Glück im Unglück
MSF-ARZT Bernhard Kerschberger warnt jedoch davor, sich in Afrika auf die Corona-statistiken zu verlassen
„Corona hat unsere Arbeit erschwert, weil wir keinen leichten Zugang mehr zu den Patienten haben“, erzählt Bernhard Kerschberger. Der 42-jährige Arzt aus Österreich ist Einsatzleiter von „Ärzte ohne Grenzen“(MSF) in Eswatini. Das Königreich zwischen Südafrika und Mosambik, bis vor Kurzem bekannt als Swasiland, leidet wie viele afrikanische Länder unter einer mehrfachen Gesundheitsbelastung.
„In Swasiland ist ein Drittel aller Erwachsenen Hiv-positiv, außerdem ist Tuberkulose ein großes Problem“, weiß Kerschberger nach mittlerweile zwölf Jahren auf dem Kontinent. Um Patienten vor einer Doppelinfektion zu schützen, greifen die Helfer vor Ort auf einen ungewöhnlichen Behandlungsansatz zurück: Therapie via Smartphone. „Im Mai haben wir mit der Videotherapie begonnen, damit die Patienten weniger direkten Kontakt zu den Gesundheitsarbeitern haben.“Bei älteren Patienten, denen die Technologie fremd ist, helfen die Nachbarn aus. „Sie besuchen die Patienten täglich, um zu schauen, ob sie zum Beispiel ihre Tuberkulosemedikamente einnehmen.“Gibt es Probleme, wird das Team von einem der zehn Msf-gesundheitszentren im Land hinzugezogen.
Dichter Subtropenwald, Nashörner und Folklore – das schätzen Touristen an Eswatini. Doch zum Leben in Afrikas letzter absoluter Monarchie gehört auch diese Seite: Schlagstöcke und Tränengas. Immer wieder gerät König Mswati III. wegen seines autoritären Führungsstils in die Kritik. Nach der Unabhängigkeit von Großbritannien 1968 hatte sein Vater das Mehrparteiensystem abgeschafft. Seitdem zerschlägt die Polizei Proteste unter Anwendung strenger Anti-terror-gesetze. Auf die Arbeit von „Ärzte ohne Grenzen“schlug die Faust des Monarchen bisher nie nieder. „Wir hatten grundsätzlich nie Probleme, etwa neue Behandlungsansätze vorzuschlagen und umzusetzen“, erzählt Kerschberger. Auch auf die Eindämmung des Corona-virus hatte der undemokratische Regierungsstil keine Auswirkungen; bisher gab es 450 Infizierte.
Generell ist Afrika mit knapp 210 000 Fällen und 6 000 Toten bisher glimpflich davongekommen. „Niemand weiß hundertprozentig, warum, und es gibt viele Spekulationen. Meine persönliche
Bernhard Kerschberger: Durch Corona ist die Arbeit von „Ärzte ohne Grenzen“schwieriger geworden. ist, dass die Altersstruktur in Afrika anders ist als in europäischen Ländern“, so Kerschberger. Afrika ist der Kontinent der Jugend. Mit 18 Jahren ist der Durchschnittsafrikaner halb so jung wie der Durchschnittseuropäer (42). Allerdings sei die Statistik laut dem Mediziner mit Vorsicht zu betrachten: „In Afrika ist es wahrscheinlich, dass viele Länder gar nicht wissen, inwiefern sie von Corona betroffen sind. Es besteht eine gewisse Gefahr, dass die Epidemie schon weiter verbreitet ist, als man weiß.“
Die kontinentale Gesundheitsbehörde, die „Africa Centres for Disease Control and Prevention“(CDC), will einen Prozent der Afrikaner
auf das Corona-virus testen. Derzeit ist man mit drei Millionen durchgeführten Tests aber noch weit vom Ziel von 13 Millionen entfernt. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werde das Corona-virus den Kontinent auch noch in den nächsten Jahren belasten. „Während Covid-19 sich in Afrika vermutlich nicht so exponentiell ausbreiten wird wie in anderen Regionen, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach in den Übertragungshotspots schwelen“, sagte Who-afrika-direktorin Matshidiso Moeti im Mai.
Breiter Zugang zum Impfstoff
Erschwert wird Afrikas Kampf gegen Corona jedenfalls durch Krisen und Vorerkrankungen: Terror im Westen, Hunger und Heuschreckenplagen im Osten, Ebola und Masern in der Demokratischen Republik Kongo, HIV, Tuberkulose und Diabetes im Süden. Kerschberger zufolge werde es noch einige Monate dauern, bis Mediziner das genaue Zusammenspiel zwischen Afrikas Vorerkrankungen, der jungen Bevölkerung und Covid-19 erklären können. Umso wichtiger sei es, schon jetzt einen möglichst breiten Zugang zu einem künftigen Impfstoff sicherzustellen.
Die Prävention müsse auch die Ärmsten erreichen. Das sei nicht nur aus ethischen Gründen selbsterklärend, sondern auch durch eine globalisierte Welt. „Wenn es in ein paar Jahren noch Corona-fälle in Afrika gibt, ist es sehr wahrscheinlich, dass auch immer wieder Fälle nach Europa oder in andere westliche Länder importiert werden“, so der Arzt. Kein Kontinent werde vor Corona geschützt sein, solange es noch aktive Fälle in anderen Erdteilen gebe.