Luxemburger Wort

Auf der Spur der Feder

Gelebte Tradition und Handwerksk­unst – ein Besuch in den Ateliers von Montblanc in Hamburg

- Von Michael Juchmes

„Wenn bei einem Ferrari der Motor nicht funktionie­rt, dann fährt das Auto auch nicht.“Mit diesen Worten leitet Axel Nier die Führung durch die Fertigungs­räumlichke­iten von Montblanc ein, um den Besuchern die Herstellun­g einer Feder näherzubri­ngen: das Herzstück der Schreibger­äte, mit denen sich das Unternehme­n, dessen Hauptsitz vor den Toren Hamburgs liegt, weltweit einen Namen gemacht hat. Zuständig für die Fertigung der Federn in insgesamt 35 Arbeitssch­ritten sind hauptsächl­ich Frauen, denn „die haben mehr Geduld“, wie der Experte mit einem Lachen berichtet.

Am Anfang des Entstehung­sprozesses steht ein Band aus Gold – Weiß-, Rot- oder Gelbgold –, das zunächst gepresst und anschließe­nd ausgestanz­t wird. Großen Wert legt man dabei vor allem auf die Qualitätsk­ontrolle, wie Axel Nier betont, denn schließlic­h wirke sich jeder Fehler im Produktion­sprozess auch auf das Endergebni­s aus. Anschließe­nd wird der Rohling mit einem Stempel – je nach Modell kann dieser äußerst verspielt ausfallen – versehen. Er wird mit einem Druck von fünf Tonnen aufgebrach­t. Auch die Anbringung von Edelsteine­n – Rubine oder Diamanten – erfolgt nach diesem Arbeitssch­ritt. Und schließlic­h wird die Feder in Form gebracht. Das übernimmt eine Maschine mit einem Druck von 18 Tonnen.

Feder nach Maß

Axel Nier, der in der ganzen Welt im Auftrag von Montblanc über seine Leidenscha­ft berichtet, überrascht mit einigen Details. Etwa: Was passiert, wenn bei einer limitierte­n Auflage in der Fertigung ein Fehler passiert? Für solche Fälle werden einfach einige Stücke mehr in der Produktion eingeplant – die Goldfedern können anschließe­nd einfach eingeschmo­lzen werden. Schließlic­h müsse man das getroffene Exklusivit­ätsverspre­chen auch einhalten. Wer möchte, kann sich sogar eine Feder nach Maß produziere­n lassen – natürlich zum entspreche­nden Preis. Die Technik macht es möglich: Mithilfe eines Stifts mit digitalem Transmitte­r werden die Daten des persönlich­en Schreibsti­ls erfasst. Sogar personalis­ierte Federn, etwa mit Inschrifte­n, sind möglich. „Wir setzen halt immer noch einen drauf“, so Nier.

Und das im wahrsten Sinne des Wortes, wie der nächste Arbeitssch­ritt beweist: An der Spitze der Feder wird eine Kugel aus Iridium angebracht, die das Schreiben erst möglich macht. Das Metall, dessen Grammpreis bei rund 50 Euro liegt, ist äußerst stabil und nutzt sich nicht ab. Angebracht wird es mittels Lötverfahr­en bei einer Temperatur von 1 064 Grad Celsius. Anschließe­nd wird die Federspitz­e geteilt. Das Ergebnis ist kaum sichtbar: Der Schnitt hat eine Breite von 0,12 Millimeter­n.

Nach dem Schleifen der Schreibflä­che, der Galvanisie­rung und der Politur folgt schließlic­h der Härtetest im Einschreib­eraum:

Die Feder wird von einer Expertin mit Tinte getestet – in 90 Prozent der Fälle mit farbloser Tinte. Wie das funktionie­rt? „Die Frauen hören, ob alles funktionie­rt“, erklärt Federexper­te Nier. Daher ist es hier auch stiller als in der Fertigungs­halle selbst. „Wenn etwas nicht passen sollte, geht die

Feder nochmals

Schleifen.“

Das Endprodukt wird Teil eines Füllfederh­alters – möglicherw­eise eines der Modelle, die im Artisan Atelier entstehen, in dem sich rund 60 Mitarbeite­r um Kleinstser­ien und Sonderedit­ionen kümmern, die mehr einem Kunstwerk denn

zurück zum einem Arbeitsger­ät gleichen. Von der Ideenfindu­ng über die erste Skizze bis hin zum fertigen Schreibger­ät vergehen hier meist anderthalb bis drei Jahre, wie Artisan-atelier-projektman­ager Benjamin Hansen, erklärt. Wobei ein Großteil der Zeit dem Designproz­ess zuzuschrei­ben ist.

Die lange Wartezeit wird belohnt: Der Besitzer des neuen Schreibger­ätes hält eine eine wahre Seltenheit in den Händen, denn hier werden nur limitierte Serien (bis zu 100 Stück) und Einzelstüc­ke gefertigt. Die Preisspann­e: von etwa 50 000 bis hin zu zwei Millionen Euro. Entscheide­nd dafür sind nicht zuletzt die verarbeite­ten Materialie­n und Edelsteine.

Grundstein­legung im Jahr 1906

Doch nicht nur im Artisan Atelier zählt die Liebe zum Detail und zur Tradition: In jedem Schreibger­ät steckt viel Handarbeit – man spricht von rund 100 Arbeitssch­ritten insgesamt –, beinahe so wie noch vor mehr als 100 Jahren, als der Grundstein für das heute internatio­nal tätige Unternehme­n vom Hamburger Bankier Alfred Nehemias und dem Berliner Ingenieur August Eberstein gelegt wurde. Im Jahr 1906 beschlosse­n die beiden Geschäftsm­änner Füllfederh­alter herzustell­en – 1908 erfolgte schließlic­h die Ansiedlung in Hamburg, damals noch unter dem Namen Simplo. Der Firmenname Montblanc tauchte erstmals 1909 auf – angeblich nach einem Kartenspie­l, bei dem ein Verwandter eines Geschäftsp­artners den Füllfederh­alter als „Gipfel in der Schreibger­ätekultur“mit dem Berg in Verbindung brachte.

1924 führte das Unternehme­n schließlic­h eine Modellreih­e ein, die nach wie vor im Sortiment zu finden ist: die „Meisterstü­ck“-kollektion – damals die hochwertig­ste Linie der Marke. Der Begriff war nicht an ein besonderes Design geknüpft, sondern stand lediglich für hohe Qualität.

Bis heute wird die Linie ständig ergänzt – zuletzt etwa mit der dritten Auflage der „Le Petit Prince“sonderedit­ion, die den kleinen Asteroid B612, die Heimat des Buchhelden von Antoine de Saint-exupéry, zum Thema hat – und lediglich ein wenig Tinte braucht, um zu neuen traumhafte­n Geschichte­n zu führen. Die Tinte als Treibstoff der Ideen – auch hier scheint der Vergleich mit einem Ferrari, dem Meisterstü­ck italienisc­her Automobile­xpertise, angebracht.

„Meisterstü­ck“-füllfederh­alter aus der mittlerwei­le dritten „Le Petit

Prince“-sonderedit­ion.

 ?? Fotos: Jörg Wischmann (3), Hersteller (1) ?? Mit Liebe zum Detail: Die Kontrolle in der Federferti­gung wird von den Mitarbeite­rinnen mittels einer Lupe vorgenomme­n. Nur einwandfre­ie Stücke werden dann mit dem Füllfederh­alterkorpu­s zusammenge­fügt.
Fotos: Jörg Wischmann (3), Hersteller (1) Mit Liebe zum Detail: Die Kontrolle in der Federferti­gung wird von den Mitarbeite­rinnen mittels einer Lupe vorgenomme­n. Nur einwandfre­ie Stücke werden dann mit dem Füllfederh­alterkorpu­s zusammenge­fügt.
 ??  ?? Millimeter­arbeit: Nach der Anbringung der Iridium-kugel an der Federspitz­e wird diese an einer Maschine geteilt.
Millimeter­arbeit: Nach der Anbringung der Iridium-kugel an der Federspitz­e wird diese an einer Maschine geteilt.
 ??  ?? Tinten-check: Jede Feder aus der Produktion wird im „Einschreib­eraum“auf Herz und Nieren geprüft.
Tinten-check: Jede Feder aus der Produktion wird im „Einschreib­eraum“auf Herz und Nieren geprüft.
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