Ende der Schonfrist
Parlament nimmt Covid-gesetze nach heftiger Debatte mit den Stimmen der Mehrheit an – Opposition legt sich quer
Die nationale Einheit, die im März bei der Verhängung des Ausnahmezustands Regierung und Opposition zusammengeschweißt hatte, hat sich nach drei Monaten in Luft aufgelöst: CSV, ADR, Déi Lénk und die Piraten trugen am Montag das Covid-gesetz 7606, das fortan als gesetzliche Basis für die Abstandsund Hygienevorschriften dient, nicht mit. Auch der zweite Entwurf (7607) wurde von den Oppositionsparteien abgelehnt. Am Ende stimmten nur die 31 Abgeordnete von DP, LSAP und Grünen für die beiden Gesetze, CSV und ADR waren dagegen, Déi Lénk und die Piraten enthielten sich.
Die sechsstündige Debatte wurde teilweise sehr kontrovers geführt. Die Ablehnung betraf aber meist nicht die Maßnahmen als solche. Vielmehr störte sich die Opposition an den Unzulänglichkeiten der Texte. Dem Csv-sprecher Claude Wiseler geriet seine Rede zur Abrechnung mit der Arbeit der Regierung während des Etat de crise. Das Kabinett habe den Vertrauensvorschuss, der ihm in den ersten Tagen der Krise entgegengebracht worden war, verspielt. Zu den Texten meinte er: „Die Covidgesetze sind unausgegoren, inkohärent und unpräzise.“Wiseler machte seine Kritik unter anderem an den Definitionen der Schutzmaßnahmen fest. Sie seien zu vage und deshalb für die Bürger unverständlich. Dies sei umso problematischer, weil die Missachtung der Vorschriften mit Strafen belegt sei.
Wiseler warf der Regierung auch vor, die beiden Covid-entwürfe zu spät vorgelegt zu haben. Das Parlament habe deshalb seine Arbeit unter extremem Zeitdruck verrichten müssen, dabei handele es sich um sehr komplizierte Texte. Insgesamt warf er der Regierung vor, das Parlament, vor allem aber die Opposition, während des Ausnahmezustands bestenfalls informiert zu haben, von einer Einbindung könne keine Rede sein.
Die Sprecher der Mehrheitsparteien verteidigten erwartungsgemäß den Entwurf. Den Vorwurf der CSV, die Regierung habe das Parlament nicht eingebunden, ließen sie nicht gelten. Die Regierung habe während des dreimonatigen Ausnahmezustands eine gute Arbeit geleistet, betonte der Dp-fraktionsvorsitzende Gilles Baum. Sie habe geliefert und habe bewiesen, dass sie das Vertrauen verdient habe, das ihr während der Krise entgegengebracht wurde.
Auch Georges Engel (LSAP) verteidigte die Arbeit des Kabinetts. An die Adresse der CSV meinte der Lsap-fraktionsvorsitzende, dass „man im Nachhinein immer alles besser weiß“. Die CSV dürfe sich gerne einbringen. Weil die beiden Gesetze nur eine Laufzeit von einem Monat haben, warte er mit Spannung auf die Änderungsvorschläge der Christsozialen, falls die Texte in einigen Wochen verlängert werden müssen.
Delikates Gleichgewicht
Die Kritik, dass die Covid-gesetze nicht ausgewogen seien, wies Josée
Lorsché von den Grünen zurück: „Es gibt ein Gleichgewicht zwischen dem Gesundheitsschutz der Allgemeinheit und den persönlichen Freiheiten des Einzelnen“, stellte die grüne Fraktionsvorsitzende klar. Die im Gesetz vorgesehene Zwangseinweisung von Infizierten, die sich bewusst den Isolierungs- und Quarantänemaßnahmen widersetzen, sieht Lorsché skeptisch, weil die individuelle Freiheit dadurch beschnitten wird. Dennoch hält sie die Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit für erforderlich.
Die Grünen stehen einer Tracing App eher kritisch gegenüber. Zum einen gebe es keine einheitliche europäische Corona-anwendung. Die Erfahrungen in den anderen Ländern hätten zudem gezeigt, dass die App nur auf neuen, modernen Handys laufe. Dies führe zu einer Benachteiligung der sozial benachteiligten Gesellschaftsschichten, sagte Lorsché.
Roy Reding (ADR) übte seinerseits Kritik an dem analogen Tracing. Er sieht den Datenschutz nicht gewährleistet. Es sei nämlich nicht klar, was mit den Informationen der Infizierten passiere. Der Umgang mit den Informationen, aber auch ganz allgemein die unklaren Regeln, führen seiner Meinung nach dazu, dass es zu „zivilem Ungehorsam“kommt und letztendlich die Abstands- und Hygienevorschriften nicht länger respektiert werden.
Marc Baum (Déi Lénk) und Sven Clement (Piraten) waren sich einig, dass die nun vorliegenden Texte zwar immer noch nicht gut seien, dennoch seien sie wegen des Drucks, den das Parlament ausgeübt habe, besser als die ersten Entwürfe, die die Regierung vorgelegt hatte. Beide Abgeordneten sprachen in Bezug auf den ursprünglichen Text von einem „Ermächtigungsgesetz“.
Lenert mahnt zur Vorsicht
Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) musste zugeben, dass die Covid-texte nicht perfekt sind, das sei allerdings der Eile schuldet, in der sie geschrieben werden mussten. Die Gesetze seien aber dringend erforderlich: „Wir brauchen das Gesetz, um handlungsfähig zu bleiben“, erklärte sie. Sie mahnte zudem noch einmal eindringlich zur Vorsicht, denn die Zahlen hätten sich zuletzt wieder verschlechtert: „Wir bewegen uns auf dünnem Eis“, betonte sie und warnte vor einer zweiten Welle. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO habe kürzlich wieder eine Warnung ausgegeben.
Das Problem sei die größere Mobilität der Menschen seit dem letzten Lockerungsschritt, so Lenert. Die meisten Neuinfektionen werden nämlich aus dem privaten Umfeld gemeldet, am Arbeitsplatz ist das Risiko hingegen wesentlich geringer. Die Mobilität macht auch die Rückverfolgung der Infektionen immer schwieriger. Die Gesundheitsministerin berichtete von einem Infizierten, der während der Inkubationszeit zu 80 Personen längeren Kontakt hatte.
Die Kritik an dem zweiten Gesetzentwurf (7607) mit den Regeln für die Betriebe sowie für die sportlichen und kulturellen Aktivitäten fiel etwas moderater aus. Zufrieden war die Opposition allerdings nicht. Für die CSV wies Jean-marie Halsdorf auf mehrere Ungereimtheiten im Entwurf hin. Es bedürfe beispielsweise mehr Klarheit in Bezug auf die Abstandsregeln. Es sei für die Bürger nur schwer nachzuvollziehen, dass allgemein zwei Meter Abstand gehalten werden müssen, dass in Restaurants oder Kneipen die Tische aber nur 1,5 Meter weit auseinander stehen müssen. Unverständlich, weil unklar, sei auch die Unterscheidung zwischen „Foire“und „Marchés“, für die jeweils andere Spielregeln gelten: „Der Text hätte klarer formuliert werden müssen“, bemängelte Halsdorf. Zudem gebe es Überschneidungen mit dem Gesetzentwurf 7606.
Gleich mehrere Redner waren der Meinung, dass es unter Umständen sinnvoller gewesen wäre, alle Regeln in ein Gesetz zu packen. Auch die Gesundheitsministerin hätte dieser Idee etwas abgewinnen können. Sie erinnerte allerdings daran, dass schließlich, auch auf Wunsch des Parlaments, zwei Texte verfasst wurden, weil man so flexibler handeln könne, wenn es zu Anpassungen kommt.
Die Covid-gesetze sind unausgegoren, inkohärent und unpräzise.
Claude Wiseler
Wir brauchen das Gesetz, um handlungsfähig zu bleiben.
Paulette Lenert
Probleme für die Kulturschaffenden Die grüne Fraktionschefin Josée Lorsché wies noch auf ein anderes Problem hin. Das Gesetz sieht vor, dass es nur zwischen professionellen Schauspielern, Tänzern und Filmschaffenden zu Körperkontakt kommen darf, semi-professionelle oder gar Laiendarsteller sind von der Ausnahme ausgenommen. Dies sei in Luxemburg ziemlich unrealistisch, da die meisten Produktionen auf die Mitarbeit von Laien angewiesen sind. Lorsché will, dass dieser Tatsache Rechnung getragen wird, wenn das Gesetz nach einem Monat verlängert werden sollte.
Schon während der Arbeiten an den beiden Gesetzentwürfen und angesichts des Streits um die Zwangseinweisung von Infizierten war klar geworden, dass das Santé-gesetz aus dem Jahr 1980 dringend überarbeitet werden muss. Deshalb reichte Berichterstatter Mars Di Bartolomeo (LSAP) eine Motion ein, in der die Regierung aufgefordert wurde, dieses Gesetz zu reformieren. Die Motion wurde einstimmig angenommen.
Laurent Mosar (CSV) brachte eine Motion ein, die von der gesamten Opposition getragen wurde, am Ende aber mit den Stimmen der Mehrheit abgelehnt wurden. Konkret ging es dabei um die Sperrstunde, die laut dem Covidgesetz von ein Uhr nachts auf Mitternacht vorgezogen wurde. Für Mosar macht dies kaum Sinn, schließlich richte sich das Virus nicht nach der Uhrzeit. Für die arg gebeutelte Gastronomiebranche mache es allerdings schon einen Unterschied, wenn die Lokale eine Stunde früher schließen müssen.