Es rumort
Deutschlands Innenminister Horst Seehofer bringt Randale in Verbindung mit einem Zeitungstext – und sich in die Klemme
Vielleicht liegen Horst Seehofers Nerven nicht blank; hochgereizt sind sie sicher. Der deutsche Bundesinnenminister hat Gründe; einer ist in Stuttgart zu finden, einer kommt aus Berlin. In der Landeshauptstadt von Baden-württemberg haben in der Nacht zum Sonntag Jugendliche und junge Männer randaliert; sie haben Polizisten angegriffen und mindestens 19 verletzt.
„Männlich und betrunken“charakterisiert Thomas Berger, Vizepräsident des Polizeipräsidiums Stuttgart, die Gewalt, die sich in etwa 500-facher Ausgabe in der Fußgängerzone Bahn brach. Als Seehofer (CSU) am Montag Stuttgart besucht, sagt er: „Wir haben eine stetige Zunahme der Gewalt gegen die Polizei.“Und nennt das „ein wirkliches Alarmsignal für diesen Rechtsstaat“.
Merkel mit Seehofer „im Gespräch“Allerdings wird Seehofers Visite überlagert von einer Ankündigung von ebenfalls rechtsstaatlicher Relevanz. Am Vorabend hat er der „Bild“-zeitung angekündigt: „Ich werde morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels in der ,taz‘ über die Polizei stellen.“Gemeint ist ein am 15. Juni in dem linksalternativen Blatt erschienener Text mit dem Titel „All cops are berufsunfähig“. Thema der Autorin Hengameh Yaghoobifarah: die Auflösung der Polizei – wie aktuell in Minneapolis (USA) erwogen als Folge des gewaltsamen Todes des Schwarzen George Floyd bei einem Polizeieinsatz. Yaghoobifarah empfiehlt, die beschäftigungslosen deutschen Polizistinnen und Polizisten auf „die Mülldeponie“zu bringen, „wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“
In der „taz“wird seitdem, erst intern, seit dem Wochenende öffentlich, diskutiert; Chefredakteurin Barbara Junge beteuert: „Das tut mir leid.“Der zuständigen Ressortleiterin nicht.
Da haben zwei Polizei-gewerkschaften die „taz“bereits angezeigt. Die CSU, Seehofers Partei, hat auf ihren Twitter-account einen Foto-steckbrief von Autorin Yaghoobifarah gestellt – und dazugeschrieben: „Die hässliche Fratze der hasserfüllten Linken in
Deutschland zeigt sich.“Später entschuldigt sich Generalsekretär Markus Blume: „Unsere Kritik … ist richtig, die Form war es nicht.“
So scheint es auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem Vorgehen ihres Bundesinnenministers zu ergehen. Denn während Seehofer in Stuttgart ist und sagt, „aus Worten erfolgen immer auch Taten“– was ein bisschen so klingt, als sei Kolumnistin Yaghoobifarah die Anstifterin der Stuttgarter Randalierer –, berichtet Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin: Merkel sei mit dem Minister über die geplante Anzeige „im Gespräch“.
Als Angriff auf die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit ausgerechnet vom Verfassungsminister wird Seehofers Idee da bereits im Regierungsviertel gerügt. Von den Grünen. Den Linken. Der Spd-vorsitzenden Saskia Esken. „Ich stelle sehr infrage“, sagt sie, „ob es Aufgabe eines Bundesinnenministers ist, Anzeige zu stellen gegen eine kritische Journalistin.“
Das muss Seehofer besonders reizen. Ausgerechnet Esken, die eben der deutschen Polizei ganz pauschal „latenten Rassismus“unterstellt hat. Böse Kritik hat sie dafür einstecken müssen, auch von Innenpolitikern ihrer Partei. Die längst nötige Debatte über tatsächlich vorkommenden Rassismus befördert Esken so nicht.
Aber Kritik gibt es längst auch an Seehofers Amtsführung. Weil er kein Jurist ist – wie 18 seiner 19 Vorgänger – verspottete ihn vorab schon sein Vorgänger Thomas de Maizière (CDU). Seehofer nennt sich einen „Erfahrungsjuristen“.
Politischer Instinkt
In Wahrheit ist Seehofer ein politisches Tier; nicht im antiken Verständnis – sondern dem der Moderne. In guten Phasen hat Seehofer mehr politischen Instinkt als die ganze restliche Bundesregierung zusammen. In schlechten reagiert er unbesonnen. Wie jetzt auf die zunehmenden Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte. Was nichts hilft, wenn 16-Jährige, wie in Stuttgart, bereits am Boden Liegende gegen den Kopf treten. Obendrein als Minister „die Justiz“zu harten Strafen zu animieren, ist der nächste schmale verfassungsrechtliche Grat.
Stuttgarts Polizeivize Berger gibt zu, die Polizei habe in der Nacht zum Sonntag die Lage unterschätzt. die er mit Gruppendynamik erklärt: Täter, um die sich Helfer und Zuschauer scharen. „Dieses Phänomen kennen wir schon lange.“
Dass dieses Eingeständnis ihn ähnlich erzürnt wie das Polizeibashing der „taz“-kolumnistin, sagt Seehofer nicht. Auch nicht, ob er Yaghoobifarah tatsächlich anzeigt. Stattdessen sagt er alle öffentlichen Termine ab. Ein sehr altes Seehofer-rezept, wenn es wieder einmal eng wird.