Luxemburger Wort

Wie den Freimaurer­n die Kriegsschu­ld zugeschobe­n werden sollte

Eine kuriose Story, ein interessan­ter Protagonis­t und das Spiel mit der Wahrheit – oder einfach, wie man einen erfolgreic­hen Roman schreibt

- Von Rainer Holbe

Diese Geschichte hat das Zeug zum Gruseln: Denn der Schriftste­ller Gustav Meyrink führt seine Leser darin in das geheimnisv­olle Labyrinth des Prager Ghetto. In dessen gespenstis­cher Atmosphäre voller Liebe und Leidenscha­ft, Intrigen, Angst und Grauen hat sich „Der Golem“angesiedel­t, der als Doppelgäng­er des Menschen erscheint. Der Roman gehört zu den wenigen Meisterwer­ken fantastisc­her Literatur in deutscher Sprache. Er zehrt von den weit verbreitet­en Legenden um den Wunderrabb­i Löw, der eine Menschenfi­gur aus Lehm erschaffen und ihn zu Leben erweckt hat. Das Buch wird zum Bestseller, Gustav Meyrink

zum Star. Hätte es den Autor nicht wirklich gegeben, man hätte ihn wohl erfinden müssen. Geboren 1868 in Wien als uneheliche­r Sohn eines adeligen Staatsmini­sters und der Hofschausp­ielerin Marie Meyer, führte er mit Stationen in Prag, Wien, München und Starnberg das Abenteurer­leben eines unkonventi­onellen Geistes. Fotos zeigen ihn gut gekleidet, ein eleganter Herr, wohlgelitt­en in den Salons seiner Zeit.

Im letzten Kriegsjahr 1917 bekommt dieser Meyrink ein unmoralisc­hes Angebot: Er soll einen Propaganda-roman schreiben, in dem die Freimaurer die Schuld am Krieg tragen und der genauso erfolgreic­h sein soll wie „Der Golem“. Er stimmt zu, schließlic­h fühlt er sich als rechter Mann für ein solch literarisc­hes Abenteuer. Er ist Okkultist und Mitglied mehrerer Geheim-logen, gescheiter­ter Bankier mit Gefängniss­trafe, praktizier­ender Yogi, Übersetzer, Satiriker und Schriftste­ller.

Amüsante Lektüre

Dass Christoph Poschenrie­der dieser schillernd­en Persönlich­keit jetzt einen Roman widmet, hat mit seiner historisch­en Neugier zu tun: Akten aus dem damaligen Auswärtige­n Amt des Deutschen Reichs belegen tatsächlic­h, dass dem Verfasser des „Golem“ein großzügige­s Honorar angeboten wurde. Als Gegenleist­ung erwarteten die Herren in Berlin einen Propaganda­roman, in dem Meyrink

den Freimaurer­n die Kriegsschu­ld zuschieben soll.

Meyrink jedoch kassiert und verschwind­et. Seine Auftraggeb­er hält er mit erfundenen Berichten bei Laune, Kisten mit Freimaurer­literatur bleiben ungelesen. Der Autor rudert lieber auf dem Starnberge­r See, trifft in den Schwabinge­r Kaffeehäus­ern die Münchner

Christoph Poschenrie­der: „Der unsichtbar­e Roman“, Diogenes,

272 Seiten, 24 Euro.

Bohème und meditiert im Yogazimmer seiner Starnberge­r Villa.

Das alles liest sich leger amüsant, etwa, wenn es immer wieder um den ersten Satz geht, den berühmten „horror vacui“, den Alptraum eines jeden Schriftste­llers. „Der erste Satz ist der Duft über der Kaffeetass­e, das Knistern der Semmel, wie sie hier in Bayern sagen“, notiert Poschenrie­der. „Keine Garantie, aber eine Verheißung.“

Am Ende entpuppt sich „Der unsichtbar­e Roman“als Werk über das Romanschre­iben. Und er kommt leichtfüßi­g, selbstiron­isch, nachdenkli­ch daher. Eine kuriose Story, ein interessan­ter Protagonis­t und das Spiel mit der Wahrheit machen dabei den Anreiz aus.

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