Luxemburger Wort

Zwischen Sarg und Stalin

Der russisch-orthodoxe Abt Sergij hat sich in einem Frauenklos­ter verschanzt und predigt gegen Corona-virus, Putin und die Amtskirche

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Abt Sergij klingt entschloss­en. „Aus dem Haus der Gottesmutt­er gehe ich nirgendwo hin. Mein Herz und mein Gewissen sind ruhig. Sie, die geistliche Obrigkeit und der Erzbischof Kirill, müssen das Kloster im Sturm nehmen.“

Der Abt, 65, mit weltlichem Namen Nikolai Romanow, ist ein hochgewach­sener Mann mit grauweißem Vollbart, zu dem die weißen Stickereie­n auf seinem schwarzen Kapuzengew­and gut passen. Und Abt Sergij hat Humor. Als ihm ein Journalist sagt, im Erzbistum heiße es, Sergij wolle seine Anhänger zu Selbstverb­rennungen aufrufen, greift er Augen rollend und lachend nach einem Strauß Pfingstros­en. „Übergeben Sie die dem Erzbistum!“

Der Abt liegt in Fehde mit seinen Jekaterinb­urger Vorgesetzt­en. Erzbischof Kirill hat ihm verboten, Messen zu lesen und zu predigen. Sergij antwortete, indem er mit zahlreiche­n Anhängern das Frauenklos­ter in Sredneural­sk besetzte, die Äbtissin vertrieb und Kosaken zu Hilfe rief. Trotz des Verbotes nimmt er dort weiter Beichten ab und treibt Dämonen aus. Promis wie der Hockeystar Pawel Dazjuk oder der Tv-komiker Dmitri Sokolow unterstütz­ten ihn.

Gottesmann mit Verschwöru­ngstheorie­n

Der Abt, in dessen Zelle ein Sarg steht und ein Stalin-poster hängt, predigt seit Wochen, es gäbe kein Corona-virus. Und Covid-19-impfungen würden der Bevölkerun­g tödliche Mikrochips einpflanze­n.

Auch Präsident Wladimir Putin gehöre vor Gericht, weil er den Kampf gegen die angebliche Seuche nutze, um die biometrisc­hen Daten der Bürger abzufassen. „Warum wird in Russland ein faschistis­ches

Corona-ignoranz: Einige Bischöfe, die sich in vollen Gotteshäus­ern infiziert hatten, starben. Satans-kz errichtet?“Sergij alias Nikolai Romanow, früher Lebensmitt­elverkäufe­r, wurde 1985 wegen Diebstahl und Mord zu 13 Jahren Straflager verurteilt. Nach den Kirchenges­etzen hätte er darum nie Geistliche­r werden dürfen, trat aber 1998 in ein Moskauer Priesterse­minar ein und brachte es 2000 zum Vorsteher eines Männerklos­ters bei Jekaterinb­urg. Er kann sich zugutehalt­en, dass er seitdem mehrere Kirchen bauen ließ, auch das Frauenklos­ter, das er jetzt besetzt hat.

Mehrere Bischöfe sind am Virus gestorben

Sergijs Corona-ignoranz wurde noch vor Kurzem von hohen Geistliche­n geteilt, mehrere Bischöfe, die sich in vollen Gotteshäus­ern infiziert hatten, starben. Auch der streng gläubige Starregiss­eur Sergei Michalkow warnt vor amerikanis­chen Corona-mikrochips.

„Freaks gab es schon vorher“, erklärt der liberale Theologe Andrei Kurajew auf Facebook, „sie sind dem Mainstream der Kirche und ihrer Propaganda sehr nahe.“

„Es geht nicht darum, was Sergij predigt“, sagt der orthodoxe Publizist Maxim Schewtsche­nko. Er erklärt den Konflikt um den Abt mit dem Widerspruc­h zwischen einer neuen, postsowjet­ischen Generation von Mönchen und der reichen Amtskirche. „Die Mönche sind den Menschen näher, das Erzbistum der Obrigkeit.“Das Extremismu­s-dezernat der Regionalpo­lizei hat in Sergijs Predigten Aufrufe zum Hass entdeckt, vorerst droht ihm ein Ordnungsve­rfahren. Schewtsche­nko glaubt, am Ende werde die Einsatzpol­izei das Kloster in Sredneural­sk mit Gewalt räumen. „Das Kloster ist eine teure Immobilie“, sagt er. „Und den Amtspopen sind Immobilien wichtiger als die Leute.“

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