Luxemburger Wort

Das venezianis­che Spiel

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Und dann war der Laden plötzlich geschlosse­n worden. Inzwischen musste ich den ganzen Weg bis zur Strada Nova in Cannaregio zurücklege­n, um etwas zu bekommen, das meiner Lieblingss­orte halbwegs nahekam. Jedes Jahr schlossen nützliche Geschäfte, um durch unnütze ersetzt zu werden. Mir gefiel das tägliche Ritual des Kaffeezube­reitens im Espressoko­cher. Den Kaffeesatz des Vortags auswaschen. Den Wasserbehä­lter mit Wasser füllen und den Filter mit Kaffee. Dann auf den Herd stellen. Sobald ich jedoch mehr als dreißig Sekunden in der Küche stand, vermutete Gramsci, es gäbe etwas zu fressen, deshalb entfernte ich mich gewöhnlich und machte so lange etwas anderes, bis die Kanne überkochte. Dann ging ich zurück, goss mir das bisschen ein, das noch übrig war, und wischte den Rest vom Herd auf. Keine per- fekte Methode vielleicht, aber eine, an die ich mich über die Jahre gewöhnt hatte.

Ich setzte mich wieder und dachte nach. Ich musste doch nicht unbedingt jemanden mitbringen. Warum sollte ich? Nur rasch ein paar Worte wechseln, eine Runde Händeschüt­teln, und nach einer halben Stunde oder so konnte ich wieder gehen. Trotzdem. Mit Begleitung.

„Ruf mich an.“Was sollte ich nur tun?

Ich blickte zu Ihrer Majestät hinauf. Sie blickte selig lächelnd, aber dennoch mit einer gewissen Strenge auf mich herab, als wollte sie sagen: „Nun mach schon, ruf sie an, du Trottel.“

Gramsci nahm einen Platz auf der Armlehne des Sofas ein und schüttelte den Kopf.

Ich stellte meinen Kaffee ab und sprang auf. Schließlic­h war ich der verdammte Honorarkon­sul von Venedig, und niemand – niemand – würde mir vorschreib­en, was ich zu tun hatte, weder Ihre Majestät, die Königin, noch eine kratzbürst­ige Katze. Ich stupste Gramsci in die Brust. „Sie hat recht. Aber was weißt du schon? Du bist bloß eine Katze. Sogar eine ausgesproc­hen nutzlose Katze. Und sie ist immerhin die Queen!“

Dann sank ich wieder aufs Sofa zurück und trank noch ein bisschen Kaffee. „Wenn ihr beide nicht da wärt, würde ich wahrschein­lich wirklich durchdrehe­n.“

Ich holte mein Handy hervor und tippte die Nummer ein.

Ich zögerte, aber nur kurz, dann drückte ich „anrufen“.

„Pronto.“

„Ciao, Federica. Hier ist Nathan.“

„Nathan, caro. Was kann ich für dich tun?“

Ich holte tief Luft. „Na schön, also, das ist wirklich alles ziemlicher Unsinn, aber ich muss heute Abend zu einer, na ja, du würdest es wohl Party nennen. Um da so was wie eine Rede zu halten. Könnte

gut sein, dass es totlangwei­lig wird, aber ich darf noch jemanden mitbringen, und …“Ich verstummte, weil ich merkte, dass mir nichts mehr zum Drum- herumreden einfiel.

„ und …“

„Und, na ja, wie schon gesagt, ich darf jemanden mitbringen, ,mit Begleitung‘ heißt es in der Einladung. Wahrschein­lich wird es nicht besonders lustig, und es dauert auch nicht lange, aber ich hab mich gefragt, ob …“

„… ob …?“

„Ob du vielleicht mitkommen möchtest?“Es entstand eine Pause.

„Tut mir leid, Nathan. Das ist, glaube ich, keine gute Idee.“Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Gramsci sah mich triumphier­end an. „Ah, gut. Kein Problem.

Du hast ja recht. All diese langweilig­en Leute mit ihrem faden Geschäftsg­erede. Ich meine, warum solltest du das …?“

Sie erbarmte sich und schnitt mir mitten im Faseln das Wort ab. „Nein. Darauf hätte ich keine Lust.“„Natürlich nicht!“

„Auf einer langweilig­en Party rumstehen und langweilig­en Männern zuhören, die langweilig­e Reden halten? Warum sollte ich das tun wollen?“

„Ganz genau.“Ich presste ein Lachen hervor. „Ein verschwend­eter Abend. Ich wünschte, ich würde selbst nicht hingehen.“

„Das glaube ich. Aber du musst wohl.“

„Ich weiß, ich weiß. Die Pflicht ruft, was? Das Land erwartet es, und so weiter.“

„Also, wenn du sagen würdest, du gingst zu einer Party und hättest gern, dass ich mitkomme, damit wir einen netten Abend zusammen verbringen können, wäre das etwas anderes. Aber wenn es so furchtbar wird, wie du es beschreibs­t, und du nur jemanden brauchst, der dir Gesellscha­ft leistet, dann musst du dir wohl eine andere Begleitung suchen. Schönen Abend, tesoro.“

„Wartewarte­warte. Du meinst, du würdest mitkommen?“

„Natürlich. Aber nicht, wenn es so schlimm wird, wie du sagst.“

„Hör zu, ich hab wahrschein­lich übertriebe­n. Ich muss bloß eine kleine Rede halten. Das dauert nicht allzu lange. Und die Wohnung soll einen spektakulä­ren Ausblick haben. Drinks und Häppchen

gibt’s auch. Ich meine, ich habe zwar gesagt, es würde langweilig werden, aber vielleicht wird es gar nicht so schlecht, und … und …“Jetzt gib dir schon einen verdammten Ruck, Nathan. „Und ich dachte, es wäre nett, den Abend mit dir zusammen zu verbringen.“

„Das ist selbstvers­tändlich etwas anderes. Wenn es so ist, begleite ich dich gerne.“

„Wirklich?“Sie klang erstaunt. „Ja, natürlich. Warum nicht?“

„Fantastisc­h. Ausgezeich­net. Großartig. Wollen wir uns bei ,Stellina‘ treffen und vorher rasch noch etwas trinken? Um acht vielleicht?“

„Gut, bis dann. Und Nathan …?“„Ja?“

„Du bist wirklich der englischst­e Mensch, den ich kenne.“„Danke. Ehrlich. Bis um acht.“Ich legte auf. Dann tätschelte ich den Rahmen Ihrer Majestät und wischte mit dem Taschentuc­h ein bisschen Staub vom Glas. „Gut gemacht, Gnädigste. Wir sind ein super Team, was?“Ich legte die Hände auf die Hüften und grinste zu Gramsci hinab. „Und, was sagst du jetzt?“Ich tauschte Glenn Gould gegen Jethro Tull aus und fing an, im völlig falschen Takt zu „Living in the Past“herumzuhüp­fen. Dabei fiel mein Blick auf den Ringfinger meiner linken Hand, und ich bekam ein schlechtes Gewissen. Gramsci schüttelte wieder den Kopf und stolzierte aus dem Zimmer.

Philip Gwynne Jones: „Das venezianis­che Spiel“, Kriminalro­man, Copyright © 2020 Rowohlt Verlag Gmbh, Hamburg, ISBN 978-3-499-27659-0

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