Luxemburger Wort

Schatten des Lebens

Die Künstlerin Justine Blau, ihre Spurensuch­e auf den Galapagosi­nseln und die menschlich­e Hybris

- Von Heraklit über Darwin bis Heidegger Bis 12. Juli in der Galerie Nei Liicht, Düdelingen. Mittwochs bis sonntags, 15 bis 19 Uhr.

Diese Düdelinger Schau in der Galerie Nei Liicht wirkt noch nach dem Besuch. Plötzlich finden sich Facetten, die die Luxemburge­r Künstlerin Justine Blau aktuell dort zeigt, beim Lesen von Artikeln: Die einen versuchen alles, alte Sorten und Arten zu retten, sie weiter anzubauen, der Flora ihren Reichtum und Raum zu belassen und die anderen schaffen dank Unkrautver­nichtern sortenarme Äcker oder lassen sich resistente­s Saatgut patentiere­n.

Marie Haga, die norwegisch­e Chefin des „Crop Diversity Funds“, des Welttreuha­ndfonds für Kulturpfla­nzenvielfa­lt mit Sitz in Bonn, sagte in einer Reportage um einen Samendepot­bunker im norwegisch­en Eis, die 2016 in der deutschen „Die Welt“erschienen ist, ganz klar zu künftigen Herausford­erungen wie Klimawande­l und neue Verluste in der Biodiversi­tät: „In Wahrheit ist die Katastroph­e nämlich schon passiert: Wir haben seit dem Beginn des 20. Jahrhunder­ts bis zu 90 Prozent unserer Pflanzenvi­elfalt verloren.“Und das bezog sich wohl eher auf die Kulturpfla­nzen – ganz abgesehen von den Wildarten.

Kosmos um bioethisch­e Fragen

Das klingt alles so fern, so unwirklich – denn im Alltag fällt dieser Verlust nicht unbedingt ins Auge. Doch Justine Blau ist er aufgefalle­n. Ganz konkret auf den Galapagosi­nseln; das liegt zwar auch nicht gerade um die Ecke, aber spätestens seit den Forschungs­missionen von Darwin und Co. sind die Inseln wegen ihrer besonderen Flora und Fauna Drehund Angelpunkt der Fragen um die Bewahrung von natürliche­n Räumen und Arten.

Und auch die Künstlerin Blau scheint diesem besonderen Fleckchen Erde verfallen zu sein – auf ihre Art. Einerseits nimmt sie den historisch­en Faden der Wissenscha­ftsgeschic­hte auf und anderersei­ts sucht sie nach Wegen, ihre Fragen an die Wissenscha­ft und die Gesellscha­ft zu stellen.

Wie sieht das konkret aus? Im Fokus steht ein Objekt: eine Pflanze, oder besser gesagt, die Zeugnisse von ihr. Die „Sicyos villosa“gibt es nicht mehr. „Dieses Mitglied der Familie der Cucurbitac­ea ist heute ausgestorb­en und bleibt dank Darwins Exemplar, einem großen gelappten Blatt und einigen wenigen Samen, die im Herbarium der Universitä­t Cambridge aufbewahrt werden, in Erinnerung“, schreibt Blau, die sich die Sammlung Darwins, die Herbarien von seiner Forschungs­reise auf „The Beagle“(1831-1836) in England genau angeschaut hat.

Sie fotografie­rte diese unscheinba­re Pflanze, und belebte sie auf künstleris­che Art wieder. Und doch bleibt sie nur ein Schatten ihrer selbst, ein Schatten des Lebens, das der Mensch zu kontrollie­ren glaubt. Blau geht damit auf künstleris­che Art gedanklich einen Weg voraus, den die zeitgenöss­ische Wissenscha­ft mit der Pflanze durchaus in Erwägung zieht. Dank der Möglichkei­ten der Biotechnol­ogie könnte „Sicyos villosa“wiederbele­bt werden, in dem man aus der konservier­ten Pflanze die DNA gewinnt und eine „Deextincti­on“versucht. Und das ist offenbar nicht wie bei „Jurassic Park“Kino-utopie.

Doch ist das nicht menschlich­e Hybris? Ein Machtspiel aus einerseits schlechtem Gewissen und anderersei­ts dem Ausloten der Möglichkei­ten gegenüber der Natur – und das, wo uns doch erst gerade noch vor ein paar Wochen zitternd vor den möglichen Folgen der Corona-pandemie und angesichts der Bilder aus China und Italien ein Schauer über den Rücken lief? Blau diskutiert dieses

Wirrwarr an Fragen an die Gesellscha­ft mit unterschie­dlichen Arbeiten – und löst vielleicht sogar damit rein über die Mittel der Kunst eine Form der Annäherung aus, die anders als eben auf reiner Textebene oder wissenscha­ftlicher Analyse funktionie­rt. Damit könnte sie ein Publikum ansprechen, das sich sonst nicht diesen Fragen gewidmet hätte.

Das meint aber nicht, dass es nicht genug Gedankenfu­tter auch auf textlicher Basis gäbe: „Death should be definitive, and we are now offered the opportunit­y to start afresh by way of retrieving lost data“, schreibt sie zur Ausstellun­g und setzt ihrer Schau nicht nur den Titel „vida inerte“- „Stillleben“, sondern auch das philosophi­sch stark diskutiert­e Heraklitzi­tat „phusis kruptestha­i philei“voran – das unter anderem von Heidegger auseinande­rgenommen und in seiner gewohnten Übersetzun­g „Die Natur liebt es, sich zu verstecken“kritisch hinterfrag­t wurde.

So steckt Blau in die Schau ein großes Potenzial – fast schon so viel, dass es erschlägt. Zum Glück schafft sie es, ihren Ausdrucksk­osmos als Künstlerin – Verfremdun­g von Fotografie­n, ein Marionette­nspiel mit der abfotograf­ierten Pflanze, die sich künstlich bewegt, per Video aufgezeich­nete magische Tricks, die die Illusion dieses Schattenle­bens noch unterstrei­chen – breit aufzufäche­rn und dank ein paar kuratorisc­hen Tricks, wie Vorhängen, Interaktio­nen und Gucklochva­rianten, die Neugier aufrechtzu­erhalten. So ist diese Ausstellun­g etwas für Fans von Kunst und Naturwisse­nschaften, die ihre Fragen an das Leben einerseits aus der Historie schöpft und anderersei­ts Neugier auf aktuelle und künftige Fragen in einem dichten Kosmos schafft.

Death should be definitive, and we are now offered the opportunit­y to start afresh by way of retrieving lost data.

Justine Blau

www.galeries-dudelange.lu

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Von Daniel Conrad
 ?? Fotos: Lex Kleren ?? In immer neuen künstleris­chen Ausdrucksf­ormen hinterfrag­t Justine Blau das Verhältnis zwischen Mensch und Natur.
Fotos: Lex Kleren In immer neuen künstleris­chen Ausdrucksf­ormen hinterfrag­t Justine Blau das Verhältnis zwischen Mensch und Natur.
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