Zwischen Sarg und Stalin
Der russisch-orthodoxe Abt Sergij hat sich in einem Frauenkloster verschanzt und predigt gegen Corona-virus, Putin und die Amtskirche
Abt Sergij klingt entschlossen. „Aus dem Haus der Gottesmutter gehe ich nirgendwo hin. Mein Herz und mein Gewissen sind ruhig. Sie, die geistliche Obrigkeit und der Erzbischof Kirill, müssen das Kloster im Sturm nehmen.“
Der Abt, 65, mit weltlichem Namen Nikolai Romanow, ist ein hochgewachsener Mann mit grauweißem Vollbart, zu dem die weißen Stickereien auf seinem schwarzen Kapuzengewand gut passen. Und Abt Sergij hat Humor. Als ihm ein Journalist sagt, im Erzbistum heiße es, Sergij wolle seine Anhänger zu Selbstverbrennungen aufrufen, greift er Augen rollend und lachend nach einem Strauß Pfingstrosen. „Übergeben Sie die dem Erzbistum!“
Der Abt liegt in Fehde mit seinen Jekaterinburger Vorgesetzten. Erzbischof Kirill hat ihm verboten, Messen zu lesen und zu predigen. Sergij antwortete, indem er mit zahlreichen Anhängern das Frauenkloster in Sredneuralsk besetzte, die Äbtissin vertrieb und Kosaken zu Hilfe rief. Trotz des Verbotes nimmt er dort weiter Beichten ab und treibt Dämonen aus. Promis wie der Hockeystar Pawel Dazjuk oder der Tv-komiker Dmitri Sokolow unterstützten ihn.
Gottesmann mit Verschwörungstheorien
Der Abt, in dessen Zelle ein Sarg steht und ein Stalin-poster hängt, predigt seit Wochen, es gäbe kein Corona-virus. Und Covid-19-impfungen würden der Bevölkerung tödliche Mikrochips einpflanzen.
Auch Präsident Wladimir Putin gehöre vor Gericht, weil er den Kampf gegen die angebliche Seuche nutze, um die biometrischen Daten der Bürger abzufassen. „Warum wird in Russland ein faschistisches
Corona-ignoranz: Einige Bischöfe, die sich in vollen Gotteshäusern infiziert hatten, starben. Satans-kz errichtet?“Sergij alias Nikolai Romanow, früher Lebensmittelverkäufer, wurde 1985 wegen Diebstahl und Mord zu 13 Jahren Straflager verurteilt. Nach den Kirchengesetzen hätte er darum nie Geistlicher werden dürfen, trat aber 1998 in ein Moskauer Priesterseminar ein und brachte es 2000 zum Vorsteher eines Männerklosters bei Jekaterinburg. Er kann sich zugutehalten, dass er seitdem mehrere Kirchen bauen ließ, auch das Frauenkloster, das er jetzt besetzt hat.
Mehrere Bischöfe sind am Virus gestorben
Sergijs Corona-ignoranz wurde noch vor Kurzem von hohen Geistlichen geteilt, mehrere Bischöfe, die sich in vollen Gotteshäusern infiziert hatten, starben. Auch der streng gläubige Starregisseur Sergei Michalkow warnt vor amerikanischen Corona-mikrochips.
„Freaks gab es schon vorher“, erklärt der liberale Theologe Andrei Kurajew auf Facebook, „sie sind dem Mainstream der Kirche und ihrer Propaganda sehr nahe.“
„Es geht nicht darum, was Sergij predigt“, sagt der orthodoxe Publizist Maxim Schewtschenko. Er erklärt den Konflikt um den Abt mit dem Widerspruch zwischen einer neuen, postsowjetischen Generation von Mönchen und der reichen Amtskirche. „Die Mönche sind den Menschen näher, das Erzbistum der Obrigkeit.“Das Extremismus-dezernat der Regionalpolizei hat in Sergijs Predigten Aufrufe zum Hass entdeckt, vorerst droht ihm ein Ordnungsverfahren. Schewtschenko glaubt, am Ende werde die Einsatzpolizei das Kloster in Sredneuralsk mit Gewalt räumen. „Das Kloster ist eine teure Immobilie“, sagt er. „Und den Amtspopen sind Immobilien wichtiger als die Leute.“