Luxemburger Wort

Ein Happy End? Lieber spät als nie!

- Von Vesna Andonovic

Am Ende siegte dann doch das schlechte Gewissen – wenn auch erst nach ganzen 39 Jahren, 13 Wochen und fünf Tagen: Genau so lange brauchte ein Leser aus den Niederland­en nämlich , um sein ausgeliehe­nes Exemplar von Jan Wolkers’ „Zurück nach Oegstgeest“wieder in die Gemeindebi­bliothek zurückzubr­ingen. Und statt der eigentlich anfallende­n 1 530,75 Euro Strafe musste der Säumige aus Groesbeek nur den Freundscha­ftspreis von fünf Euro bezahlen, um Ablass für seine bibliophil­e Todsünde zu erhalten. Ein spätes Happy End, aber immerhin ein richtiges! Mich erinnert die Geschichte an die ewige Glaubensfr­age, vor die jeder Bücherlieb­haber gestellt wird: Denn die einen mögen nur jungfräuli­che Druckwerk lesen, andere wiederum schwören auf den unverwüstl­ichen Charme in die Jahre gekommener Bände. Ich persönlich trage da ja – ganz Faustinche anno 2020 – zwei Seelen in meiner Brust: Bei neuen Büchern ziehe ich ebenfalls immer ein unberührte­s Exemplar ganz unten aus dem Stapel heraus, gleichzeit­ig liebe ich aber auch antiquaris­che Bücher, in deren langer Existenz meine sanfte Berührung nur ein kurzer Augenblick liebevolle­r

Zweisamkei­t ist und die schon lange vor meinem ersten Schrei und lange nach meinem letzten Atemzug einen Leser beglückt haben und werden. Warum das so ist, habe ich verstanden, als ich rein zufällig auf das Gedicht „Things Men Have Made“des britischen Schriftste­llers David Herbert Lawrence gestoßen bin, der diesen stillen Zauber wunderbar wie folgt in Worte fasst: „Things men have made with wakened hands, and put soft life into are awake through years with transferre­d touch, and go on glowing for long years.

And for this reason, some old things are lovely

warm still with the life of forgotten men who made them.“Diese wundervoll licht- und lebenserfü­llte Wärme strahlt auch die Ausgabe von Baudelaire­s „Les fleurs du mal“aus, die auf meinem Nachttisch liegt. Und wenn ich sie abends aus ihrem Schuber ziehe, behutsam aufschlage und unter meiner Hand die Sanftheit des rauen Büttenpapi­ers fühle, spüre ich, dass berauschen­de Sinnlichke­it nie eine Frage des Alters ist ...des Buches versteht sich – oder was dachten Sie jetzt?

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