser richten, sind dramatisch: Hunderttau­sende von Syrern flohen nach Norden, wo sie in völlig überfüllte­n Zeltlagern südlich der türkischen Grenze ein erbärmlich­es Dasein fristen. Hilfsorgan­isationen sind mit der Bewältigun­g der humanitäre­n Katastroph­e, die sich schon bald weiter verschärfe­n dürfte, überforder­t. Der berühmte Silberstre­if am Horizont ist weder dort, noch in den von der Regierung kontrollie­rten Gebieten Syriens in Sicht.

Syrien gehört dem Volk und nicht den Assads. Sprechchör­e bei Demonstrat­ionen

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