Assads letzte Patronen
Zur „Krisenbewältigung“entlässt der syrische Diktator seinen Ministerpräsidenten – und bereitet eine neue Offensive vor
Auf der Suche nach einem Sündenbock für die sich verschärfende Wirtschaftskrise in seinem Land hat der syrische Diktator Baschar al Assad am Donnerstag seinen Ministerpräsidenten Imad Mohammed Dib Chamis entlassen. Der bisherige Minister für Wasserversorgung, Hussein Arnus, wurde damit beauftragt, als Interimspremier die Regierungsgeschäfte bis zu den Parlamentswahlen am 19. Juli zu übernehmen. Der Personalwechsel ist ein durchsichtiges Manöver und wird von der Bevölkerung auch als ein solches erkannt: Sie macht nicht den Ministerpräsidenten, eine Marionette von Assad, sondern den Diktator selbst für Not und Elend als Folge des massiven Wertverfalls der Landeswährung Lira verantwortlich.
In Straßenprotesten, die vom Süden des Landes inzwischen auch auf die als Regierungshochburg geltende syrische Mittelmeerküste übergegriffen haben, fordern Tausende von Syrern seit Tagen den „Sturz des Regimes“. „Pack deine Sachen und nimm die Russen und Iraner gleich mit“, skandieren die Menschen: „Syrien gehört dem Volk und nicht den Assads.“
Kein Niederschlagen der Proteste Abgesehen von wenigen Ausnahmen hat das Regime in Damaskus bisher nicht mit Waffengewalt auf die Proteste reagiert. Aus der Vergangenheit hat man offenbar gelernt, dass massive Unterdrückungsmaßnahmen die rasche Ausweitung der Rebellion zur Folge haben. Deshalb lässt man das Volk vorerst gewähren, versucht es mit politischen Maßnahmen zu besänftigen. Gleichzeitig bereitet sich die Armee auf eine neue Offensive in der Rebellenprovinz Idlib vor.
„Befreit“werden soll dort die von der Hafenstadt Latakia in die Wirtschaftsmetropole Aleppo führende Autobahn „M 4“, die für das Regime nicht nur strategische, sondern auch große wirtschaftliche Bedeutung hat. Ein 140 Kilometer langes Teilstück der Fernstraße hatten russische Soldaten bereits im Mai für den Verkehr freigegeben. Was noch fehlt, ist der durch Idlib verlaufende Autobahnabschnitt, der von der mit Al Kaida liierten Dschihadisten-miliz
„Hayat Tahrir al-sham“(HTS, „Befreiungsorganisation für die Levante“– kontrolliert wird.
Zur Erhebung von Zöllen und anderen Gebühren hat die Extremistengruppe entlang der M4 eine Reihe von Checkpoints errichtet. Laut dem vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin Ende Februar ausgehandelten Waffenstillstand für Idlib hätte entlang der M4 eigentlich ein Sicherheitskorridor errichtet werden soll.
Russische Luftwaffe hilft Assad
Die Entwaffnung der Hts-milizen war bereits im letzten Jahr vereinbart worden, konnte von der türkischen Armee aber bis heute nicht durchgesetzt werden. Deshalb wird jetzt einmal mehr die syrische Armee mobilisiert. Unterstützt wird sie von der russischen
Luftwaffe, die seit einer Woche wieder Luftangriffe auf mutmaßliche Rebellenpositionen im Süden der Provinz Idlib fliegt. Wie bei früheren Offensiven soll die Region zunächst „sturmreif“bombardiert werden, bevor Assads Soldaten vorrücken.
Die Folgen der Angriffe, die sich nachgewiesenermaßen auch gegen zivile Ziele wie Schulen und Krankenhäuser richten, sind dramatisch: Hunderttausende von Syrern flohen nach Norden, wo sie in völlig überfüllten Zeltlagern südlich der türkischen Grenze ein erbärmliches Dasein fristen. Hilfsorganisationen sind mit der Bewältigung der humanitären Katastrophe, die sich schon bald weiter verschärfen dürfte, überfordert. Der berühmte Silberstreif am Horizont ist weder dort, noch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Syriens in Sicht.
Syrien gehört dem Volk und nicht den Assads. Sprechchöre bei Demonstrationen