Luxemburger Wort

1 000 Jahre Risiko

Das geplante Atommüll-endlager in Belgien bedroht die luxemburgi­schen Trinkwasse­rreserven

- Von Jacques Ganser

Luxemburg. Das geplante Endlager für hoch radioaktiv­en Abfall in Belgien hat jetzt für konkrete Reaktionen auf Luxemburge­r Seite gesorgt. Im Zuge der aktuellen und noch bis heute laufenden strategisc­hen Umweltprüf­ung in Belgien hat die luxemburgi­sche Regierung unter Federführu­ng des Umweltmini­steriums ein sehr kritisches Gutachten an die belgische Regierung überstellt. Im Gutachten, das dem „Luxemburge­r Wort“vorliegt, steht vor allem das Risiko einer Verschmutz­ung der nationalen Trinkwasse­rreserven im Mittelpunk­t.

Am 12. Mai hatte Umweltmini­sterin Carole Dieschbour­g die Pläne des Projektlei­ters Ondraf (Organisme national des déchets radioactif­s et des matières fissiles enrichies) scharf kritisiert und die Bevölkerun­g dazu aufgerufen, sich gegen das Projekt zu stellen. 7 000 Unterschri­ften sind bereits eingegange­n, auch das Gemeindesy­ndikat Syvicol hat am 8. Juni eine Stellungna­hme veröffentl­icht, in der ein Aufschub der öffentlich­en Prozedur verlangt wird.

Dabei ging es in erster Linie um die Prozedur, die eigentlich vorsieht, dass die Nachbarlän­der in diese Konsultati­on mit einbezogen werden. Auch im vorliegend­en Gutachten beruft sich das Umweltmini­sterium auf europäisch­e Direktiven und Konvention­en, die genau regeln, welche Informatio­nen weitergele­itet werden müssen. „Dies ist im vorliegend­en Fall aber nicht geschehen, deshalb haben wir die belgische Seite gebeten, das Thema in bilaterale­n Gesprächen zu erörtern“, so Dieschbour­g. Eine Antwort steht zurzeit noch aus. Das Umweltmini­sterium stört sich aber auch an der Tatsache, dass die belgische Seite in ihrem Bericht „eine spätere Untersuchu­ng der möglichen Umweltrisi­ken“in Aussicht stellt, zugleich aber feststellt, dass die geologisch­e Endlagerun­g von Atommüll generell keine größeren Risiken mit sich bringe.

Unterirdis­che Wasserläuf­e

Das sieht man im Umweltmini­sterium allerdings ganz anders. Den Fall gesetzt, die strahlende­n Abfälle könnten nicht über, laut Betreiber, „viele Hunderttau­sende von Jahren“wasserdich­t gelagert werden, hätte dies direkte Folgen für unsere Trinkwasse­rversorgun­g. Dazu muss man wissen, dass die unterirdis­chen, natürliche­n Wasserspei­cher in ständiger Bewegung

und großflächi­g untereinan­der verbunden sind. Was also in Bastogne in den Boden sickert, kann durchaus später in Luxemburg wieder auftauchen.

Ein definitive­r Lagerungso­rt wurde dabei auf belgischer Seite zwar noch nicht bestimmt, laut den geologisch­en Schichten, die im Bericht des Betreibers aufgezählt werden, kommen aber nur Standorte in Frage, die in direkter Nähe zur luxemburgi­schen Grenze zu finden sind. Sehr zum Ärger der belgischen Regierung hat das Umweltmini­sterium zudem auf Basis der vorliegend­en Informatio­nen eine Karte der potenziell­en Standorte anfertigen lassen. Das Wasserwirt­schaftsamt hat in einem Zusatzberi­cht die geologisch­en Schichten unter die Lupe genommen, die die belgischen Projektlei­ter als mögliche Lagerungss­tätten ausgewählt haben.

Dazu gehören Lehmschich­ten, die sich von Mons quer durch die Gaume und bis nach Luxemburg hinein ziehen. Lehm hat zwar exzellente wasserabwe­isende Qualitäten, allerdings ist diese Schicht in Belgien im Schnitt nur 60 Meter dick, sie liegt zudem in einer Tiefe zwischen 90 und 400 Metern. Für ähnliche Projekte in Frankreich und in der Schweiz wurde aber eine Mindeststä­rke von 100 Metern und eine Tiefe zwischen 300 und 1000 Metern vorgeschri­eben. Laut Wasserwirt­schaftsamt eignet sich diese Schicht deshalb nicht für ein sicheres Abschließe­n der Lagerstätt­e.

Risiken nicht auszuschli­eßen

Weiterer Knackpunkt: Die besagte Lehmschich­t führt Grundwasse­rmassen, die laut den wallonisch­en geologisch­en Karten mit jenem im Luxemburge­r Sandstein in Verbindung stehen. Der Sandstein ist aber der größte natürliche Trinkwasse­rspeicher in Luxemburg, seine Quellen liefern 75 Prozent des Trinkwasse­rs in Luxemburg. Zudem wären auch die Tiefenbohr­ungen in Trois-ponts, in Koerich und am Rébierg gefährdet. Damit wäre die Wasservers­orgung der Trinkwasse­rsyndikate Sebes, SES und DEA direkt betroffen. Eine Verschmutz­ung dieser Schichten durch radioaktiv belastetes Wasser hätte laut Wasserwirt­schaftsamt desaströse Folgen für Luxemburg. Laut Wasserwirt­schaftsamt

könne niemals ausgeschlo­ssen werden, dass ein Zwischenfa­ll im Endlager ohne Konsequenz­en für diese Trinkwasse­rschichten bliebe.

Auch Stausee gefährdet

Eine zweite Gesteinssc­hicht, die im belgischen Bericht erwähnt wird, ist der Schiefer, wie er im Bereich Neufchatea­u und Stavelot vorkommt. Doch fällt die Bilanz hier noch gravierend­er aus: Die Schicht ist kaum zehn Meter dick und liegt praktisch an der Oberfläche. Weiteres Argument: Die Schiefersc­hicht verläuft ausgerechn­et durch den Stausee, die größte nationale Trinkwasse­rreserve. Er versorgt 80 Prozent der Bevölkerun­g mit Trinkwasse­r.

„Die Risiken sind enorm, werden aber vom Auftraggeb­er komplett ausgeblend­et. Wir wollen, dass das Gefahrenpo­tenzial grenzübers­chreitend erfasst und abgeschätz­t wird“, erklärt Dieschbour­g. Aus diesen Gründen hat das Umweltmini­sterium in seiner schriftlic­hen Stellungna­hme die Ondraf aufgeforde­rt, eine Umweltimpa­ktstudie einschließ­lich der Risiken für die luxemburgi­sche Seite durchzufüh­ren. Die genannten geologisch­en Schichten kämen dabei aus luxemburgi­scher Perspektiv­e aber für ein Endlager aus Gründen der Trinkwasse­rversorgun­g ohnehin nicht infrage.

Die Risiken werden vom Auftraggeb­er komplett ausgeblend­et.

Carole Dieschbour­g, Umweltmini­sterin

 ?? Foto: Getty Images ?? Für mehrere Hunderttau­sende von Jahren will der belgische Projektlei­ter Ondraf nach eigenen Angaben hoch radioaktiv­e Abfälle in der Grenzregio­n vergraben.
Foto: Getty Images Für mehrere Hunderttau­sende von Jahren will der belgische Projektlei­ter Ondraf nach eigenen Angaben hoch radioaktiv­e Abfälle in der Grenzregio­n vergraben.

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