Luxemburger Wort

Meister der falschen Fährten

Zum Tod des katalanisc­hen Bestseller-autors Carlos Ruiz Zafón

- Von Peter Mohr

Er war eine Art Popstar unter den Schriftste­llern: der katalanisc­he Autor Carlos Ruiz Zafón. Jede Buch-neuvorstel­lung hatte Eventchara­kter – wie am 17. November 2016, als er den vierten und letzten Teil seiner Romane zum „Friedhof der vergessene­n Bücher“, „Das Labyrinth der Lichter“im Temple Expiatori del Sagrat Cor auf dem Tibidabo, einem der beiden Hausberg seiner Geburtssta­dt Barcelona, vorstellte.

Sein 2003 in deutscher Übersetzun­g erschienen­er Roman „Der Schatten des Windes“wurde ein Weltbestse­ller, in mehr als 30 Sprachen übersetzt und mehr als 15 Millionen Mal verkauft. Es folgte 2008 die Fortsetzun­g „Das Spiel des Engels“– eine bunte Mischung aus Abenteuerr­oman, Krimi, historisch­er Milieustud­ie von Barcelona und reichlich Anleihen aus der Literaturg­eschichte. Und zum Ende des dritten historisch­en Barcelona-romans „Der Gefangene des Himmels“(2012) hatte Ruiz Zafón schon neugierig gemacht auf den vierten Band.

Da begab sich Protagonis­t Daniel Sempere mit Frau und Sohn zum Grab seiner Mutter, wo ein Gipsengel zerbrach und einen Zettel zum Vorschein brachte, auf dem der Aufenthalt­sort des ehemaligen Franco-ministers und brutalen Gefängnisd­irektors Maurice Valls vermerkt war. „Er weiß, dass die Geschichte, seine Geschichte, noch nicht zu Ende ist. Sie hat gerade erst angefangen“, hatte Daniel Sempere am Ende des Vorgängerr­omans verkündet und damit die Fortsetzun­g eingeläute­t.

Das Geheimnis um den ehemaligen Franco-minister Valls wird – wie nicht anders zu erwarten – nach manchmal arg langatmige­n über 900 Seiten am Ende des vierten Bandes „Das Labyrinth der Lichter“(dt. 2017, alle bei S. Fischer erschienen) auch gelüftet.

Carlos Ruiz Zafón, der am 25. September 1964 in Barcelona geboren wurde, war viele Jahre als Werbetexte­r tätig, ehe er 1994 nach Los Angeles übersiedel­te und sich ganz auf das Schreiben konzentrie­rte – als Drehbuchau­tor, Romancier und Korrespond­ent für die spanischen Zeitungen „El Pais“und „La Vanguardia“.

Erzähllaby­rinthe voller Rätsel

Seine farbenfroh­en, von verschlung­enen Exkursen geprägten Romane sind nicht nur durchweg Bestseller geworden, sondern fungieren inzwischen auch als touristisc­her Magnet in Barcelona. Stadtführu­ngen auf den Spuren seiner Romane gehören seit Jahren zum Angebot in der katalanisc­hen Metropole. Wie ein roter Faden zog sich eine Art Hassliebe zu seiner

Geburtssta­dt Barcelona durch das umfangreic­he Werk.

„Immer wirft man mir vor, ich wiederhole mich. Das ist eine Krankheit, die alle Romanciers befällt“, hatte Carlos Ruiz Zafón bei der Vorstellun­g seines letzten Romans „Das Labyrinth der Lichter“mit einer gehörigen Portion Koketterie erklärt. Er hatte einen singulären und überaus erfolgreic­hen Sound gefunden, und dann war die Versuchung groß, sich dieses Erfolgsrez­epts immer wieder zu bedienen.

In Spanien wurde behauptet, dass sein Roman „Der Schatten des Windes“der größte spanische

Bucherfolg seit „Don Quijote“von 1605 sei. „Marina sagte einmal zu mir, wir erinnerten uns nur an das, was nie geschehen sei“, lautet der leicht geheimnisv­oll anmutende, erste Satz im Roman „Marina“(2011).

Rätsel hat Zafón seinen Leser stets in Hülle und Fülle mit auf den dornenreic­hen Lektüreweg durch seine Erzähllaby­rinthe gegeben. Das Auslegen von falschen Fährten hat er meisterlic­h beherrscht.

Nun ist der große spanische Erzähler Carlos Ruiz Zafón im Alter von nur 55 Jahren nach einem langen Krebsleide­n in seiner Wahlheimat Los Angeles gestorben.

 ?? Foto: AFP ?? Im November 2016 stellte Carlos Ruiz Zafón seinen Roman „El laberinto de los espiritus“– „Das Labyrinth der Lichter“– im Sühnetempe­l des Heiligen Herzens in Barcelona vor.
Foto: AFP Im November 2016 stellte Carlos Ruiz Zafón seinen Roman „El laberinto de los espiritus“– „Das Labyrinth der Lichter“– im Sühnetempe­l des Heiligen Herzens in Barcelona vor.

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