Auf der Spur der Feder
Gelebte Tradition und Handwerkskunst – ein Besuch in den Ateliers von Montblanc in Hamburg
„Wenn bei einem Ferrari der Motor nicht funktioniert, dann fährt das Auto auch nicht.“Mit diesen Worten leitet Axel Nier die Führung durch die Fertigungsräumlichkeiten von Montblanc ein, um den Besuchern die Herstellung einer Feder näherzubringen: das Herzstück der Schreibgeräte, mit denen sich das Unternehmen, dessen Hauptsitz vor den Toren Hamburgs liegt, weltweit einen Namen gemacht hat. Zuständig für die Fertigung der Federn in insgesamt 35 Arbeitsschritten sind hauptsächlich Frauen, denn „die haben mehr Geduld“, wie der Experte mit einem Lachen berichtet.
Am Anfang des Entstehungsprozesses steht ein Band aus Gold – Weiß-, Rot- oder Gelbgold –, das zunächst gepresst und anschließend ausgestanzt wird. Großen Wert legt man dabei vor allem auf die Qualitätskontrolle, wie Axel Nier betont, denn schließlich wirke sich jeder Fehler im Produktionsprozess auch auf das Endergebnis aus. Anschließend wird der Rohling mit einem Stempel – je nach Modell kann dieser äußerst verspielt ausfallen – versehen. Er wird mit einem Druck von fünf Tonnen aufgebracht. Auch die Anbringung von Edelsteinen – Rubine oder Diamanten – erfolgt nach diesem Arbeitsschritt. Und schließlich wird die Feder in Form gebracht. Das übernimmt eine Maschine mit einem Druck von 18 Tonnen.
Feder nach Maß
Axel Nier, der in der ganzen Welt im Auftrag von Montblanc über seine Leidenschaft berichtet, überrascht mit einigen Details. Etwa: Was passiert, wenn bei einer limitierten Auflage in der Fertigung ein Fehler passiert? Für solche Fälle werden einfach einige Stücke mehr in der Produktion eingeplant – die Goldfedern können anschließend einfach eingeschmolzen werden. Schließlich müsse man das getroffene Exklusivitätsversprechen auch einhalten. Wer möchte, kann sich sogar eine Feder nach Maß produzieren lassen – natürlich zum entsprechenden Preis. Die Technik macht es möglich: Mithilfe eines Stifts mit digitalem Transmitter werden die Daten des persönlichen Schreibstils erfasst. Sogar personalisierte Federn, etwa mit Inschriften, sind möglich. „Wir setzen halt immer noch einen drauf“, so Nier.
Und das im wahrsten Sinne des Wortes, wie der nächste Arbeitsschritt beweist: An der Spitze der Feder wird eine Kugel aus Iridium angebracht, die das Schreiben erst möglich macht. Das Metall, dessen Grammpreis bei rund 50 Euro liegt, ist äußerst stabil und nutzt sich nicht ab. Angebracht wird es mittels Lötverfahren bei einer Temperatur von 1 064 Grad Celsius. Anschließend wird die Federspitze geteilt. Das Ergebnis ist kaum sichtbar: Der Schnitt hat eine Breite von 0,12 Millimetern.
Nach dem Schleifen der Schreibfläche, der Galvanisierung und der Politur folgt schließlich der Härtetest im Einschreiberaum:
Die Feder wird von einer Expertin mit Tinte getestet – in 90 Prozent der Fälle mit farbloser Tinte. Wie das funktioniert? „Die Frauen hören, ob alles funktioniert“, erklärt Federexperte Nier. Daher ist es hier auch stiller als in der Fertigungshalle selbst. „Wenn etwas nicht passen sollte, geht die
Feder nochmals
Schleifen.“
Das Endprodukt wird Teil eines Füllfederhalters – möglicherweise eines der Modelle, die im Artisan Atelier entstehen, in dem sich rund 60 Mitarbeiter um Kleinstserien und Sondereditionen kümmern, die mehr einem Kunstwerk denn
zurück zum einem Arbeitsgerät gleichen. Von der Ideenfindung über die erste Skizze bis hin zum fertigen Schreibgerät vergehen hier meist anderthalb bis drei Jahre, wie Artisan-atelier-projektmanager Benjamin Hansen, erklärt. Wobei ein Großteil der Zeit dem Designprozess zuzuschreiben ist.
Die lange Wartezeit wird belohnt: Der Besitzer des neuen Schreibgerätes hält eine eine wahre Seltenheit in den Händen, denn hier werden nur limitierte Serien (bis zu 100 Stück) und Einzelstücke gefertigt. Die Preisspanne: von etwa 50 000 bis hin zu zwei Millionen Euro. Entscheidend dafür sind nicht zuletzt die verarbeiteten Materialien und Edelsteine.
Grundsteinlegung im Jahr 1906
Doch nicht nur im Artisan Atelier zählt die Liebe zum Detail und zur Tradition: In jedem Schreibgerät steckt viel Handarbeit – man spricht von rund 100 Arbeitsschritten insgesamt –, beinahe so wie noch vor mehr als 100 Jahren, als der Grundstein für das heute international tätige Unternehmen vom Hamburger Bankier Alfred Nehemias und dem Berliner Ingenieur August Eberstein gelegt wurde. Im Jahr 1906 beschlossen die beiden Geschäftsmänner Füllfederhalter herzustellen – 1908 erfolgte schließlich die Ansiedlung in Hamburg, damals noch unter dem Namen Simplo. Der Firmenname Montblanc tauchte erstmals 1909 auf – angeblich nach einem Kartenspiel, bei dem ein Verwandter eines Geschäftspartners den Füllfederhalter als „Gipfel in der Schreibgerätekultur“mit dem Berg in Verbindung brachte.
1924 führte das Unternehmen schließlich eine Modellreihe ein, die nach wie vor im Sortiment zu finden ist: die „Meisterstück“-kollektion – damals die hochwertigste Linie der Marke. Der Begriff war nicht an ein besonderes Design geknüpft, sondern stand lediglich für hohe Qualität.
Bis heute wird die Linie ständig ergänzt – zuletzt etwa mit der dritten Auflage der „Le Petit Prince“sonderedition, die den kleinen Asteroid B612, die Heimat des Buchhelden von Antoine de Saint-exupéry, zum Thema hat – und lediglich ein wenig Tinte braucht, um zu neuen traumhaften Geschichten zu führen. Die Tinte als Treibstoff der Ideen – auch hier scheint der Vergleich mit einem Ferrari, dem Meisterstück italienischer Automobilexpertise, angebracht.
„Meisterstück“-füllfederhalter aus der mittlerweile dritten „Le Petit
Prince“-sonderedition.