Schatten des Lebens
Die Künstlerin Justine Blau, ihre Spurensuche auf den Galapagosinseln und die menschliche Hybris
Diese Düdelinger Schau in der Galerie Nei Liicht wirkt noch nach dem Besuch. Plötzlich finden sich Facetten, die die Luxemburger Künstlerin Justine Blau aktuell dort zeigt, beim Lesen von Artikeln: Die einen versuchen alles, alte Sorten und Arten zu retten, sie weiter anzubauen, der Flora ihren Reichtum und Raum zu belassen und die anderen schaffen dank Unkrautvernichtern sortenarme Äcker oder lassen sich resistentes Saatgut patentieren.
Marie Haga, die norwegische Chefin des „Crop Diversity Funds“, des Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt mit Sitz in Bonn, sagte in einer Reportage um einen Samendepotbunker im norwegischen Eis, die 2016 in der deutschen „Die Welt“erschienen ist, ganz klar zu künftigen Herausforderungen wie Klimawandel und neue Verluste in der Biodiversität: „In Wahrheit ist die Katastrophe nämlich schon passiert: Wir haben seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu 90 Prozent unserer Pflanzenvielfalt verloren.“Und das bezog sich wohl eher auf die Kulturpflanzen – ganz abgesehen von den Wildarten.
Kosmos um bioethische Fragen
Das klingt alles so fern, so unwirklich – denn im Alltag fällt dieser Verlust nicht unbedingt ins Auge. Doch Justine Blau ist er aufgefallen. Ganz konkret auf den Galapagosinseln; das liegt zwar auch nicht gerade um die Ecke, aber spätestens seit den Forschungsmissionen von Darwin und Co. sind die Inseln wegen ihrer besonderen Flora und Fauna Drehund Angelpunkt der Fragen um die Bewahrung von natürlichen Räumen und Arten.
Und auch die Künstlerin Blau scheint diesem besonderen Fleckchen Erde verfallen zu sein – auf ihre Art. Einerseits nimmt sie den historischen Faden der Wissenschaftsgeschichte auf und andererseits sucht sie nach Wegen, ihre Fragen an die Wissenschaft und die Gesellschaft zu stellen.
Wie sieht das konkret aus? Im Fokus steht ein Objekt: eine Pflanze, oder besser gesagt, die Zeugnisse von ihr. Die „Sicyos villosa“gibt es nicht mehr. „Dieses Mitglied der Familie der Cucurbitacea ist heute ausgestorben und bleibt dank Darwins Exemplar, einem großen gelappten Blatt und einigen wenigen Samen, die im Herbarium der Universität Cambridge aufbewahrt werden, in Erinnerung“, schreibt Blau, die sich die Sammlung Darwins, die Herbarien von seiner Forschungsreise auf „The Beagle“(1831-1836) in England genau angeschaut hat.
Sie fotografierte diese unscheinbare Pflanze, und belebte sie auf künstlerische Art wieder. Und doch bleibt sie nur ein Schatten ihrer selbst, ein Schatten des Lebens, das der Mensch zu kontrollieren glaubt. Blau geht damit auf künstlerische Art gedanklich einen Weg voraus, den die zeitgenössische Wissenschaft mit der Pflanze durchaus in Erwägung zieht. Dank der Möglichkeiten der Biotechnologie könnte „Sicyos villosa“wiederbelebt werden, in dem man aus der konservierten Pflanze die DNA gewinnt und eine „Deextinction“versucht. Und das ist offenbar nicht wie bei „Jurassic Park“Kino-utopie.
Doch ist das nicht menschliche Hybris? Ein Machtspiel aus einerseits schlechtem Gewissen und andererseits dem Ausloten der Möglichkeiten gegenüber der Natur – und das, wo uns doch erst gerade noch vor ein paar Wochen zitternd vor den möglichen Folgen der Corona-pandemie und angesichts der Bilder aus China und Italien ein Schauer über den Rücken lief? Blau diskutiert dieses
Wirrwarr an Fragen an die Gesellschaft mit unterschiedlichen Arbeiten – und löst vielleicht sogar damit rein über die Mittel der Kunst eine Form der Annäherung aus, die anders als eben auf reiner Textebene oder wissenschaftlicher Analyse funktioniert. Damit könnte sie ein Publikum ansprechen, das sich sonst nicht diesen Fragen gewidmet hätte.
Das meint aber nicht, dass es nicht genug Gedankenfutter auch auf textlicher Basis gäbe: „Death should be definitive, and we are now offered the opportunity to start afresh by way of retrieving lost data“, schreibt sie zur Ausstellung und setzt ihrer Schau nicht nur den Titel „vida inerte“- „Stillleben“, sondern auch das philosophisch stark diskutierte Heraklitzitat „phusis kruptesthai philei“voran – das unter anderem von Heidegger auseinandergenommen und in seiner gewohnten Übersetzung „Die Natur liebt es, sich zu verstecken“kritisch hinterfragt wurde.
So steckt Blau in die Schau ein großes Potenzial – fast schon so viel, dass es erschlägt. Zum Glück schafft sie es, ihren Ausdruckskosmos als Künstlerin – Verfremdung von Fotografien, ein Marionettenspiel mit der abfotografierten Pflanze, die sich künstlich bewegt, per Video aufgezeichnete magische Tricks, die die Illusion dieses Schattenlebens noch unterstreichen – breit aufzufächern und dank ein paar kuratorischen Tricks, wie Vorhängen, Interaktionen und Gucklochvarianten, die Neugier aufrechtzuerhalten. So ist diese Ausstellung etwas für Fans von Kunst und Naturwissenschaften, die ihre Fragen an das Leben einerseits aus der Historie schöpft und andererseits Neugier auf aktuelle und künftige Fragen in einem dichten Kosmos schafft.
Death should be definitive, and we are now offered the opportunity to start afresh by way of retrieving lost data.
Justine Blau
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www.galeries-dudelange.lu