„Perfektes Krisenmanagement“
Glen Leven, Chefmechaniker beim Team Trek-segafredo, kann es kaum erwarten, dass die Saison fortgesetzt wird
Das Corona-virus hat die Radsportwelt ausgebremst. Auch Glen Leven konnte seinen eigentlichen Job nicht mehr ausüben. Der Chefmechaniker des Teams Trek-segafredo langweilte sich allerdings keineswegs. In wenigen Wochen soll der Radsportzirkus wieder Fahrt aufnehmen. Im August stehen die ersten Rennen auf dem Programm. Dann ist auch Leven wieder gefordert. Der 33-Jährige spricht über Sorgen und Zukunftsängste.
Glen Leven, was macht der Chefmechaniker eines professionellen Radteams, wenn längere Zeit keine Rennen oder Trainingslager anstehen?
Radfahren ist auch mein Hobby. Ich hatte das Glück, dass man in Luxemburg in den vergangenen drei Monaten immer im Freien trainieren konnte. Hinzu kam das fast perfekte Wetter. Das habe ich ausgenutzt. Ich bin gut in Schuss. Im Mai habe ich 90 Stunden trainiert und dabei 2 600 km abgespult. Diese Bilanz kann sich sehen lassen. Am Rand der Wettkämpfe trainiere ich oft am frühen
Morgen, wenn alle noch schlafen. Das musste ich diesmal nicht so machen. Ansonsten habe ich Andy Schleck in seinem Fahrradgeschäft ausgeholfen. Ich war drei Mal pro Woche nachmittags vor Ort und bastelte an den Fahrrädern herum. Das war eine Winwin-situation. Ich konnte meiner Leidenschaft nachgehen und Andy bekam Hilfe, die er bei dem Ansturm der Leute sicherlich gebrauchen konnte.
Vermissen Sie Ihre Kollegen, die Radprofis und das ganze Treksegafredo-team?
Ja, sicher. Ich würde aktuell lieber meine eigentliche Tätigkeit ausüben. Doch die Pandemie hat die Welt zum Stillstand gebracht. Auch wenn es zu Beginn komisch war, musste man die Situation akzeptieren. Nun aber brennen wir darauf, dass es endlich wieder losgeht. Der ganze Betreuerstab ist heiß und kann den Neustart kaum erwarten. Ich war Ende Mai für drei Tage mit den Mechanikern aus den Benelux-ländern in unserem Basislager in Deinze (B), um dort die neuen Trek-fahrräder aufzubauen und vorzubereiten. Das war schon cool. Alle anderen haben uns beneidet.
Können Sie sich noch erinnern, wie Sie sich im März fühlten, als sich die Situation zuspitzte?
Damals konnte man sich gar nicht vorstellen, dass die Krise solche Ausmaße annehmen würde. Als bei der UAE-TOUR die ersten Corona-fälle auftraten, war dies noch weit weg und irgendwie nicht greifbar und fast unrealistisch. Es war ein bisschen wie Science-fiction. Am 5. März sollte beispielsweise in Italien Strade Bianche stattfinden. Einer unserer Lastwagen war auf dem Weg dorthin. Wir entschieden uns, ihn vor der italienischen Grenze wenden zu lassen. Wir wussten nicht, ob das Rennen nun stattfinden würde oder nicht. Und vor allem wollten wir nicht, dass die Teammitglieder wegen des Virus und plötzlicher Reiseeinschränkungen in Italien hängen bleiben würden. Es musste aus dem Bauch heraus entschieden werden.
Waren Sie bei Paris-nice vor Ort? Das Rennen fand als letztes noch bis zum 14. März statt, als quasi alle anderen Sportevents in Europa schon pausierten.
Ich war nicht dabei, stand aber jeden Tag in telefonischem Kontakt mit den Teammitgliedern. Ich konnte allerdings nur bedingt helfen. Ich wusste auch nicht, wie es weitergehen würde. Die Lage war angespannt. Die Betreuer waren kurz davor abzureisen. Das konnten sie den Fahrern jedoch letztendlich nicht antun. Die waren ja noch im Einsatz. Es war ein irreales Szenario. Es war extrem. Ich mache dem Organisator allerdings keinen Vorwurf. Er wusste nicht, wie dramatisch die Lage tatsächlich war. Er wollte sein Rennen retten. Mit dem Wissen von heute bin ich mir allerdings sicher, dass der Wettkampf frühzeitig abgebrochen worden wäre.
Einige Teams sind wegen der Krise in finanzielle Schieflage geraten. Bei Bahrain-merida wurden Gehälter um 40 Prozent gekürzt, bei CCC springt zum Saisonende der Hauptsponsor ab. Machten Sie sich Sorgen um Ihren Job?
Natürlich macht man sich Gedanken. Man bekommt mit, was bei anderen Teams abgeht. Ich muss Trek-segafredo allerdings ein Riesenlob aussprechen. Die Verantwortlichen haben die ganze Situation vorbildlich gemeistert. Mein Arbeitgeber rief schnell ein Meeting per Videokonferenz ein, um uns die Sachlage zu schildern. Trek machte ganz klar, dass man finanziell gut dastehen würde und das Fahrradbusiness floriert. Es sei die Priorität, die Gehälter der Angestellten zu gewährleisten. Von Kürzungen oder Streichungen war nie die Rede. Wir konnten also durchatmen. Das war wichtig. Die Verantwortlichen haben offen, schnell und ehrlich kommuniziert. Wir waren ständig auf dem Laufenden, was Planungen und Gespräche mit dem Weltverband angingen. Ich kann wirklich nicht meckern. Das Krisenmanagement war perfekt. Regelmäßige Meetings per Videokonferenz und spontane Telefonanrufe haben für einen permanenten Austausch gesorgt.
Wie geht es für Sie in den kommenden Wochen weiter?
Wir müssen uns noch einige Wochen gedulden. Ende Juni reise ich nach Deinze, um Material vorzubereiten, die Lastwagen und Vans zu beladen und einfach alles auf Vordermann zu bringen. Im Juli stehen Trainingslager in kleinen Gruppen an. Da bin ich nicht dabei. Pro Gruppe geht nur ein Mechaniker mit. Wir wollen Kosten
sparen und das Ansteckungsrisiko minimieren. Im August soll die Worldtour schließlich wieder Fahrt aufnehmen.
Hat die Mannschaft ein klares Konzept ausgearbeitet, um das Ansteckungsrisiko mit dem Corona-virus so gering wie nur irgendwie möglich zu halten?
Es gibt klare Richtlinien. Vor den Rennen wird getestet, außerdem müssen wir Fragebögen beantworten und stehen in regelmäßigem Kontakt mit unseren Ärzten. Jemand, der sich krank fühlt oder Fieber hat, soll zu Hause bleiben. Das wurde explizit betont.
Glauben Sie, dass der ambitionierte Kalender so durchgezogen werden kann wie geplant?
Ich meine, dass wieder Radrennen stattfinden – allerdings nicht alle. Die Pandemie verläuft nicht in allen Ländern Europas nach dem gleichen Muster. Die Tendenz stimmt, die Zahlen der Infizierten sinken allgemein. In sechs Wochen könnte die Lage noch wesentlich besser aussehen, sodass bedenkenlos Radrennen ausgetragen werden könnten.
Der proppenvolle Kalender mit 77 Worldtour-renntagen in etwas mehr als drei Monaten stellt Sie sicherlich vor eine logistische Herausforderung, oder nicht?
Als ich den ersten Kalenderentwurf sah, stockte mir der
Atem. Ich fragte mich, wie wir das bewerkstelligen sollen. Wir arbeiten quasi ständig mit drei Teams parallel. Da kommt man ins Schwitzen. Es ist nicht einfach, immer genau das richtige Material, die richtigen Teamautos und die richtigen Leute am richtigen Platz zu haben, wenn an drei vollkommen verschiedenen Orten Wettkämpfe stattfinden. Da heißt es manchmal improvisieren und umplanen. Meistens findet man einen Weg. Es wird eine Herkulesaufgabe – für uns Mechaniker genauso wie für die Fahrer. Verschnaufpausen sind in den dreieinhalb Momenten sicherlich rar gesät.
Im Mai habe ich 90 Stunden trainiert und dabei 2 600 km abgespult.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Die beiden Eintagesrennen in Kanada (11. und 13. September) finden parallel zu zwei weiteren Worldtour-rennen, der Tour de France (29. August bis 20. September) und Tirreno-adriatico
(7. bis 14. September) statt. Das wird kompliziert. Die Fahrer sollen unmittelbar nach dem Rennen mit dem Flugzeug zurück nach Europa gebracht werden. Das Material würde allerdings erst am Dienstagmittag (15. September) mit einem Frachtflugzeug in Paris eintreffen. Dann wäre es nicht bereit, um auf der ersten Etappe der Skodatour (15. bis 19. September) zum Einsatz zu kommen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die kanadischen Rennen noch abgesagt werden. Aber auch anders werden wir einen Weg finden. Das ist schließlich unsere Aufgabe. Und die erledigen wir alle gerne.
Als ich den ersten Kalenderentwurf sah, stockte mir der Atem.
Die Corona-krise hat den Motorsport trotz erster Lockerungen weiterhin fest im Griff. Besonders auffällig ist das in diesen Tagen und Wochen, in denen beispielsweise mit den 500 Meilen von Indianapolis (USA) oder den 24 Stunden von Le Mans (F) regelrechte Rennmonumente auf dem Programm gestanden hätten. Im Grand-prix-sport arbeitet man auf einen Saisonstart auf dem Red-bull-ring (A) Anfang Juli unter Ausschluss der Öffentlichkeit hin.
Die Formel 1 profitiert davon, dass unabhängig von der Krise, nur ein kleiner, exklusiver und daher sehr überschaubarer Kreis an Personen überhaupt Zugang zum Fahrerlager hat und dass sich auf der überschaubaren Anlage die Hygienevorschriften relativ gut umsetzen lassen. Wesentlich problematischer sieht die Situation hingegen bei den großen Traditionsrennen aus. Nach dem beschämenden Hin und Her beim ursprünglichen Formel-1-saisonstart in Melbourne (AUS) machte man in Monaco umgehend Nägel mit Köpfen.
Keine Option
Im Gegensatz zu anderen Grands Prix, die fürs erste verschoben worden sind, wurde das Rennen im Fürstentum ganz einfach abgesagt. Die Gründe lagen auf der Hand. Der GP zahlt keine sogenannte Promoter Fee. Weder Rechteinhaber Liberty Media noch die Teams kostet die Absage etwas. Dies war die erste Absage eines Formel-1-rennens der Saison 2020. Den 1929 erstmals ausgetragenen Grand Prix auf ein anderes Datum zu verlegen, war, im Gegensatz zu einer permanenten Rennstrecke, in Monte Carlo keine Option. Gut zwei Monate dauert der Aufbau, wovon die halbe Stadt betroffen ist.
Am vorletzten Mai-wochenende wäre es auch in Indianapolis spannend geworden. Das Indy 500 wurde aber auf den 23. August verlegt. Da bereits in den beiden Wochen vor dem eigentlichen Rennen, Test- und Qualifikationsläufe anstehen, erwies sich die Kalendergestaltung insgesamt als äußerst kompliziert.
Noch schwieriger dürfte sich angesichts der aktuellen Lage der Umgang mit den zu erwartenden 400 000 Zuschauern (über die Hälfte der Eintrittskarten sind bereits jetzt verkauft) im sogenannten Nudeltopf gestalten. Nascar und Indycar haben als erste Serien überhaupt wieder Rennen durchgeführt. Allerdings als Eintagesveranstaltungen ohne Zuschauer und mit drastischen Personaleinsparungen sowie Körpertemperaturkontrollen.
Am 4. und 5. Juli werden Nascar (auf dem klassischen Oval) und Indycar (auf dem Infield-gpkurs) gemeinsam in Indianapolis zwei Geisterrennen durchführen. Dass nur sechs Wochen später Hunderttausende live vor Ort den magischen Worten „Gentlemen, start your engines“zujubeln können, ist daher zurzeit nur schwer vorstellbar.
Sehr schnell gab es klare Verhältnisse bei der Tourist Trophy auf der Isle of Man, dem seit 1907 ausgetragenen und somit ältesten Motorsportevent der Welt. Noch bevor die eigentlichen Vorbereitungen auf dem 60 km langen und gefährlichen Straßenkurs beginnen konnten, sagte die Inselregierung das Rennen bereits im März ab und verlegte es auf das kommende Jahr.
40 000 Motorradfans, was die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, pilgern jedes Jahr auf die Insel in der Irischen See, zwischen Irland und England. Am gestrigen Freitag hätte das Senior-tourist-trophyrennen (Superbike und Superstock) über sechs Runden als Abschluss und zugleich Höhepunkt der zweiwöchigen Tourist Trophy auf dem Programm gestanden.
Angesichts der katastrophalen Ausmaße der Pandemie in Frankreich war schnell klar, dass auch die Veranstalter des 24-Stunden-rennen von Le Mans umdenken mussten. Ursprünglich geplant für dieses Wochenende, wurde der Langstreckenklassiker, zum zweiten Mal nach 1968, in den September (12. und 13.) verlegt. Da das Rennen zum Geschäftsmodell vieler Hersteller gehört, hält der Automobile Club de l'ouest (ACO) an einer Durchführung fest. Sogar eine Verlegung in den Oktober oder November wird nicht ausgeschlossen. Und im schlimmsten Fall ohne die zu erwartenden 250 000 Zuschauer.
Erste Konsequenzen gibt es dennoch bereits jetzt. Der Testtag zwei Wochen vor dem Rennen fällt aus und die technische Kontrolle wandert vom Stadtzentrum ins Fahrerlager. Außerdem beginnt sich das Starterfeld zu lichten. Aufgrund der Reisebestimmung wurden die beiden neuen Corvette zurückgezogen. Zum gleichen Schritt sah sich auch Porsche gezwungen und ließ zwei von einem Us-amerikanischen Partnerteam eingesetzte Werks-911 RSR von der Startliste streichen.
Um nicht komplett aus den Schlagzeilen zu verschwinden und den Sponsoren eine gewisse Plattform zu bieten, findet eine virtuelle Version des 24-Stunden-rennens statt. Die besondere Atmosphäre eines Langstreckenrennens, vor allem bei Nacht, kann der Bildschirm zu Hause aber niemals ersetzen.